Er spricht erstmals ausführlich über seine schlimmen Erlebnisse Mit 17 in den Zweiten Weltkrieg: Schnabelwaider Ernst Krodel erinnert sich

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Mit 17 Jahren wurde Ernst Krodeln in den Zweiten Weltkrieg einberufen. Foto: Trenz Foto: red

Die Erinnerung und das Erzählen der schrecklichen Erlebnisse wühlt Ernst Krodel sichtbar auf. Noch nie hat er in dieser Ausführlichkeit davon erzählt, weder seiner Frau Erna noch seinen Kindern und auch nicht seinen Eltern, damals, als er aus dem Krieg zurückkam. Der 87-Jährige ist der Einzige im Ort, der noch im Zweiten Weltkrieg war und Mitglied bei der Soldatenkameradschaft ist. Seit 70 Jahren gehört er dazu, heute Abend wird er dafür geehrt.

 
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Geboren und aufgewachsen ist Krodel in Gottsfeld, lernt und arbeitet in der elterlichen Landwirtschaft. Sein Vater war in der Partei, er in der Hitlerjugend. „Uns blieb doch nichts anderes übrig, das war halt so“, sagt er. Und so war es auch 1944, als der Einberufungsbefehl kam. Da war Krodel gerade 17. Eine Karte war es, kein Brief. In den Deutschen Artilleriedienst wurde er berufen nach Müglitz im Ostsudetenland. „Wer sich weigerte, dem drohte das KZ“, so Krodel, aber keiner wusste wirklich, was ein Konzentrationslager war, was da passierte.

Nein, Angst hatte er nicht, es war natürlich, dass man einberufen wurde. „Begeistert waren wir natürlich nicht, man hat ja gesehen, wie sich die Lage entwickelte“, erzählt er. Zu dritt waren sie aus Gottsfeld, die einen Einberufungsbefehl bekamen. Aber die anderen beiden mussten woanders hin.

Mit dem Zug - er hatte dafür einen Freifahrtschein erhalten - ging es nach Ansbach und weiter zum 53. motorisierten Artillerieregiment. Dort war er als vorgeschobener Beobachter in der Nachrichtenbatterie eingesetzt. Das heißt, er hat den Kameraden an der Front die Ziele angegeben, wohin sie schießen müssen. Dann war er bei den Rückzugskämpfen eingesetzt, kam über Frankfurt, Würzburg und Bamberg nach Schmidmühlen in der Oberpfalz. Dort geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Das war am 23. April 1945. Von dort ging es über Hersbruck und Schwarzbach nach Bad Kreuznach ins Sammellager. „Wir waren da hinter Stacheldraht, ohne Essen und Trinken die erste Zeit“, sagt Krodel.

Suppe aus Kleeblättern und Papierfetzen

Es war eine schlimme Zeit. Geschlafen haben sie im Freien, auf Erdhügeln, waren streng bewacht, durften sich dem Zaun nur bis auf 20 Meter nähern. Wenn jemand nicht gehorchte, fielen Schüsse. „Wir waren apathisch, hatten Durst, es war heiß.“ Die Erinnerung fällt dem 87-Jährigen schwer. In einem Konservendeckel konnte er etwas Regenwasser sammeln. Nach zehn Tagen gab es das erste Mal etwas zu essen, Bohnen und ein kleines Stück Brot, immer für zehn Mann eine winzige Portion. Viele sind vor Hunger umgefallen, bei Regen in den Matsch hinein, sie wurden von anderen eingetreten. Am Eingang lagen Tote auf Stapeln. Einmal ist Krodel auf der Latrine vor Schwäche umgekippt, seine Kameraden haben ihn wieder rausgeholt. Er konnte eine Zeltplane und eine Decke mit ins Lager bringen, die haben sie sich zu fünft geteilt. „Wir haben Kleeblätter und Papierfetzen aufgekocht und gegessen“, sagt Krodel. Erst später gab es dann eine Wasserleitung vom Fluss her. „Das Lagerleben war ein Verbrechen an der Menschlichkeit“, sagt der 87-Jährige. Und als Jugendlicher habe man das alles ganz anders erlebt, als die Erwachsenen.

