Im Vordergrund steht am vierten Verhandlungstag, ob im Falle einer Verurteilung Mamdoh A.s das Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewandt werden könnte. Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Taten, die ihm zur Last gelegt werden, 18 Jahre alt.
Ja, was denn nun, tickt Mamdoh A. wie ein Erwachsener? Oder doch eher wie ein traumatisierter Jugendlicher? An Tag vier vor dem Landgericht im Prozess um den terrorverdächtigen Syrer Mamdoh A. kommt ein Privatdozent aus München zu Wort, der das psychiatrische Gutachten über den Angeklagten angefertigt hat. Er zeichnet ein völlig anderes Bild von Mamdoh A. als das der Jugendgerichtshilfe.
Im Vordergrund steht am vierten Verhandlungstag, ob im Falle einer Verurteilung Mamdoh A.s das Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewandt werden könnte. Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Taten, die ihm zur Last gelegt werden, 18 Jahre alt.
Persönlichen Kontakt mit ihm hatte der Gutachter nicht, Mamdoh A. wollte sich nicht psychiatrisch untersuchen lassen. Der Sachverständige durfte zudem weder die Gefangenen- noch die Gesundheitsakte einsehen, weil es kein schriftliches Einverständnis dafür gab.
Also stützte sich der Privatdozent bei seiner Einschätzung auf andere Akten, zum Beispiel Zeugenaussagen. Von Anfang an räumt der Gutachter ein, dass es "Unsicherheiten" gibt. Der Vorsitzende Richter Michael Eckstein klärt den Sachverständigen darüber auf, dass Mamdoh A. in seiner Heimat Syrien Augenzeuge öffentlicher Hinrichtungen geworden ist. Mindestens dreimal, wie A. betont.
Nun entspinnt sich eine Quasi-Exploration im Gerichtssaal. Der Gutachter stellt dem Angeklagten Fragen, die Mamdoh A. bereitwillig beantwortet. Der Psychiater will zum Beispiel wissen, ob die Beobachtung der Tötungen in seiner Heimatstadt Raqqa Folgen bei A. ausgelöst haben. "Ich habe Träume. Manchmal habe ich nachts nicht schlafen können", sagt der 19-jährige Beschuldigte.
Die Alpträume, aus denen er verschwitzt erwache, seien weniger geworden, seit er im Gefängnis sitzt, sagt er. Noch drei- bis viermal im Monat quälten sie ihn. Der Sachverständige: "Das kann man als posttraumatische Belastung interpretieren"
Dass Mamdoh A. den Hauptschulabschluss geschafft habe, spreche gegen eine verminderte Intelligenz, den genauen IQ konnte der Gutachter aber nicht messen. Geschätzt bescheinigt er dem Beschuldigten einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten.
In Syrien, so A., habe er nie Alkohol getrunken oder gekifft, in Deutschland schon. Mit Freunden habe er einmal pro Woche eine Flasche Whisky oder Wodka geleert. Der Psychiater will wissen, ob A. ein Alkohol- oder Drogenproblem habe, was dieser verneint. Am Ende sieht der Sachverständige beim Angeklagten weder Suchterkrankung noch posttraumatische Belastungsstörung. Er bescheinigt ihm weder eine andere psychische Erkrankung noch eine verzögerte Entwicklung.
Laut Gutachter war Mamdoh A. in Deutschland "völlig eigenständig". Er erkennt beim Angeklagten "keine Reifeverzögerung, sondern eher eine Beschleunigung der Reife". Auch A.s selbstständige Flucht über die Balkanroute spreche dafür.
Dietmar Marzodko ist Jugendgerichtshilfe. Er kennt Mamdoh A. nicht vom Papier, sondern persönlich. Und er entwirft ein völlig anderes Bild vom Angeklagten. Im Gruppentagebuch, das in der Einrichtung für minderjährige Flüchtlinge in Pegnitz geführt wird - dort war Mamdoh A. untergebracht -, stehe, dass der Angeklagte andere Flüchtlinge "mit mehr oder weniger derben Späßen gereizt" habe.
Eigenständig sei er nicht, seit seiner Zeit in Deutschland sei er unter ständiger Obhut von Fachpersonal gewesen. Ohne Begleitung wäre er vermutlich "abgesoffen". Er habe Schwierigkeiten, Verantwortung für sich zu übernehmen, selbstständiges Handeln sei nur bedingt zu erkennen. Mehrmals habe A. auf seiner Flucht umkehren wollen.
Seine Familie habe ihn aber ermutigt, nicht aufzugeben. A. habe immer wieder den Schulunterricht versäumt, Grund dafür waren seine Alpträume. Seine Freundin habe für ihn Hausaufgaben erledigt, habe ihn morgens geweckt. ?Ich gehe davon aus, dass Mamdoh bis zu seiner Verhaftung noch nicht die persönliche Reife eines Erwachsenen hatte?, so Marzodko. Richter Eckstein fasst die beiden Beurteilungen zusammen: "Zwei konträre Ansichten."
Die Verhandlung wird am Dienstag, 20. Februar, fortgesetzt.