Meeses Parsifal: Das Mondkalb ist gelandet

Von Michael Weiser 
Erlösung von Erlösern: Parsifal kommt als Narr zurück zur Gralsburg und schafft das Wunder der Wundheilung mit dem Gipfel der Narretei. Foto: Jan Bauer Foto: red

Jonathan Meese lässt den "Parsifal" auf dem Mond landen - und feiert im Theater an der Wien in Wien einen fulminanten Erfolg. Von Science-Fiction-Retro und einem goldenen Erlöser-Narr erzählt unser Premierenbericht.

 
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Genau genommen hat Parsifal am Ende des zweiten Aktes ein Problem. Er hat den Speer vergessen oder findet ihn unhandlich oder was auch immer. Jedenfalls hält schließlich Kundry das Ding, sie steht in einer brennenden, aus Holz geflochtenen Figur, während Damiel Gloger als Parsifal in einem Kanu sitzend in den Sonnenuntergang rudert. Ausgerechnet mit Klingsor an Bord, der ganz froh ist, der finalen Auseinandersetzung ebenso entkommen zu sein wie seinem faden Alltag. 

Nur: Wie soll nun Parsifal im dritten Aufzug den Amfortas von seiner Wunde erlösen? Wo doch nur eine Waffe taugt?

Scharfe Kundry

Egal, mit solchen Kleinigkeiten muss man sich bei Jonathan Meeses Produktion für die Wiener Festwochen nicht aufhalten. Nicht bei diesem „Mondparsifal“, der außer einer Verbeugung vor Richard Wagner eines zu sein behauptet: ein Plädoyer für die absolute Freiheit der Kunst. Frei auch in der Antwort auf diese Frage: Wie wäre es, wenn Kundry und Parsifal einander doch so weit zugetan wären, dass die Verführung nur aufgeschoben und nicht abgewehrt wäre? Es könnte doch sein, dass Kundry-Barbarella (Magdalena Anna Hofmann) dem Parsifal den Speer oder vielmehr: den Blitz mitgebracht und nachgereicht hat, zum Zwecke erfolgreicher Heiltätigkeit im dritten Aufzug.

Ob einem diese Bilderspielwiese, dieser Zirkus der Albernheiten, dieses Assoziationsgewitter gefällt oder nicht, hängt entscheidend davon ab, wie man sich zu Wagner verhält. Ob man ihn am liebsten unterm Glassturz aufbewahrt, oder ob man auch den Clown in Wagner wahrnimmt, das Erratische, den Hang zur Grenzüberschreitung und zum Spiel. Kurz: Ob man in ihm einen fernen Vorfahren von Meese mit seiner Forderung nach der „Diktatur der Kunst“ sieht. Ach ja, Kundry als Barbarella - man hat diese Figur auch in Bayreuth schon wesentlich schwächer gezeichnet gesehen. Eine scharfe Verführerin: So ergibt auf einmal einiges einen Sinn. Und schon Wagner erzählte doch, dass Kundry in jeder Zeit in anderer Gestalt auftritt.

Rieseninteresse für den „Mondparsifal“

Kaum einer Produktion der Festwochen ist so viel Interesse entgegengeschlagen wie dem  „Mondparsifal“, was sicher daran lag, dass Jonathan Meese bekanntlich zu den Bayreuther Festspielen eingeladen und höchstpeinlich wieder ausgeladen worden war. Wollte in Wien jemand zeigen, was Bayreuth entgangen ist? Oder nutzte dort einer die Chance, die ihm der Affront von Bayreuth erst ermöglicht hat? Wohl beides. 

Immerhin beteuert Meese, für den Grünen Hügel ein anderes Konzept entwickelt zu haben. Und die „Mondparsifal“-Musik von Bernhard Lang ist tatsächlich eine Umarbeitung und keine Neuinterpretation. Die ersten Takte erinnern an das „Rheingold“, zum dritten Aufzug zitiert er aus der „Götterdämmerung“. Er hat eine fast schon eingängige „neue“ Musik geschrieben, dissonant, rau mitunter, Laien gewiss nicht überfordernd, sogar mit Jazzelementen drin. Man habe Teile von Wagners Musik auf den Mond geschossen, um sie dann neu zusammenzusetzen, hatte Lang zuvor gesagt.

