Kommission zu Integration wird eingesetzt

Seit Jahren umstritten: Was ist Leitkultur? Und warum will die CSU für Bayern eine eigene Leitkultur, die außerdem definieren soll, wie Migranten im Freistaat leben? Auf dem Foto der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) beim CSU-Parteitag 2015 in München. Archivfoto: Sven Hoppe/dpa Foto: red

Der Landtag kommt am Dienstag und Mittwoch zu den letzten beiden Plenarsitzungen vor der Sommerpause zusammen. Ein Hauptpunkt: Am Dienstag soll eine Enquete-Kommission zum Thema Integration eingesetzt werden. Dem Gremium werden - das ist das Wesen von Enquete-Kommissionen - auch mehrere Wissenschaftler angehören. Vorsitzender wird der Nürnberger SPD-Abgeordnete Arif Tasdelen.

 
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Die Kommission soll sich intensiv mit der Situation von Migranten in Bayern sowie mit den Chancen, Risiken und Herausforderungen für eine gelingende Integrationspolitik im Freistaat beschäftigen.

Auf Drängen der CSU ist auch der umstrittene Begriff einer "Leitkultur" im Einsetzungs-Antrag enthalten. So soll im Rahmen der Kommissionsarbeit insbesondere "darauf eingegangen werden, was der Begriff der Leitkultur bedeutet und umfasst und welchen Beitrag er zu einer gelingenden Integration leisten kann", heißt es in dem Papier.

Integration nur mit Leitkultur?

Die Einbringung einer eigenen Definition von "Leitkultur" in Bayern sorgt seit Monaten für Streit. Zuletzt hatten auch die zum geplanten bayerischen Integrationsgesetz angehörten Verbände den als Bezugspunkt für Integration gewählten Begriff der Leitkultur einhellig und zum Teil vehement abgelehnt - von der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte über das Bayerische Rote Kreuz, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Mieterbund, kommunale Spitzenverbände, Wohlfahrtsverbände bis hin zur evangelischen und katholischen Kirche.

Darf ein Rechtsstaat kulturelle Ausprägungen definieren?

Es sei diskussionsbedürftig, „ob es Recht und Aufgabe des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats sein kann und darf, eine Leitkultur gegenüber anderen kulturellen Ausprägungen zu präferieren oder gar vorzugeben“, schrieb der Landeskirchenrat.

Auch das Rote Kreuz hat Bedenken. Kultur sei nicht statisch, mahnt die Hilfsorganisation: „Wenn die Kultur eines Milieus als Momentaufnahme im Verlauf der Geschichte zur Leitkultur erklärt wird, wird das Wesen von Kultur verkannt.“

DGB und IHKs skeptisch

Der Begriff der „Leitkultur“ werde von der Staatsregierung nicht zwingend definiert und sei damit einer fast grenzenlosen Beliebigkeit unterworfen, mahnt der DGB Bayern: „Die Leitkultur bleibt ein interpretationsfähiger Begriff, der zum Ziel der Integration gemacht werden soll“, kritisiert die Gewerkschaft. Auch die Industrie- und Handelskammern sind skeptisch.

Thema seit 2010

Der Vorsitzende der CSU-Grundsatzkommission, Markus Blume, hatte Anfang des Jahres in Wildbad Kreuth Eckpunkte für die Definition einer „Leitkultur“ vorlegen. Im Kern gehe es auch um das Bekenntnis zur deutschen Sprache, die Akzeptanz von Traditionen und eine Definition von Toleranz. Zuwanderer sollen in Bayern durch eine Verfassungsänderung zur Achtung deutscher Grundwerte verpflichtet werden. Welche Grundwerte das sind und wie man sie formuliert, soll in Wildbad Kreuth aber nur andiskutiert werden, hieß es.

Zuletzt hat die CSU mit Thema und Begriff "Leitkultur" 2010 für Schlagzeilen gesorgt.

dpa/kfe

Hintergrund Leitkultur:

(kfe). Der Begriff ist seit 2000 im Repertoire der politischen Diskussion, direkt im Zusammenhang mit Flüchtlingen und als Gegen-Wort zu Multikulturalismus, aber er ist eigentlich noch älter und meint etwas noch Umfassenderes.

Die CSU hat ein Bekenntnis zur "deutschen Leitkultur" bereits seit September 2007 in ihrem Grundsatzprogramm. Ebenfalls 2007 griff der damalige CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla den Begriff für das CDU-Parteiprogramm auf - im CDU-Grundsatzprogramm gibt es seit Anfang Dezember 2007 den Begriff „Leitkultur in Deutschland“. Laut CSU-Zeitung Bayernkurier definierte 2010 der damalige Generalsekretär der CSU, Alexander Dobrindt, die deutsche Leitkultur als "das Christentum mit seinen jüdischen Wurzeln, geprägt von Antike, Humanismus und Aufklärung."

Mitten in der Diskussion um den Begriff "Leitkultur" 2010 veröffentlichte der Journalist und Kulturwissenschaftler Mark Terkessidis sein Buch "Interkultur" bei Suhrkamp, in dem er nahelegt, warum es nicht gut ist, dass Menschen nur auf ihre Herkunft und damit ihre Kultur reduziert werden, eben weil sich Kulturen vermischen und damit auch die deutsche Kultur verändert wird, andererseits aber auch nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass Multikulturalität "als unverbindlich-tolerantes Nebeneinander" verstanden wird. Terkessidis sagte schon damals, Integration habe in Deutschland nicht wirklich stattgefunden, wenn es um tatsächliche Teilhabe von Menschen in allen Bereichen des Lebens ginge und plädierte für radikal neue Begriffe und Bewertungen. Und er machte darauf aufmerksam, dass sich Deutschland ja erst seit 1998 (auch) als Einwanderungsland definiere.

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