Im Juli 1945 wurde das Lager dann von den Franzosen übernommen und die Jüngeren entlassen. Krodel, gerade 18 geworden, hätte eigentlich dableiben müssen, aber irgendwie gelang es ihm doch, sich rauszumogeln. Mit einem Freund fuhr er drei Tage mit dem Zug, in offenen Viehwägen bis nach Fürth. Die erste Nacht in Freiheit verbrachte er bei Verwandten in Nürnberg. Dann ging es auf einem Jeep bis nach Hersbruck mit und von dort zu Fuß weiter, immer entlang der Bahnstrecke Richtung Heimat. „Wir waren völlig entkräftet“, so Krodel. Die letzte Nacht haben sie in der Weidlwanger Mühle verbracht. In Pegnitz kamen sie in den Zug nach Bayreuth, fuhren bis Schnabelwaid und sind von da nach Gottsfeld gelaufen. Bei Schönfeld begegnete ihm eine junge Frau. Ihre Eltern betrieben die Bahnhofsgaststätte und den Kiosk in Schnabelwaid. Krodel kann nicht weitererzählen, ihm kommen die Tränen und er schluckt schwer. Noch nie hat er das erzählt. Die junge Frau war seine jetzige Ehefrau Erna. Das wusste er damals aber noch nicht.

Zu Hause arbeitete er dann bald wieder in der Landwirtschaft. „Doch, meine Eltern waren schon froh, dass der Bu' wieder da war“, weiß er noch. Aber groß geredet über das, was er erlebt hatte, wurde nicht. Das wurde totgeschwiegen. Ein Jahr war er weg gewesen, es hatte keinerlei Kontakt gegeben. Der halbe Ort war kaputt, erinnert sich Krodel, der elterliche Hof aber stand noch. Es wurde Nachbarschaftshilfe geleistet.

Beim Tanz die Frau kennengelernt

1947 lernte er Erna beim Tanz kennen. In Pegnitz, Spänfleck, Creußen und Schwürz war man unterwegs. Noch im gleichen Jahr verlobten sich die beiden, 1950 wurde geheiratet. Bis 1955 führten sie in Schnabelwaid die Wirtschaft der Schwiegereltern. Dann bauten sie in der Siedlungsstraße, wo sie heute noch wohnen, bekamen zwei Kinder. Ernst Krodel handelte jetzt mit Spirituosen, Tabak- und Süßwaren. 1965 wurde er kaufmännischer Angestellter, erst bei Gummi-Meyer, dann bei Noris-Pneu in Bayreuth. Seit 1992 ist er in Rente.

„Die Gefangenschaft war die schlimmste Erfahrung, die ich je gemacht habe. Der Rückzug war grausam“, sagt er, wenn er an manchen Bäumen die Kameraden hängen sah. Hatte er Angst vor dem Tod? „Nein“, sagt Krodel, „uns ging es nur darum zu überleben.“ Denkt er heute noch oft an damals? Auch nein. „Das ist vorbei.“ Die Erlebnisse hat er mit sich selbst ausgemacht. „Die heutigen Kriege sind doch kein Vergleich zu damals und die Menschheit jetzt hat doch keine Ahnung, wie das damals war“, ist er überzeugt. Widerstand? Ach, Krodel winkt ab. Man konnte doch oft der eigenen Familie nicht trauen. „Und was war denn mit der Weißen Rose? Die haben mit dem Leben bezahlt.“ Hat er im Krieg selber geschossen? Noch einmal „nein, keinen einzigen Schuss“.

Was gibt ihm die Soldatenkameradschaft? „Wir müssen die Kameradschaft und Gemeinschaft wach halten“, bringt er es auf den Punkt. Und die Erinnerung, um nicht zu vergessen, was mal war. „Die Kameradschaft ist ein wichtiger Bestandteil im dörflichen Leben“, appelliert er.

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