Text-Collagen als neue Form der ganz persönlichen Gedichte: Die Musikerin und Autorin liest am Sonntag in Bayreuth Lydia Daher mischt die Lyrik auf

Lyrikerin, Musikern, Grenzgängerin: Lydia Daher wird als Gast des Literaturcafés am Sonntag eine etwas andere Lesung halten. Foto: red Foto: red

Dada machte es, David Bowie machte es – und nun erweckt Lydia Daher die  Technik zu neuem Leben: Cut-up-Lyrik, Text-Collagen als Gedichte. Die Slammerin, Musikerin und Lyrikerin eröffnet am Sonntag, 19. Oktober, um 19 Uhr im Phoinix die 10. Saison des Bayreuther Literaturcafés – mit einer Lesung, die den Rahmen des Herkömmlichen sprengt. Wir sprachen vorher mit ihr.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Zuletzt waren Sie mit ihrer Gitarre in Bayreuth und präsentierten Songs mit wunderbaren, versponnenen Texten. Worauf dürfen wir uns am Sonntag freuen?
Lydia Daher: Ich komme mit meiner letzten Veröffentlichung, das ist ein Buch mit dem etwas sperrigen Titel „Und auch nun, gegenüber dem Ganzen – dies“. Das sind 101 Collagen, genauer gesagt, Bild-Text-Collagen. Komplett aus Literaturkritiken und Bildern der jeweiligen Zeitungen zusammengesetzt.

Warum gerade Literaturkritiken? Ist das die Rache des Dichters an Literaturkritikern?
Daher: Nein, ich wollte mein Material eingrenzen, es wird ja so viel geschrieben und gedruckt. Ich find’s einfach nett, mit Literatur zu arbeiten. Und es ist doch ein schönes Gedankenspiel, wie aus Literatur Kritik und daraus wieder Literatur wird. Das gibt für mich mehr her als zum Beispiel der Sportteil.

Aber im Sport findet man oft so schöne Kriegsmetaphern. Wäre das für eine Lyrikerin nicht noch reizvoller gewesen?
Daher: Ich glaube, dass insgesamt im Kulturteil die Vokabeln breiter gefächert als im Sport. Wenn ich jede Woche einen Sportbericht auseinandergenommen hätte, dann hätte sich das bald erschöpft.

Fußballfan scheinen Sie auch nicht zu sein, und das, obwohl ihre Heimatstadt Augsburg in der Bundesliga durchaus gut mitspielt...
Daher: Fan – das wäre etwas übertrieben. Hm, nein, ich glaube, ein Fußballfan bin ich nicht. Ich wollte in meinen Texten ein breiteres Spektrum abbilden. Und so ist die ganze Arbeit etwas wirklich Persönliches geworden, was mich denn dann schon überrascht hat. Weil da aus komplett fremdem Material ein persönliches Buch entstanden ist. Es hat mich gewundert, wie nah dran etwas am eigenen Leben sein kann, wenn man einen fremden Text auseinandernimmt und wieder zusammensetzt, zu einer neuen Ordnung der Dinge. Ich hatte mir vorgenommen, jede Woche mindestens eine Collage zu machen. Am Ende waren über 150 daraus geworden.

An was arbeiten Sie im Moment? An neuen Cut-up-Projekten, diesmal vielleicht auch mit Texten des „Kuriers“?
Daher: Wenn Sie mein neues Buch besprechen, dann vielleicht. Nein, im Ernst, im Moment bin ich an anderen Projekten dran, die sich an der Schnittstelle zwischen Literatur und Kunst bewege. Ich habe eine Einladung von Institut für moderne Kunst in Nürnberg bekommen, und das ist schon echt ein Ding. Das wird eine Einzelausstellung, und das ist wieder ein Experimentierfeld für mich. Da sind auch andere Künstler dabei, mit denen zusammen ich etwas schaffe. Der Leiter des Instituts war bei meiner Ausstellung in Augsburg, er hat mir gesagt, dass er das gerne in Nürnberg haben würde. Er traut mir zu, dass ich neue Arbeiten dort präsentiere. Und jetzt bin ich gerade am Vorbereiten.

Haben Sie Ihre Gitarre beiseitegelegt?
Daher: Nein, Musik mache ich schon weiter. Ich bin im Moment sogar sehr stark dran. Ich habe Songskizzen gemacht, arbeite gerade im Studio, und im nächsten Jahr soll ein neues Soloalbum erscheinen. Außerdem mache ich gerade ein experimentelles Hörspiel zu meinem Buch mit den Collagen. Das wird im Frühjahr erscheinen. Und ich mache gerade ein Projekt mit einer algerischen Band zusammen. Ja, ich habe gerade eine sehr musikalische Phase. Deswegen bin ich viel unterwegs, in Berlin, in Köln. Viel Arbeit, aber das muss gehen.

Und doch finden Sie Zeit, am Sonntag Ihr Buch in Bayreuth vorzustellen?
Daher: Weil mir das Buch so am Herzen liegt. Und weil ich auch Lesungen so mag. Ich habe einen Beamer dabei, und mit dem kann ich zeigen und deutlich machen, was ich lese. Das finden auch die Leute toll, die mit Lyrik eigentlich nicht so viel anfangen können. Durch diese Lesungen ist ein ganz neues Publikum hinzugekommen. Über die Bildcollagen finden die Menschen einen neuen Zugang zur Lyrik. Ich finde das super, weil mir die Lyrik so viel bedeutet.

Dichter wirken mehr im Hintergrund und genießen nicht ganz so viel Öffentlichkeit. Doch über Sie wurde groß im Fernsehen berichtet. Hat sich bei Ihnen durch den BR-Beitrag etwas geändert?
Daher: Ich habe viel positives Feedback bekommen, sonst hat sich nicht so viel verändert. Klar, der eine oder andere hat den Beitrag im Bayerischen Fernsehen angeschaut und erkennt mich. Aber ich glaube, mich interessiert das auch gar nicht so großartig. Ich bin froh, dass es wieder ruhiger zugeht, ich arbeite lieber in Ruhe.

Wie verträgt sich das mit dem vielen Reisen? Sind Sie wenigstens jemand, der im Zug an Büchern arbeiten kann?
Daher: Nein, während dieser Fahrten erledige ich meistens meinen Papierkram. Darin bin ich ganz schlecht.

Das Gespräch führte Michael Weiser

INFO: Lydia Daher wurde als Kind deutsch-libanesischer Eltern in Berlin geboren und wuchs in Köln auf. An die Öffentlichkeit ging sie als Slammerin, 2005 wurde sie Dritte beim German International Poetry Slam in Leipzig. 2007 erschien Trikont die CD „Lydia Daher“ mit selbst geschriebenen deutschsprachigen Popsongs, seitdem, so die „Zeit“, „liegt Lydia Daher die musikalische Fachwelt zu Füßen“. Seitdem erschienen außerdem mehrere Bände Lyrik. Am Sonntag hält sie in Bayreuth eine visuelle Lesung, und zwar ab 19 Uhr im Phoinix. Die Lesung ist eine Kooperation des Literatur-Cafés mit dem Street-Art-Festival.

Autor