Wasserstrahl ist dünner als ein Haar Uni Bayreuth entwickelt Mikrochip für die Röntgenkristallographie

Von Norbert Heimbeck
Hat einen neuartigen Mikrochip entwickelt, der einen Wasserstrahl von unvorstellbar geringem Durchmesser erzeugt: Martin Trebbin neben einem Elektronenmikroskopie-Arbeitsplatz an der Uni Bayreuth. Foto: Wißler Foto: red

Stellen Sie sich eine Ein-Euro-Münze vor, die in 1000 Scheiben zersägt ist – so dünn wie eine dieser Scheiben ist der Wasserstrahl, der mit einem an der Uni Bayreuth entwickelten Mikrochip erzeugt werden kann. Dieser Chip kann in der medizischen Forschung, in der Texilindustrie oder bei biologischen Analyseverfahren eingesetzt werden.

 
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Martin Trebbin hat den Chip entwickelt, zusammen mit internationalen Forscherkollegen. Die Arbeit erfolgte am Lehrstuhl Physikalische Chemie von Prof. Stephan Förster in Bayreuth.

Der Mikrochip ist nicht viel größer als eine Ein-Cent-Münze. Er besitzt ein sehr feines System von Mikrokanälen sowie eine Düse, aus der ein extrem dünner Flüssigkeitsstrahl austreten kann. Dieser ‚Flüssigkeits-Jet‘ hat einen Durchmesser von wenigen Mikrometern. Der Strahl ist ganze 2,46 Mikrometer dünn. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist rund 20 mal so dick.

Vielfältige Anwendungen möglich

Wozu braucht man diesen Chip? Martin Trebbin: „Er kann in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden, beispielsweise in der Mikrobioanalytik, in der medizinischen Wirkstoff-Forschung oder in der Mikrofaserproduktion.“ Ausgangspunkt von Trebbins Forschung ist die kristallographische Analyse von bislang unzugänglichen Proteinen. Das heißt übersetzt: Biomoleküle, die zum Beispiel für den menschlichen Alterungsprozess eine Rolle spielen, werden seit den 1950er Jahren mit Hilfe der Röntgenkristallographie analysiert. Dieses Verfahren benötigt große Kristallstrukturen, um klare Bilder einzelner Proteine zu liefern. Diese Kristalle sind aber nur mit großen Aufwand im Labor zu züchten. Die Röntgenkristallographie wurde weiterentwickelt, heute können mit Hilfe sogenannter Röntgen-Freie-Elektronen-Laser – X-ray free electron laser, kurz: XFEL – auch winzigste Kristalle im Nanometerbereich analysiert werden. Dadurch kann eine Vielzahl bislang unzugänglicher Proteine untersucht werden.

Dreidimensionale Strukturen

An diesem Punkt setzt Trebbins Arbeit an: Die zu untersuchenden Proteine werden in spezielle Lösungen gegeben, in denen sich dann nanometergroße Proteinkristalle bilden. Der neue Mikrochips erzeugt daraus einen extrem dünnen Strahl, in dem einzelne Nanokristalle nacheinander aufgereiht sind und nun von den blitzartigen Röntgenpulsen des Freie-Elektronen-Lasers getroffen werden können. Die dabei entstehenden Aufnahmen liefern ein präzises Bild von der dreidimensionalen Struktur des jeweiligen Proteins.

Diese Vorgänge spielen sich mit extremen Geschwindigkeiten in unvorstellbar kleinen Größen ab: ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter, eine Femtosekunde entspricht einer Billiardstel Sekunde. Bildhaft machen kann man sich das mit einer Spielkarte, die von einer Gewehrkugel zerteilt wird – obwohl die Karte schon zerfetzt ist, stehen auf den Hochgeschwindigkeitsaufnahmen die beiden Hälften noch senkrecht aufeinander.

Auf der Spur von Biomolekülen

„Die Forschungsidee, die XFEL-Technologie mit einem dünnen Flüssigkeitsstrahl zu kombinieren, ist erst vor wenigen Jahren geboren worden“, erklärt Trebbin. „Der Mikrochip, den wir in Bayreuth entwickelt haben, hat das Potenzial, die systematische Umsetzung der Femtosekunden-Nanokristallografie erheblich voranzubringen. Denn die Strukturen wichtiger Biomoleküle, welche zuvor nur schwer oder nicht zugänglich waren, lassen sich jetzt röntgenkristallographisch mit hoher Präzision untersuchen.“ Trebbins Arbeit liegt an der Grenze zwischen Chemie und Physik. Sie gilt in Wissenschaftskreisen als so bedeutend, dass er deswegen jetzt einen Ruf auf eine Juniorprofessur an der Universität Hamburg erhalten hat.

Wichtig auch für Textilindustrie

Von den damit gewonnenen Erkenntnissen kann unter anderem die Entwicklung medizinischer Wirkstoffe profitieren. Weitere Einsatzmöglichkeiten des neuen Mikrochips: Mit seiner Hilfe lassen sich extrem dünne Fasern erzeugen. Solche Fasern sind der Rohstoff für Gewebe, die eine außerordentliche Elastizität und Reißfestigkeit besitzen können und daher nicht nur für die Textilindustrie, sondern beispielsweise auch für die Medizintechnik hochinteressant sind. Ein prominentes Beispiel sind Fasern aus rekombinanter Spinnenseide, die an der Universität Bayreuth von Prof. Thomas Scheibel entwickelt wurden.

Nicht zuletzt erlaubt der Mikrochip die Bildung winziger Mikrotropfen oder feiner Nanosprays. Auf diese Weise kann er bei der Verarbeitung pharmazeutischer Wirkstoffe, beispielsweise bei der Sprühtrocknung, eingesetzt werden. So lässt sich die Lagerfähigkeit von Medikamenten verbessern oder deren Freisetzung im Körper beeinflussen. „Hier eröffnet sich ein weites Feld für Konstruktionen, aus denen heute noch gar nicht absehbare Anwendungen hervorgehen können“, sagt Trebbin. Er denkt dabei etwa an die Möglichkeit, mehrere Düsen zu kombinieren.

Als Professor nach Hamburg

In den nächsten Jahren will der Wissenschaftler mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg noch enger als bisher zusammenarbeiten. Hier entsteht derzeit das „European XFEL“, ein in Europa einzigartiges Forschungszentrum, das die XFEL-Technologie systematisch weiterentwickeln wird. Trebbin stammt selbst aus Hamburg und kam vor einigen Jahren als Doktorand mit Professor Stephan Förster nach Bayreuth. Sein neuer Chip eröffnet jetzt der Universität Bayreuth einen Weg zur Kooperation mit der Uni Hamburg. Trebbin: „Wissenschaftler heute brauchen und suchen den Austausch mit Kollegen. Deshalb sind solche Netzwerke für uns alle sehr wichtig.“

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