Mal ätherisch, mal ein Kraftpaket

Von Michael Weiser
Alexandra Conunova an der Violine. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Alle hören auf die Stimme der Liebe: Allein wegen "Vox Amoris", einer Fantasie für Violine und Orchester von Peteris Vasks hätte sich das Kommen gelohnt. Aber da waren auch noch Mozart und Schubert. Kurz: Im zweiten Konzert der Kulturfreunde überzeugte  das Stuttgarter Kammerorchester, mit Alexandra Conunova als makellos und fast schon unterkühlt spielende Solistin.

 
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Einem Zuhörer rutschte die Hand aus. Unmittelbar nach dem ersten Satz von Mozarts Divertimento in B-Dur, KV 137, passierte das, ja, da riss jemanden die Begeisterung hin. Er klatschte. Nun macht „man“ das ja nicht mehr, nicht mehr mitten im Werk, seit Richard Wagner das Licht in den Sälen gelöscht und die Insassen jener Säle zur Ruhe und zur Konzentration auf die Schöpfung vergattert hatte. So erfolgreich, dass Wagner selbst bei einem spontanen Begeisterungsausbruch mitten in der Oper vom Publikum ausgezischt wurde.

Seitdem gilt im Konzertsaal aber irgendwie die strikte Trennung – zwischen denen da oben und denen da unten. Gottesdienst! Und eigentlich war es deswegen ganz gut so, dass im Zentrum einer klatschte. Ja, die Kulturfreunde leben noch. Und wenn es neben einem weiteren gelungenen Konzert eines Beweises bedürfen sollte, dann sei hörbare Freude erlaubt. Etwas weniger Strenge tut der klassischen Hochkultur ganz gut.

Hier tanzt der Dirigent

Zu Gast war im Europasaal des Zentrums das Stuttgarter Kammerorchester, und man muss sich auch erst einmal fragen, ob sich dieses im besten Sinne routinierte Ensemble von einem Zeichen guter Laune aus dem Takt bringen lässt. Die Musiker geben ja gut aufeinander acht, scherzen gar unterm Spiel. Die am besten gelaunten Musiker waren, keine Musikerwitze bitte, an den Bratschen zu finden. Und die Stuttgarter haben in Mattias Foremny einen Dirigenten, der mit vollem körperlichen – sollte man sagen tänzerischem? – Einsatz seine 17 Musiker zusammenhält.

Mit dem Händchen für Klangfarben. Fast so ätherisch wie ein Barockorchester klangen die Stuttgarter bei Mozarts Divertimento, wie ein Kraftpaket bei Schuberts für größere Besetzung arrangiertem Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“. ein Werk, das keinen Gegensatz von Knochenmann und blühender Liebe abbildet, sondern reine Musik, die so heißt, weil sie acht Takte aus Schuberts gleichnamigem Lied zitiert. Ätherisch-beschwingt bei Mozart und zupackend bei Schubert - das passte gut.

Harmonie ist die neue Neutönerei

Und: Die Stuttgarter präsentierten ein Werk von Peteris Vasks, „Vox Amoris“. Der zeitgenössische Lette komponiert – das ist nicht herablassend gemeint – schöne Musik, eine Musik, die von Spannung lebt und daraus Klangwelten von winterlicher Schönheit erschafft. Nein, Vasks ist keiner der krassen Neutöner. Aber vielleicht ist Harmonie die neue Neutönerei.

Absolute Musik, oder doch Musik, die zu einem inneren Film mit elegischen Landschaftsaufnahmen läuft? Sei’s drum – der Trick ist: Dissonanzen, höchste Leidenschaft – und dann: der Balsam dunkler Streicherstimmen. Man kennt das aus verschiedenen seiner Werke, diese gebrochene Violinstimme, dem Rauche gleich, der stets nach kältern Himmeln sucht. Und dann diese unfassbar schöne Antwort des Ensembles in einem Moll, das Tröstung verheißt.

Makelloser Ton

Alexandra Conunova war an der Violine bei „Pax Amoris“ zu erleben, mit einem makellosen Ton in wirklich jeder Lage, einer fast schon gläsernen Reinheit, mit einer lyrischen Führung der Melodie, die bei der ersten längeren Solostelle sogar ein bisschen glatt wirkte. Ein wenig mehr Kratzen, ein wenig mehr Widerborstigkeit hätte man vertragen – Sie wissen schon, wegen das Balsams hinterher und drauf.

Das aber sei erwähnt als Randnotiz eines durchwegs gelungenen Konzerts. Spannend, voller Wohlklang und Farbe, mit einer ziemlich impressionistischen Zugabe von Luis de Freitas Branco und noch einem Satz von Mozart hinterher. Da klatschten alle Zuhörer lang und hörbar begeistert. Jetzt durften sie ja auch.

INFO: Am Sonntag, 30. Oktober, um 17 Uhr gibt Claire Huangci im Zentrum einen Klavierabend, mit Domenico Scarlattis G-Dur-Suite, Johannes Brahms’ Variationen und Fuge über ein Thema von Händel op. 24 und Franz Schuberts Sonate Nr. 20 A-Dur. D 959.

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