Kreisvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft feiert Geburtstag Margaretha Michel wird 70

Von Amelie Wollny
Margaretha Michel feiert daheim Geburtstag. Foto: Münch Foto: red

Margaretha Michel feiert am heutigen Montag (1. September) ihren 70. Geburtstag: Mit vielen Gästen, aus Deutschland und Tschechien, mit vielen Erinnerungen: an ihre Vertreibung aus dem Sudetenland, die schweren Anfangsjahre in Deutschland. Und sie grübelt über eine Politik, die aus der Vergangenheit keine Lehren zieht.

 
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Telefonklingeln, Türklingeln, eine gedeckte Kuchentafel: Soweit, so normal. Aber wer das Leben von Margaretha Michel kennt, weiß, dass es nicht so normal war. Als sie zwei Jahren alt war, wurden sie und ihre Familie aus ihrer Heimat, dem Sudetenland, vertrieben. Mit ein paar Koffern verließen ihre Großeltern und ihre Mutter 1946 ihr Leben im damaligen Leitmeritz. Sie werden ausgesiedelt, wie Millionen andere Sudetendeutsche auch.

Auch Michels Geburtstagsgäste sind zum Großteil Vertriebene, sie kennen sich über die Sudetendeutsche Landsmannschaft, bei der Michel Kreisvorsitzende ist. Alle haben sich hübsch gemacht, attraktive Frauen, gut gekleidet, gepflegt. Was diese Frauen in Michels schönem Haus von ihrem früheren Leben erzählen, passt irgendwie nicht zusammen. Sie erzählen von 30 Menschen, die sich ein Plumpsklo teilen mussten. Vier Personen, die in einem Zimmer lebten, „ohne Möbel“, sagt Michel, „wir saßen auf den Koffern.“ Von alten, pflegebedürftigen Menschen, die in einem kleinen Raum auf dem Dachboden notdürftig versorgt wurden. Von Windeln, die im Bach gewaschen werden mussten. Von Hunger. „Das Essen war immer knapp. Das Essen war das wichtigste,“ sagt Michel. Vor ihr stehen zwei Teller mit Donauwelle und Zwetschgenkuchen.

Es ist mittlerweile schon eine Floskel: Der Zweite Weltkrieg war für die gesamte europäische Bevölkerung furchtbar. Viel Unrecht geschah, zwischenmenschliches, auch materielles. Was Michel und ihre Freundinnen erlebt haben, erlebten viele. Viele haben sich für Verbitterung und Groll entschieden. Sie nicht: Sie will Einigkeit und Annäherung. Dafür setzt sie sich seit Jahrzehnten ein. Sogar an ihrem Geburtstag. Im früheren Graslitz (heute Kraslice, in Tschechien) besuchte die Geburtstagsgesellschaft bereits am Sonntag einen deutsch-tschechischen Gottesdienst. 70 Leute aus dem Pegnitzer Raum reisten mit an, 70 kamen aus Tschechien, teils Deutsche, teils Tschechen. Den Pfarrer kennt Michel schon lange, seine Neffen waren vor 20 Jahren in Pegnitz als Austauschschüler, Michel Lehrerin. Man redet miteinander, singt, isst, lacht. Das will Michel.

Der Annäherungsprozess zwischen Tschechien und Deutschland sei auf einem guten Weg, aber noch nicht zu Ende, sagt sie: „Europa braucht einen Schlussstrich. Man muss endgültigen klären, was unrecht war. Man braucht einen Ausgleich – in den Köpfen, auf beiden Seiten.“ Unrecht mag Michel nicht. Und sie sieht es schon wieder, auch jetzt, nach fast 70 Jahren, die gleichen Fehler. Sie schüttelt den Kopf. Diesmal kommen die Flüchtlingsströme aus der ganzen Welt, Syrien, Irak. Auch wenn sie und ihre Freundinnen finden, dass die Zelte komfortabler aussehen als ihre Baracken damals: „Wieso macht die Politik es ihnen so schwer? Wieso hat man nicht dazu gelernt?“ Man müsse den Flüchtlingen die Möglichkeit zur Selbsthilfe geben, sie dezentral unterbringen, es ihnen erleichtern zu arbeiten. Und ihnen dafür ihre Qualifikationen anerkennen.

Oben, am Geburtstagstisch, schwärmten sie und ihre Freundinnen von dem Zusammenhalt damals unter den Vertriebenen und den Deutschen, die ihre Wohnungen für sie zur Verfügung stellen mussten. Unten, beim Abschied, vor ihrem Haus, wird Michel kurz ganz still. Sie erinnert sich an Beschimpfungen, „Sudeten-Gauner“. Manche Vertriebene mussten unter Polizeischutz in ihre Unterkünfte gebracht werden, weil die Anwohner sie nicht duldeten. „Die müssen was angestellt haben, sonst hätten die nicht von daheim weggehen müssen“, glaubten einige damals von den Sudetendeutschen. „Die gleichen Fehler.“ Die 70-Jährige schüttelt den Kopf.

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