Den Lastwagen auf der Gegenfahrbahn sah die 58-Jährige schon von weitem; der Autofahrer hinter ihr sah ihn wohl zu spät. Ihr Mann und sie wollen in ein paar Jahren in Rente gehen, für die Zeit danach hatten sie sich elektrische Fahrräder anschaffen wollen. Am Samstagmorgen liehen sie sich in einem Fahrradgeschäft in Bindlach zwei E-Bikes aus, für eine Probefahrt: den Bindlacher Berg zum Flugplatz hinauf, dann hinunter nach Allersdorf. „Es ging richtig gut“, sagt die 58-Jährige. Schnell seien sie nicht gefahren, nur etwa zehn Stundenkilometer.

Auf der Straße nach Allersdorf überholte sie ein Auto mit Anhänger, der Fahrer scherte zu schnell wieder ein. Sein Anhänger stieß gegen Vorderrad und Lenker des Fahrrads.

Drohende Berunfsunfähigkeit

Was danach passierte – daran kann sich die 58-Jährige nicht erinnern. Von ihrem Mann weiß sie, dass sie auf der Straße lag und blutete. Der Fahrer fuhr weiter. Andere Autofahrer hielten an und verständigten Krankenwagen und Polizei. Die Frau erlitt schwere Verletzungen, unter anderem eine schwere Quetschung an der Hand, die für die Frau – die von Beruf Näherin ist – Berufsunfähigkeit bedeuten könnte.

Dem ADAC zufolge gelten Landstraßen als die unsichersten Straßen Deutschlands. Das Problem sind zu enge Fahrbahnen, gefährliche Kreuzungen und unübersichtliche Kurven. Radfahrern fehlt, genauso wie Motorradfahrern, eine Knautschzone. Sie sind viel langsamer unterwegs und werden daher oft überholt. Wie im Fall der Bindlacherin führt das häufig zu extrem gefährlichen Situationen: Beim Überholen halten viele Autofahrer den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von 1,5 Metern nicht ein und fahren zu knapp an den Radfahrern vorbei. Dazu kommt, dass nicht alle Autofahrer ihre Geschwindigkeit reduzieren, wenn sie ein Fahrrad überholen.

Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) in Bayreuth, Thomas Neubauer, empfiehlt Radfahrern, selbstbewusster zu fahren – mit bis zu einem Meter Abstand zum Seitenrand. „Dann muss der Autofahrer zum Überholen auf die andere Spur wechseln“, sagt er.

„Verkehr ist komplex"

Peter Hübner, Verkehrssachverständiger bei der Polizei in Oberfranken, ist anderer Meinung. „Verkehr ist komplex. In manchen Situationen kann ein größerer Abstand zum Seitenrand gefährlich sein.“ Zum Beispiel, wenn entgegenkommende Radfahrer von überholenden Autofahrern übersehen werden, oder wenn Radfahrer stürzen und Autofahrer nicht mehr ausweichen können. Hübner empfiehlt, den Abstand zum Seitenrand so gering wie möglich zu halten. Den Radfahrern rät er, wenn möglich, auf Radwege auszuweichen. Im Internet gibt es das „Bayernnetz für Radler“, das es erlaubt, vom Computer aus Fahrradtouren zu planen.

In den Jahren 2010 bis 2012 gab es im Landkreis Bayreuth jedes Jahr etwa 30 Fahrradunfälle. In zwei Dritteln der Fälle traf den Radfahrer die Schuld. „Viele beachten die Verkehrsregeln einfach nicht, sobald sie auf dem Rad sitzen, oder fahren am Abend ohne Licht“, sagt Polizist Hübner.

Um die Gefahr für Radfahrer im Straßenverkehr zu reduzieren, rät die Polizei auch dazu, Helme aufzusetzen. In Deutschland gibt es bisher keine Helmpflicht für Radfahrer. Auf seiner Internetseite weist der ADFC Forderungen nach einer Helmpflicht als untauglich zurück – dadurch werde die Fahrradnutzung drastisch sinken und der Autoverkehr zunehmen.

Die Radfahrerin aus Bindlach hat zusätzlich zu der starken Quetschung an der Hand auch eine Kopfwunde. Sie trug einen Helm. „Zum Glück“, sagt sie – der Helm „sieht viel schlimmer aus“.

Fingerverlust abgewendet

Ihren Daumen will sich die Näherin allerdings erst anschauen, wenn er verheilt ist. Die Ärzte in der Handchirurgie in Erlangen tun ihr Möglichstes, um die Hand der 58-Jährigen wieder herzustellen. Bei dem Fahrradunfall wurde ein Finger so stark gequetscht, dass zunächst Gefahr bestand, sie könne ihn verlieren.

Nächste Woche wird sie noch einmal operiert. Wie lange es dann dauert, bis sie den Daumen wieder benutzen kann, um ihrem Beruf als Näherin nachzugehen, wissen auch die Ärzte in Erlangen nicht. „Ich werde nie wieder Fahrrad fahren“, sagt sie. Nordic Walking sei auch eine schöne Sportart.