Klingsor: Kein einfacher Bösewicht

Von Michael Weiser

In Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung sammelt er in seiner Zauberburg Kreuze, wirkt religiös dennoch ein wenig orientierungslos und ist als der Böse vom Dienst überaus grüblerisch: Gerd Grochowski ist der Klingsor des Bayreuther Festspielsommers 2016. Mit dem Kurier sprach er über seine Rolle, über Utopien, den Reiz der dunklen Rolle Klingsors und die Heuchelei der Gralsritter. Und über Sünden beim Parken.

 
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Weil's ja die ganze Zeit ein Thema ist: wie kommt Klingsor mit den strengen Sicherheitsvorkehrungen in seinem Zaubergarten zurecht? Haben Sie die Kontrollen beeinträchtigt?

Gerd Grochowski: Eigentlich nicht. Man merkt es, wenn man ankommt. Man stellt das Auto ab, muss an zwei Zäunen seinen Ausweis zeigen. Es wird schon genau hingesehen. Dass wird sehr ernst genommen. Aber wenn man die Garderobe erreicht hat, dann die Bühne - dann gibt es auch keine Security mehr. Also, so sehr hat mich das nicht gestört.

Schockiert, dass Nelsons von Bord gegangen ist

Das war nicht die letzte Störung. Wie verdaut man das, wenn ein Dirigent so überraschend das Handtuch wirft?

Grochowski: Wir waren alle sehr traurig und auch schockiert, dass Nelsons von Bord gegangen ist; wir haben ihn und die Arbeit mit ihm wirklich sehr geschätzt und genossen.

Etwas Schönes und Neues

Wie kommt man damit zurecht, bei so wenigen Proben?

Grochowski: Nun, das war für uns alle eine große Herausforderung, war doch in den vorangegangenen Wochen in der Zusammenarbeit mit Nelsons, Laufenberg und uns Sängern, in der Verbindung von Musik und Regie, schon sehr, sehr viel zusammen gewachsen. Und das war natürlich auch für Hartmut Haenchen nicht so ganz leicht, so unvermittelt und neu zu uns zu stoßen. 

Wie ist es mit Hartmut Haenchen – ist der wirklich so gut vorbereitet, wie alle sagen?

Grochowski: Das merkt man sofort, dass er das Stück sehr genau kennt und auch ganz genau weiss, was er da will. Trotz der anfänglichen Ruckeleien, die Karten wurden ja auf einmal zumindest teilweise ganz neu gemischt, ist letztendlich doch etwas sehr Schönes und Neues entstanden. Ich freue mich sehr auf die weiteren Vorstellungen!

Den Regisseur hingegen kennen Sie schon ein bisschen länger...

Grochowski: Ich habe ihn beim Ring in Linz kennengelernt. Das erste Mal  hatte ich als Wotan mit Uwe Eric Laufenberg zu tun, mit dieser Linzer Produktion kommen wir auch an sein Haus in Wiesbaden. Bei seiner Inszenierung von "Herzog Blaubart" im letzten Jahr in Wiesbaden war ich auch dabei. Wir haben also schon einiges miteinander gemacht.

Fruchtbare und angenehme Arbeit

Zu welcher Kategorie von Regisseur würden Sie Uwe Eric Laufenberg zählen?

Grochowski: In Kategorien möchte ich gar nicht denken. Er ist immer so wahnsinnig gut vorbereitet. Die ersten Proben waren eigentlich schon so mit Informationen vollgepackt, dass man sofort einsteigen konnte. Man bekommt  ein Gefäß bereitgestellt,  das man übernehmen und dann füllen kann. Es funktioniert einfach alles. Den "Parsifal" hatten wir nach zweieinhalb Wochen schon durchgestellt. Man hat wirklich was in der Hand, und das nach sehr kurzer Zeit. So gewinnt man als Darsteller Raum für die individuelle Gestaltung einer Rolle. Ich würde sagen, das ist eine sehr angenehme, fördernde Arbeit. Da qualmen die Köpfe, wenn Laufenberg wieder was mitbringt, man hat aber auch was in der Hand. Und er ist ein sehr herzlicher Mensch. Die Arbeit mit ihm sehr ist fruchtbar und sehr angenehm.

