Kulturfreunde-Start: Fast schon Hardrock

Balance ist wichtig: Theodore Kuchar in Aktion. Foto: Archiv der Slovak Sinfonietta Zilina/red Foto: red

Die Kulturfreunde starten in ihre neue Saison: Am Donnerstag wartet die Staatskapelle Weimar mit Bruckners 9. Symphonie und mit Brahms Violinkonzert auf, mit Tianwa Yang als Solistin. Mit dem ukrainisch-amerikanischen Dirigenten Theodore Kuchar sprachen wir über Konzerte gegen Violinen und Bruckners Bekenntnis.

 
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Tag, Herr Kuchar, schön, dass Sie gerade ein bisschen Zeit haben. Sie haben etwas Reisestress, hörte ich.

Theodore Kuchar: Ja, ich bin gestern erst in Weimar angekommen, eine erste Probe hatten wir schon, die nächste haben wir in einer Stunde. Es ist eine große Ehre, ich freue mich, das erste Mal in Bayreuth ein Konzert zu leiten.

Nach Jetlag hören Sie sich nicht an.

Kuchar: Nein, habe ich auch nicht, ich strotze vor Energie (lacht).

Energie für ein schweres Programm, die Umstellung auf die Staatskapelle und eine neue Solistin: Tianwa Yang, die für Catherine Manoukian eingesprungen ist.

Kuchar: Ja, Catherine Manoukian ist eine gute Freundin von mir, ich hatte mich schon sehr gefreut. Aber dann rief sie an, vor einer Woche, und sagte mir, dass sie kein Gefühl in der linken Hand hat. Einige Wochen darf sie keine Geige in die Hand nehmen. Wir spielten kürzlich in der Slowakei, in den Vereinigten Staaten, auch das Violinkonzert von Aram Chatschaturjan. Sie war in Bestform.

Und hätte am Donnerstag ein Stück von allerhöchsten Schwierigkeiten vor sich gehabt: Brahms Violinkonzert D-Dur.

Kuchar: Ach, Brahms, ja! Ich habe mit diesem Stück förmlich gelebt, zuletzt habe ich es mit dem 1. Konzertmeister der Berliner Philharmoniker gespielt, mit Noah Bendix-Balgley. Ich habe es schon mit Itzhak Perlman gespielt, mit Pinchas Zukerman, und noch mit einigen anderen. Es ist ein Stück, das ich sehr liebe. Und jetzt spielen wir es in Bayreuth. Das gibt neue Eindrücke, und ich freue mich sehr darauf.

Wo liegt für Sie am Donnerstag die spezielle Herausforderung?

Kuchar: Nirgendwo speziell. Ich habe einen ukrainischen Hintergrund, dirigiere Orchester in den USA und in der Tschechischen Republik. Ich kenne die Geschichte und die Tradition der Staatskapelle ganz gut. Es ist kein Geheimnis, dass Deutschland entscheidend die Grundlage der westlichen Kultur und unseres Berufs gestaltet hat. Schon wegen der symphonischen Tradition des 19. Jahrhunderts. Der verdanken all wir Musiker eine fantastische Erziehung. Sehen Sie, das Orchester in Cleveland (wo Kuchar seinen Abschluss machte, Anm. der Red.) war so etwas wie das erste europäische Orchester in den Vereinigten Staaten. Es hat eine sehr starke europäische Prägung, so wie viele amerikanische Orchester. Die aktuelle Generation ist, wenn man große amerikanische Orchester anschaut, erstmals zu fast hundert Prozent amerikanisch ausgebildet. Aber: Man kann sich gar nicht vorstellen, auf welchem hohen Niveau die spielen. Und das ist das Ergebnis der fantastischen europäischen Tradition.

Keine Probleme damit, dass Sie sich so kurzfristig auf einen neuen Solisten und ein neues Orchester einstellen müssen?

Kuchar: Ach nein, das passiert sehr oft, dass man einen Solisten zum ersten Mal trifft. Aber auch wenn du ihn kennst, musst du es immer so angehen wie beim ersten Mal. Wenn du ein Musiker bist , der seine Arbeit ernst nimmt, dann kannst du nicht stehenbleiben, du musst dich weiterentwickeln. Wir bleiben ja auch nie ein und derselbe Mensch.

Das Konzert von Brahms hielten manche Zeitgenossen für fast unspielbar. Kritiker sagten, es sei ein Konzert nicht für, sondern gegen die Violine.

Kuchar: Das ist es sicher nicht. Ein Konzert von Brahms ist wie eine Symphonie. Wenn man sich klassische Konzerte von Mozart oder Beethoven anschaut, ist die Unterscheidung zwischen den Rollen von Soloinstrument und Orchester als Begleiter klarer. Bei Brahms ist es monumental. Da muss man sensibel sein, um die Balance zwischen Solist und Orchester zu halten.

Weil das Orchester schon eine sehr dominierende Rolle spielt und nicht nur Begleiter ist.

Kuchar: Genau. Und da kann ein Dirigent viel tun. Die Tutti-Stellen müssen monumental kommen, aber dann muss er auch wieder die Freiheit geben, die der Solist benötigt. Und im zweiten Satz hört sich das auf einmal an wie Kammermusik, wenn zum Beispiel die Violine mal die Oboe begleitet. Jedes Instrument in seiner Individualität herauskommen zu lassen – das macht die Herausforderung aus.

Monumental ist auch Bruckners 9., vor allem der zweite Satz...

Kuchar: Er ist geradezu teuflisch, der zweite Satz. Das ist ein Scherzo nur dem Namen nach. Keine Frage, Bruckner wusste, dass das seine letzte Symphonie werden sollte. Er brauchte fast sieben Jahre dafür, er spürte, wie seine Gesundheit schlechter wurde. Ich glaube, das ist seine persönlichste Symphonie. Er spiegelte sich und seine Situation in ihr. Über die Momente von Schuld, über Ärger, Angst und Frustration. Sie ist sein Bekenntnis vor Gott.

Ein fast schon wütendes Bekenntnis.

Kuchar: Es gibt eigentlich nichts, was man mit diesem Scherzo vergleichen kann. Es ist vielleicht der körperlichste 2. Satz des 19. Jahrhunderts. Bruckners zweiten Sätze waren schon immer anders, von der 1. Symphonie an.

Aber dieses Scherzo klingt fast wie – wie Hardrock.

Kuchar: Ja, stimmt. Es hat übrigens seinen Grund, warum wir nach dem dritten Satz aufhören. Vom vierten hat man verschiedene Skizzen und Entwürfe. Wir wissen nicht mal, ob er den dritten Satz beendet hatte, bevor er den vierten skizzierte. Da gibt es Schroffheiten, Dissonanzen, solche Harmonien hatten wir noch nicht gehört. Er trifft in diesem Augenblick den Tod. Und als sich diese Schroffheit verflüchtigt, kommt nur noch Piano. Es muss ihm klar geworden sein, dass er den vierten Satz nicht mehr beenden würde. Das ist ein Gefühl von mir. Die Coda ist nichts als reine heitere Schönheit. Das ist sein Eintritt in den Himmel. Wissen Sie was?

Was?

Kuchar: Ein anderer Komponist hat ungefähr zu der Zeit auch seine 9. Symphonie komponiert, Dvorak, die aus der „Neuen Welt“. Für Dvorak war dies Amerika, für Bruckner das Jenseits.

Das Gespräch führte Michael Weiser

INFO: Die Staatskapelle Weimar spielt am Donnerstag (8.), in der Stadthalle um 20 Uhr. Karten an der Theaterkasse.

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