Hervorragende Simone Young

Das Ergebnis ist eine fordernde Partitur, durch die Hamburgs Wagner-Spezialistin Simone Young das kleine Orchester hervorragend führt. Langs bevorzugtes Stilmittel sind Loops: Textzeilen und Melodieschnipsel drei-, vier-, fünfmal wiederholt, zu wenig, um einen in Trance zu versetzen; ausreichend, um den Zuhörer zum Nachdenken anzuregen; zu viel, um nicht mittendrin statisch zu wirken. Mittendrin, das heißt im zweiten Akt, der es wirklich in sich hat. Es gibt da schon Momente, in denen einen die Falsettstimme von Daniel Gloger ernsthaft auf Klingsors schnelles Einschreiten hoffen lässt.

Furioses Finale: Alles bunt, golden und gut

Was im dritten Akt schnell vergessen ist, auch weil Meese fürs Finale die besten und einprägsamsten Bilder vorgehalten hat. Fritz Langs „Nibelungen“ flimmern über den Vorhang und illustrieren, was für die Gralsritter die Strafe des Scheiterns wäre: Der Tod durch Eisen und Feuer. Es wird alles bunt, golden und gut, Gurnemanz (Wolfgang Bankl) tollt im Ganzkörperkostüm, Amfortas (Tómas Tómasson) ist wieder gesund, sogar die Blumenmädchen im Matrosenanzug dürfen sich unter die Gralsritter mischen, und Klingsor schuhplattelt in Lederhosen. Und vorne rechts steht ein Ei mit dem Konterfei der Mutter: Meeses Mutter, so etwas wie die Herzeleide dieses Parsifal. „Siehste“ steht drunter, man könnte ergänzen: Haste doch noch einen „Parsifal“ inszeniert. Und das auch noch mit dem fulminanten Martin Winkler als Klingsor, dem Alberich, dem in Bayreuth im selben Jahr wie Meese gekündigt worden war.

Wagner ist Wayne

Meese ist Filmliebhaber und zitiert John Wayne, John Sinclair und anderes wüst und fröhlich durcheinander. Kundry reicht den Balsam für Amfortas, und darunter seufzt der Chor „Timothy Leary, Timothy Leary.“ Sehr lustig, wirklich.

In seiner Mondstation inklusive Raumschiff lässt er Wagner auf Science-Fiction aus ferner Vergangenheit prallen. Zum Beispiel auf den Film „Zardoz“ mit seinem Protagonisten Zed, in dessen superknappes rotes Höschen Parsifal sich zum allgemeinen Vergnügen gezwängt hat. Das ist natürlich albern, aber auch nicht alberner als die Bärenfellkostüme zu Zeiten von Cosimas Regiediktatur. Der Unterschied, und jetzt wird’s für Altwagnerianer schmerzhaft: Wurde seit damals Wagners Werk wieder und wieder mumifiziert, könnte in Meeses Mythen-Humus etwas wurzeln.

Am Anfang stand leibhaftig Wagner auf der Bühne. Im dritten Akt ist da  nur noch eine Gliederpuppe. Das also ist der Gral? Konsequent heißt es ziemlich am Schluss leicht abweichend „Erlösung von Erlösern“. Zeit sich zu entgralen, der Kultur zu entsagen und etwas anderes zu wagen. Glaubt Neues, Kinder, glaubt vor allem an euren Spieltrieb und eure Freiheit. So lautet die farbenfrohe Botschaft, für die sich Meese und Young stürmischen Beifall abholen, mit ganz wenigen Buhs für die Regie. Ein Spektakel, in Wien bestens aufgehoben, für Bayreuth die absolute Erzüberforderung, auch ganz ohne Hakenkreuz und SS-Runen, ohne die ganz harte Kante, die man Meese gleichfalls zugetraut hätte. Im Herbst geht’s mit dem „Mondparsifal“ in Berlin weiter. Meese will dafür den Grünen Hügel nachbauen. Könnte spannend werden.

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