Eine neue religiöse Utopie

Der "Parsifal" von Laufenberg soll aber die ganze Diskussion um die Sicherheit bei den Festspielen  mit ausgelöst  haben. Finden Sie es gerechtfertigt, dass man sich über diese Inszenierung in dieser Hinsicht den Kopf zerbricht?

Grochowski: Dazu muss ich zweierlei Dinge sagen. Die Gesamtlage ist politisch so, das alles, was sich  in irgendeiner einer Form in der Öffentlichkeit abspielt, als Zielscheibe missbraucht werden könnte. Leider ist das so. Was die Inszenierung betrifft, gibt es da nicht wirklich einen Punkt, an dem man fürchten müsste, der Islam werde verunglimpft. Gut, es gibt da Frauen in Burka, aber ich sehe da nichts Respektloses. Dass diese Frauen irgendwann dann die Burka ablegen, empfinde ich nicht als Provokation. Ich möchte gerne auch etwas zum Wort "islamkritisch" sagen.

Tun Sie sich keinen Zwang an.

Grochowski: Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Wagner im Parsifal ein Stück Religionskritik geübt hat. In dem Sinne, dass er die dogmatische Ausrichtung der Kirche kritisiert. Wagner hat viel Feuerbach gelesen und ist von seinen Schriften wohl sehr geprägt worden. Und dann kommen seine eigenen Gedanken über den Tod dazu. Das alles wird man in der Inszenierung wiedererkennen. Man wird auch die Vorstellung der Utopie eines religiösen Diskurses finden, gleichberechtigt und offen. Als Form einer neuen religiösen Utopie.

Und die Nackten auf der Bühne? Was sagt uns die bloße Haut?

Grochowski: Es geht um das Bild der „entsündigten“ Natur. Wissen Sie, die Runde der Gralsritter entspricht so gar nicht dem Vorbild des aufopferungsvoll liebenden Christus. Sie hat sich selbstzufrieden zurückgezogen, wie auf eine Insel. Und sie ergeht sich ausschließlich in ihren eigenen Ritualen. Noch schlimmer: Sie erklärt die Verbindung von Sexualität und Liebe, die Verführung des Bewusstseins durch Schönheit der Natur zur Sünde.

Klingsor ist ein Suchender

Herausgefordert wird diese Gesellschaft ausgerechnet durch Sie, Klingsor, den abtrünnigen Gralsritter.

Grochowski: Ich finde die Rolle sehr interessant. Was ich betonen möchte: Ich sehe in Klingsors Welt gar nicht so sehr einen Gegenentwurf zur Runde der Gralsritter. Er ist ein Suchender, bei ihm kommt alles zu Tage, was diese Gemeinschaft verdrängt. Sie verleugnet wichtige Teile der Natur. Womit vor allem die Sexualität gemeint ist. Für mich ist nicht Klingsor der Böse und die anderen die Guten. Er ist nur die Zuspitzung. Der Frevel. Amfortas benutzt den Speer als Waffe, und jeder der ihn nutzt, steht vor dem Problem, das sich diese Waffe gegen ihn selber richten wird.  Erst Parsifal ist derjenige, der den Speer richtig nutzt, nicht als Waffe, sondern als Heilmittel. Was Klingsor und Amfortas verbindet, ist tatsächlich der Frevel, den Speer als Waffe zu nutzen. Die Figuren hängen interessant zusammen.

So verliert ja auch Amfortas den Speer - indem er ihn als Waffe gegen sein Spiegelbild Klingsor einsetzen will.

