Irgendwann Anfang der Neunziger schleicht ein Zeitungsfotograf auf der Suche nach einem Bildmotiv durch Bayreuth. In der Kämmereigasse lehnen zwei Jugendliche an der Sandsteinfassade eines Gründerzeitgebäudes: Ein Junge und ein Mädchen, sie tragen Turnschuhe, Lederjacken, abgerissene Jeans und Punk-Frisuren. Der Fotograf drückt ab. Kurz darauf erscheint das Foto im „Nordbayerischen Kurier“. Bildunterschrift: „Licht und Schatten in der Kämmereigasse“.

 

 

 

 

 

 

 

Zwanzig Jahre später sitzt der Junge von damals in seinem Büro im dritten Stock des Mediendesign-Gebäudes in Münchberg und schmunzelt. „Ich habe damals ein paar Mal in der Redaktion angerufen und wollte wissen, was es mit den „Schatten“ in der Bildunterschrift auf sich hat, aber die haben nie was gesagt.“ Er hält kurz inne, nippt an seinem grünen Tee. „Bayreuth war damals viel konservativer“, fügt er hinzu.

Lange Nächte mit dem Commodore

Michael Zöllner (38) ist seit zwei Jahren Professor für Mediendesign an der Hochschule Hof, Zweigstelle Münchberg. Mit Birgit, dem Mädchen vom Bild, ist er inzwischen verheiratet. Den Punk sieht man ihm heute nicht mehr an. Dem Klischeebild eines Professors entspricht er aber auch nicht: Mit Hoodie, Jeans und Sneakers wirkt Michael Zöllner eher wie der verschollene Bruder des Rappers Thomas D. von den Fantastischen Vier.

Als Mediendesigner lehrt er seine Studenten, große Datenmengen zu visualisieren. In Grafiken, Filmen, Anwendungen – das Medium ist beliebig, der Grundgedanke entscheidend: Komplexe Inhalte werden in eine klare, leicht verständliche Form übersetzt. Eine anspruchsvolle Tätigkeit, sowohl intellektuell als auch kreativ. Wie ist der Punk in der Kämmereigasse zum Professor in Münchberg geworden?

Aufgewachsen ist Michael Zöllner im Pegnitz der 70er und 80er Jahre. „Was ich heute mache, hat damals begonnen, mit dem Commodore 64“, erzählt er. Den 8-Bit-Computer bekam er als Fünft- oder Sechsklässler zu Weihnachten. Viele von denen, die heute Ende 30 sind, können Geschichten von durchzockten Nächten mit dem klobigen Gerät erzählen. Auch Zöllner. Aber er spielt nicht nur. Auf dem Commodore lässt sich programmieren. Michael Zöllner lässt Buchstabenfolgen auf dem Bildschirm tanzen, entwirft blinkende Muster und zuckende Figuren. „Ganz banale Sachen.“ Aber sein Interesse an den Gestaltungsmöglichkeiten in digitalen Medien ist geweckt. Und sein Ehrgeiz, es darin zur Meisterschaft zu bringen.

In seinem Büro erinnert heute ein Lego-Set mit den Figuren aus der Komödie „Zurück in die Zukunft“ an die 80er. Wenn Zöllner von seiner Jugend erzählt, vom Tüfteln an verschiedenen Computern, dann klingt das ein wenig, als habe er sich damals gefühlt wie Marty McFly, der unversehens in die Vergangenheit gerät und sich mühsam den Weg zurück in seine Gegenwart erkämpfen muss. In die digitale Welt, die damals noch in den Kinderschuhen steckt.

Goldgräberstimmung in Digitalistan

Nach dem Abitur nimmt er ein Designstudium in Würzburg auf. Er spezialisiert sich auf Interaktionsdesign, die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer. Noch während des Studiums heuert er bei Medienagenturen in Berlin an. Bald ist er öfter in der Hauptstadt als in Würzburg, entwickelt Online-Kampagnen für große Unternehmen. Es sind die Jahre des Dotcom-Booms: Investoren pumpen Unsummen in die neuen Medien. „Wir haben damals irre gut verdient“, erinnert er sich. In Berlin knüpft er auch Kontakte zu Internetaktivisten, beginnt, sich auch für die politischen Dimensionen der Digitalisierung zu interessieren. Es ist eine aufregende Zeit, er lernt viel. Trotzdem bleibt er nicht. „Ich wollte nicht mehr fremdbestimmt arbeiten“, erklärt er. Er nimmt seinen Abschied, steigt beim Fraunhofer-Institut ein, arbeitet in verschiedenen Kulturprojekten der Europäischen Union.

Die Realität - bloß besser

Sein Spezialgebiet: Augmentend Reality, erweiterte Realität. Gemeint sind Anwendungen, die ihrem Nutzer Zusatzinformationen verschaffen über die Umgebung, in der er sich befindet. Zöllner bastelt zum Beispiel ein Programm, das auf dem Smartphone-Bildschirm alle Tweets anzeigt, die im gefilmten Bereich versendet werden.

Als die EU ihre Kulturförderung zusammenstreicht, wird klar, dass die Fraunhofer-Leute künftig auch für die Rüstungsindustrie entwickeln müssen. Und Zöllner ist raus. Stattdessen bewirbt er sich in Hof, mit einem Trikot für seinen Hund Ianto:

 

Die Hofer sind begeistert. Und Zöllner ist Professor, mit 36.

Ein Wissenschaftler im konventionellen Sinn sei er aber nicht, sagt er: „Ich betreibe keine Grundlagenforschung. Ich mache Remixes. Ich nutze neue Technologien, um Bestehendes neu zu formulieren.“ Eine seiner Arbeiten hat es bis ins London Science Museum geschafft:

Das Cover der Joy-Division Platte „Unknown Pleasures“ (1979) ist ikonisch. Es zeigt Dutzende hintereinander angeordnete Radioimpulse. Und bot Michael Zöllner Gelegenheit, den neuen 3D-Drucker des Institutes auszuprobieren, indem er das Cover als Skulptur kurzerhand ausdruckte. Die Idee dazu sei ihm abends vor dem Fernseher gekommen, erzählt er: „In zwei Stunden war der Entwurf fertig!“

Die Hochschule unterscheidet sich freilich von seinen vorigen Arbeitgebern. Hochschulen sind gewaltige bürokratische Apparate. Wenn es im Winter kalt wird im Institut, kann der 3D-Drucker schon mal streiken.

Aber dafür kann er hier sein Wissen teilen. Eine Absolventin hat den Tanz einer Ballerina untersucht – wie schnell ist sie, wie bewegt sie sich und so weiter – und einen surrealen Film produziert, in dem bunte Körper diese Aspekte darstellen. Und tanzen. Informationen zum Tanzen bringen: Damit ist Michael Zöllners Job an der Hochschule Hof eigentlich ganz gut beschrieben.

„Licht und Schatten in der Kämmereigasse“? Findet er heute lustig. Und fügt grinsend hinzu: „Ein gutes Leben ist die beste Rache“ - der Titel eines Songs von Liedermacher Markus Wiebusch.