Körperwelten: Warum die Aufregung?

Michael Weiser

Ein Anatom entwickelt eine geniale oder zumindest gerissene Geschäftsidee. Ist das in Bausch und Bogen zu verurteilen? Tatsächlich können Gunther von Hagens "Körperwelten" dazu beitragen, an eine fundamentale Tatsache zu denken. Ein Plädoyer gegen die Verdrängung des Todes aus dem Leben.

 
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Ein Gerippe steigt eben erst aus der Grube, während die anderen Knochenmänner sich oben schon im Tanze drehen und einer gar einen Luftsprung wagt. Links steht ein Skelett, das auf einer Schalmei zu diesem makabren Reigen aufspielt. Michael Wolgemut, Lehrer Albrecht Dürers, schnitt seinen „Tanz der Gerippe“ 1493 ins Holz, als typisches Kunstwerk für eine Zeit, die von Unsicherheit und Umwälzungen geprägt war, in der Krankheiten, Kriege und Hunger die Menschen mehr oder weniger regelmäßig heimsuchten. „Totentänze“ bildeten das einzige ab, was sicher war: das Ende. Kaiser, Edelmänner, Priester, schöne Frauen, Bettler, Kaufleute, Soldaten, alle Menschen, gleich, wie herrlich oder elend sie zu Lebzeiten sind, werden Beute des Todes. Und: Den Zeitpunkt kannte niemand, sei deiner nie zu gewiss. In Zeiten, in denen Bilder Mangelware waren, können diese Bilder ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Mit Schaudern, aber auch fasziniert werden die Menschen jener Zeit diese Bilder betrachtet haben.

Einen besonders umstrittenen Totentanz führt zu unserer Zeit Gunter von Hagens auf, der durch seine Plastinationsverfahren und seine Körperwelten-Schauen berühmt und berüchtigt geworden ist. Auch bei ihm posieren gehäutete, entfleischte Körper und stellen das Leben nach, wie die Knochenmänner in den Totentänzen. Und wieder sind die Menschen fasziniert. Was hat sich sonst geändert?

Das wunderbare Geschenk des Körpers

Gunter von Hagens ist kein Bußprediger, er ist Anatom; ein Wissenschaftler, der sich ein Geschäftsmodell geschaffen hat. Er verdient Geld als Ingenieur, der eine komplizierte Apparatur erläutert: Seht her, so sieht diese Maschine unter ihrer Abdeckung aus, und so funktioniert ihre Mechanik. Diesen sachlichen Umgang mit Leichnamen – nicht gemalt, nicht aus Stein gemeißelt, echte tote Körper – finden Kritiker abstoßend. Man kann dagegen argumentieren, dass Menschen dadurch Verständnis für das wunderbare Geschenk ihres Körpers und Interesse für die Wissenschaft entwickeln. Das wäre kein geringer Nutzen. Die christliche Hoffnung auf Auferstehung richtet sich ohnehin nicht auf die Wiederbelebung des Körpers, der im Grab verfüllt.

Wir berichteten kürzlich über ein Ehepaar aus Neuenmarkt, das sich zur Zweitverwertung in den „Körperwelten“ bereiterklärt hat. Absonderlich? Das Paar stellte sich als offen, freundlich, normal heraus. Wenn die beiden irgendwo abwichen, dann mit dem Maß ihrer Entspanntheit. Vermutlich, weil sie sich lange und ziemlich gründlich mit der Frage ihres Nachlebens beschäftigt hatten. Immerhin mussten sie vor ihrer Aufnahme als Körperspender dicke Fragenkataloge durcharbeiten. Beide wissen, dass der Tod die fundamentale Tatsache des Lebens ist. Sie haben ihre Geschichte zu Ende gedacht. Damit sind sie weiter als viele Menschen in Deutschland.

Wir sind weiter. Sind wir klüger?

Seit dem Mittelalter hat sich viel getan, tatsächlich war frühes vieles schlechter. Heute lebt man besser und stirbt später. Man stirbt aber immer noch. Das ist unangenehm, entzieht sich vor allem nach wie vor der menschlichen Kontrolle. Womöglich sind deswegen von Hagens’ Schauen so umstritten, weil sie diese Tatsache drastisch vor Augen führen. Wir schieben ihn sonst doch so weit weg wie möglich. Und wenn wir mal ganz kurz daran denken, dann hoffen wir, dass er schnell und überraschend kommt. Das wäre für die Menschen des Mittelalters ein Graus gewesen: plötzlich abberufen zu werden, ohne Gelegenheit bekommen zu haben, seinen Frieden mit Gott und der Welt zu machen. Wir sind anders als unsere fernen Vorfahren. Man kann grübeln, ob wir klüger sind.

michael.weiser@nordbayerischer-kurier.de