Immerhin beteuert Meese, für den Grünen Hügel ein anderes Konzept entwickelt zu haben. Und die „Mondparsifal“-Musik von Bernhard Lang ist tatsächlich eine Umarbeitung und keine Neuinterpretation. Die ersten Takte erinnern an das „Rheingold“, zum dritten Aufzug zitiert er aus der „Götterdämmerung“. Er hat eine fast schon eingängige „neue“ Musik geschrieben, dissonant, rau mitunter, Laien gewiss nicht überfordernd, sogar mit Jazzelementen drin. Man habe Teile von Wagners Musik auf den Mond geschossen, um sie dann neu zusammenzusetzen, hatte Lang zuvor gesagt.
Hervorragende Simone Young
Das Ergebnis ist eine fordernde Partitur, durch die Hamburgs Wagner-Spezialistin Simone Young das kleine Orchester hervorragend führt. Langs bevorzugtes Stilmittel sind Loops: Textzeilen und Melodieschnipsel drei-, vier-, fünfmal wiederholt, zu wenig, um einen in Trance zu versetzen; ausreichend, um den Zuhörer zum Nachdenken anzuregen; zu viel, um nicht mittendrin statisch zu wirken. Mittendrin, das heißt im zweiten Akt, der es wirklich in sich hat. Es gibt da schon Momente, in denen einen die Falsettstimme von Daniel Gloger ernsthaft auf Klingsors schnelles Einschreiten hoffen lässt.
Furioses Finale: Alles bunt, golden und gut
Was im dritten Akt schnell vergessen ist, auch weil Meese fürs Finale die besten und einprägsamsten Bilder vorgehalten hat. Fritz Langs „Nibelungen“ flimmern über den Vorhang und illustrieren, was für die Gralsritter die Strafe des Scheiterns wäre: Der Tod durch Eisen und Feuer. Es wird alles bunt, golden und gut, Gurnemanz (Wolfgang Bankl) tollt im Ganzkörperkostüm, Amfortas (Tómas Tómasson) ist wieder gesund, sogar die Blumenmädchen im Matrosenanzug dürfen sich unter die Gralsritter mischen, und Klingsor schuhplattelt in Lederhosen. Und vorne rechts steht ein Ei mit dem Konterfei der Mutter: Meeses Mutter, so etwas wie die Herzeleide dieses Parsifal. „Siehste“ steht drunter, man könnte ergänzen: Haste doch noch einen „Parsifal“ inszeniert. Und das auch noch mit dem fulminanten Martin Winkler als Klingsor, dem Alberich, dem in Bayreuth im selben Jahr wie Meese gekündigt worden war.
Wagner ist Wayne
Meese ist Filmliebhaber und zitiert John Wayne, John Sinclair und anderes wüst und fröhlich durcheinander. Kundry reicht den Balsam für Amfortas, und darunter seufzt der Chor „Timothy Leary, Timothy Leary.“ Sehr lustig, wirklich.
In seiner Mondstation inklusive Raumschiff lässt er Wagner auf Science-Fiction aus ferner Vergangenheit prallen. Zum Beispiel auf den Film „Zardoz“ mit seinem Protagonisten Zed, in dessen superknappes rotes Höschen Parsifal sich zum allgemeinen Vergnügen gezwängt hat. Das ist natürlich albern, aber auch nicht alberner als die Bärenfellkostüme zu Zeiten von Cosimas Regiediktatur. Der Unterschied, und jetzt wird’s für Altwagnerianer schmerzhaft: Wurde seit damals Wagners Werk wieder und wieder mumifiziert, könnte in Meeses Mythen-Humus etwas wurzeln.
Am Anfang stand leibhaftig Wagner auf der Bühne. Im dritten Akt ist da nur noch eine Gliederpuppe. Das also ist der Gral? Konsequent heißt es ziemlich am Schluss leicht abweichend „Erlösung von Erlösern“. Zeit sich zu entgralen, der Kultur zu entsagen und etwas anderes zu wagen. Glaubt Neues, Kinder, glaubt vor allem an euren Spieltrieb und eure Freiheit. So lautet die farbenfrohe Botschaft, für die sich Meese und Young stürmischen Beifall abholen, mit ganz wenigen Buhs für die Regie. Ein Spektakel, in Wien bestens aufgehoben, für Bayreuth die absolute Erzüberforderung, auch ganz ohne Hakenkreuz und SS-Runen, ohne die ganz harte Kante, die man Meese gleichfalls zugetraut hätte. Im Herbst geht’s mit dem „Mondparsifal“ in Berlin weiter. Meese will dafür den Grünen Hügel nachbauen. Könnte spannend werden.