Grochowski: Die Gemeinschaft der Gralsritter ist eine heuchlerische Gesellschaft. Klingsor ist die Zuspitzung dessen, was diese Gesellschaft an Erlösungszwang und Unerlöstsein mit sich bringt. Als musikalischer Gegenentwurf dazu ist die Musik mit den Lustmädchen aufblühend, verführerisch, wunderschön. Hier wird Wagner zum Psychologen, weil er uns überreden will, diesen Teil der Natur anzunehmen, als Teil der göttlichen Schöpfung. Vielleicht ist es ihm überhaupt nur in der Musik gelungen, diese Versöhnung herbeizuführen, was er übrigens in seinen Schriften nie erreicht hat. In der Musik wird für einen Augenblick alles aufgelöst. Für einen Augenblick sind wir wirklich versöhnt.

Die Überwindung des Individuellen im Tod

Es gibt Ideen, dass diese Gestalt des sich selbst entmannenden Klingsor eine ironische Selbstreferenz Wagners sei, des Erotomanen, der seinen Trieb verwünschte…

Grochowski: Hm, das sind diese Gestalten von Wagner, die deswegen so interessant sind, weil sie mehrdimensional sind. Weil sie uns ein Wesen zeigen, das mit sich in einem Konflikt ist und darin versagt, aufgrund einer Schwäche. Das ist tragisch, Da beginnt die Spirale, die Verwicklung, der Abstieg. Es,gibt Figuren, die komplett abstürzen, aber auch die Helden, die sich selbst entäußern, dire aussteigen aus dieser Spirale. Wotan zum Beispiel: In dem Moment, da er loslässt, wird er zum Helden. Aus einem Konflikt der selbstverschuldet ist, aus diesem Konflikt sich irgendwann herauszubewegen, durch eine schicksalhafte Tat - wie das funktioniert, fasziniert mich. Beim Holländer weniger, aber bei Wotan ist das so: In dem Moment, da er das Ende will, wird er frei. Da kann er loslassen. Das geht tief in Wagners Gedankenwelt hinein. Dieses Festhalten an der individuellen Existenz, (in) an einem ewigen Leben der Seele, ist für ihn keine Verheißung. Im Gegenteil: Es geht um die Überwindung des Individuellen im Tod.

Der traumlose Schlaf als Erlösung?

Grochowski: Angesichts dieses Zwangs, dieser Todesangst - ja. Diese Angst bringt Eigenschaften hervor, die sich verheerend auswirken. All diese bösen Dinge in Wagners Dramen werden eigentlich aus dieser Todesangst gespeist. Wagners Idee war, dass der Mensch seine Endlichkeit annimmt und daraus seine Fähigkeit zum Mitleid schöpft. Diese Vollendung wird uns nur in seinen Musik zuteil. In den letzten Minuten des "Parsifal"  - da ist die Utopie Wirklichkeit geworden.

Die Beschäftigung mit Wagners Gestalten inspiriert mich

Ich merke, Sie haben nicht nur die Noten des "Parsifal" gelesen.

Grochowski: Ich lese überhaupt gerne, suche mir gerne den Hintergrund auch für meine Rollen.

Ein sehr spezieller, sehr Intellektueller Zugang zu Wagners Werk.

Grochowski: Aber nein. Man muss transparent sein auf der Bühne, aber die Beschäftigung mit dem Stoff ist schon sehr interessant. Diese Beschäftigung mit dem Stoff, mit den Gestalten Wagners - das inspiriert mich auch.

Klingsor verletzt Regeln. Wann haben Sie als Gerd Grochowski Ihren letzten Frevel begangen?

Grochowski: Beim Falschparken in einer Parkzone. Der Apparat war kaputt, ein Zettel wies darauf hin, nun gut, ich legte keinen Zettel in mein Auto. Zahlen habe ich trotzdem müssen. Und natürlich mehr, als ein Ticket gekostet hätte. Ja, das war sozusagen mein letzter Regelverstoß. Aber Frevel - nun, das ist ein starkes Wort. Man ist ja vielen Energien ausgesetzt. Ich bemühe mich, viel Licht in meine eigene Person zu bringen. Das ist die Energie, die ich auf der Bühne brauche. Um einer Gestalt wie Klingsor Licht und Schatten zu geben. Wie gesagt: Ein einfacher Bösewicht ist das nicht. Wenn er so einfach gestrickt wäre, würde er uns auch nicht interessieren.

 

 

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