Lippert-Oratorium: Beflügelnde Liebe

Von Gordian Beck
Fast schon ein Geniestreich: Der Sonnenwagen ist das zentrale Element im Oratorium "Sonnenwinter" in der Ordenskirche. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Ein neues Werk von Michael Lippert - mit vertrauten Zügen: Der Kantor setzt beim "Sonnenwinter" auf märchenhafte Elemente, auf eine überwältigende Bilderflut und eingängige Musik. Warum aber scheint er dem Werk nicht zu trauen?

 
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Am Ende ruht der Blick nochmals auf der goldgelb schimmernden Scheibe, die da nun einer Dekoration gleich scheinbar schwerelos hoch über dem Altar der Ordenskirche St. Georgen schwebt. Im Licht der vielen kleinen Lampen, die nun das Kirchenschiff erhellen, ist von dem Zauber, der noch Minuten zuvor von ihr ausging, nichts mehr da. Wie denn auch zu Beginn dieser Uraufführung nicht im Entferntesten abzusehen war, welch visuelle Wucht dieses vom Bayreuther Kulturpreisträger Axel Luther entworfene Objekt namens „Sonnenwagen“ entfaltet, sobald es mit bewegtem Licht – für die Videos und die Lichtregie zeichnete Matthias Lippert verantwortlich - in Szene gesetzt wird.

Ein Geniestreich

Angesichts der simpel anmutenden Konstruktion - Altar und Orgelprospekt verhüllt ein großformatiger, schwarzer Tüllschleier, davor ist jene Scheibe gehängt - fast schon ein Geniestreich. Denn dieser Sonnenwagen, so denn er illuminiert ist, zieht einen sofort in den Bann und somit in die Geschichte hinein. Eine Geschichte, die von der immensen Kraft der Liebe erzählt, in der sich eine Königstochter derart nach dem Sonnenjüngling verzehrt, bis sie schließlich im Federkleid eines Vogels zu ihm hinauffliegen kann. Sie trotzt dabei den Pfeilen ihres Geliebten, die dieser in Unwissenheit auf sie abfeuert, sie überwindet die Schwerkraft, als sie ihr Federkleid verliert, bis sie sich am Ende in „wilder, inniger Liebe“ mit ihrem Sonnenjüngling vereinigt.

Klare Aussage

So schlicht, so stringent sich dieses Märchen erzählen lässt, so klar in ihrer Aussage, so unprätentiös in ihrer Formulierung kommt Michael Lipperts Musik daher; die Hofer Symphoniker, die ihm an diesem Freitagabend in Kammermusikstärke zur Seite standen, agierten dabei ebenso souverän wie konzentriert. Wobei es eher die leisen Töne waren, die berührten. Etwa, wenn das English Horn die Sehnsucht der Königstochter intoniert, in den antwortenden Streichern jedoch keinen Widerhall findet, da der Sonnenjüngling zu diesem Zeitpunkt noch nichts von der verzehrenden Liebe der Königstochter zu ihm weiß. Oder das Lied, mit dem sich die Königstochter – Ramona Friedrich gab sie mit dunkel eingefärbten, warmen in der Höhe leider etwas dünnen Sopran - in den Schlaf singt: eine charmante Bearbeitung Johannes Brahms Wiegenlied Op. 49. Oder das Streichquintett, das im Zusammenspiel mit dem English Horn die Szenerie nachstellt, in der ein blauer Vogel der Königstochter ein Federkleid überbringt, damit sie in den Himmel und ihrem Geliebten entgegenfliegen kann. Auch das eine musikalische Miniatur, die eine ob ihrer musikalischen Linienführung gefangen nimmt.

Königstochter im Marschtritt

Manch anderes, dagegen, verwunderte. Warum beispielsweise Lippert dem Flug der Königstochter einen Marschrhythmus unterlegte, der sich dann auch noch im vollen Spiel der Orgel wiederfindet? Oder, warum der in überaus klarer Diktion und konzentriert singende Chor der Kantorei Bayreuth St. Georgen auf einmal vom Deutschen ins Lateinische wechselte? Oder, warum Lippert sein „Sanctus“ gefühlt ein Dutzend Mal wiederholen ließ? Spannender, emotionaler wurde es nämlich dadurch nicht. Oder, und das ist die Kardinalsfrage, warum Lippert überhaupt versuchte, das ebenso sinnliche wie wundersame Märchen mit einem „Sanctus“ gleichsam einzufangen und damit in die Gottesdienstordnung, in das so genannte Ordinarium, zu pressen? Denn das hat dieses Märchen gar nicht nötig; es idealisiert die Liebe in einer Weise, die wahrhaftig vollkommen und damit göttlich ist. Man hätte es also damit einfach belassen können, zumal Lippert der eigentlichen Geschichte Texte unterlegt hat, die allesamt beides sind: wunderschöne Liebeslyrik wie inniges Gebet.

Und so bleibt am Ende der Eindruck eines Oratoriums, das sich leider irgendwie nicht selbst über den Weg traute.

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