Kleine Erfolge beim Snooker-Selbstversuch

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Die perfekte Haltung: Der ambitionierte Snooker-Spieler Nicolai Gebhardt (links) macht sie vor, Sportredakteur Torsten Ernstberger geht nicht ganz so weit nach unten. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Man sitzt vor dem TV und ist beeindruckt – in wenigen Minuten fegt Snooker-Star Ronnie O’Sullivan den Tisch leer. Alle Kugeln sind in den Taschen. Doch wie viel Konzentration, Präzision und Taktik in dieser Sportart steckt, wird erst klar, wenn man selbst an dem großen Tisch steht – ein Selbstversuch.

 
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Foul – das war eindeutig ein Foul. Die schwarze Kugel hätte er nicht einlochen dürfen. Das heißt: Ich führe, 8:1 nach drei Stößen. Außer eine rote Kugel zu versenken, habe ich nicht viel dazu beigetragen – aber egal: Ich führe. „Es gibt beim Snooker eben keinen einfachen Ball“, sagt Nicolai Gebhardt kurz nach seinem verunglückten Stoß. Wie recht mein Gegner und Snooker-Lehrer hat, werde ich bald erkennen.

Es ist gemütlich im ehemaligen Heimatmuseum in Goldkronach, wo sich der Snooker-Club zum Training trifft. Es herrscht eine Atmosphäre wie in einem englischen Pub. Schummrige Beleuchtung, nur über den drei Snooker-Tischen erstrahlt mehr Licht. Und die Tische sind groß, richtig groß. 3,5 Meter lang, 1,7 Meter breit. Darauf liegen 15 rote Bälle, sechs anders farbige und eine weiße. Die größte Tücke sind die Löcher: Sie sind abgerundet – was es für Anfänger schwierig macht, die Kugel zu lochen. Geht sie an die Rundung, springt sie meist wieder heraus.

Es kommt auf Zentimeter an

„Beim Snooker muss viel präziser gespielt werden als beim Billard mit den eckigen Taschen“, sagt Gebhardt. „Man muss auf den Zentimeter oder Millimeter genau spielen.“ Das macht für ihn zusammen mit der Taktik die Leidenschaft des Snookerspielens aus. Profis planen nicht nur den nächsten Stoß, sie haben bereits das ganze Spiel (Frame) im Kopf.

Die farbigen Kugeln in den Taschen zu versenken, ist das eine, mindestens genauso wichtig ist es, die weiße Kugel zu stellen. Sie muss so zum Stillstand kommen, dass der Spieler selbst eine gute Position für den nächsten Stoß hat oder dass der Gegner keine Chance hat, eine freie Kugel anzuspielen – also zum Foul gezwungen ist.

Aus Vorsprung wird klarer Rückstand

Wie das geht, zeigt Gebhardt. Während ich nur für einen Stoß am Tisch stehe, räumt der 24-Jährige ab: Rote Kugel – passt. Grüne Kugel – sitzt. Rote Kugel – drin. Gelbe Kugel – Treffer. Rote Kugel – fällt. Und ähnliche Serien hat er bereits vorher gespielt. Aus meiner Führung ist ein 8:43-Rückstand geworden. Erst jetzt schwächelt der Hollfelder, der für sein Hobby mindestens zweimal pro Woche die 45-minütige Fahrt nach Goldkronach in Kauf nimmt – die braune Kugel bleibt auf dem Tisch, und die weiße liegt so, dass eine rote versenkt werden kann.

Mit gutem Stand klappt auch der Diagonalball

Ich reibe Kreide auf die Lederspitze meines Queues, peile die Kugel an – hochprofessionell, denke ich mir, und gehe in die Konzentrationsphase. „So triffst Du nichts“, unterbricht mich Gebhardt mit einem Schmunzeln im Gesicht. „Dein Stand ist viel zu wackelig.“

Er hat recht. Ich mache einen Buckel wie der Glöckner von Notre Dame, dazu einen angedeuteten Spagat. Das Spielgerät hallte ich so fest wie ein Gewichtheber eine Hantel. Es muss für Gebhardt so komisch ausgesehen haben, dass er sogar kurz die „gute Kinderstube“ vergisst und mich kurz vor dem Stoß stört. Normalerweise ist das undenkbar: Snooker ist ein Gentlemansport. Man begrüßt sich per Handschlag, klatscht Beifall bei guten Aktionen des Gegners und entschuldigt sich, wenn eine Kugel glücklich fällt. Fairness geht über alles.

Fair war auch, dass Gebhardt mich unterbrochen hat: Jetzt suche ich festen Stand, bilde mit dem Zeigefingerknöchel und dem Daumen ein kleines Dreieck in dem der Queue läuft, habe das Kinn am Queue, bilde mit dem Stoßarm einen rechten Winkel zum Boden und halte das Spielgerät relativ locker. Die Spitze trifft die weiße Kugel, die eine rote und – Treffer. Diagonal über den ganzen Tisch. „Wow, sagt Gebhardt. „Super! Das war dein bester Stoß, du lernst sehr schnell.“

Schnell stellen sich Erfolgserlebnisse ein

Snooker ist eine Sportart, bei der sich schnell Erfolgserlebnisse einstellen. Und das nicht nur, weil die Spielregeln einfacher sind, als ich es vermutet hatte. Mit einigen Tipps eines routinierten Spielers klappt sogar beim fünften Versuch ein Rückläufer. Ich spiele die weiße Kugel weit unterhalb der Mitte an, dann rollt sie nach dem Kontakt mit dem farbigen Ball zurück in meine Richtung.

„Als ich vor drei Jahren mit dem Snooker angefangen habe, habe ich im ersten halben Jahr sehr viel gelernt“, sagt Gebhardt. „Doch dann kommt eine Phase, in der nicht viel klappt. Da muss man dann dran bleiben.“ Er hat das geschafft, er spielt für den Post-SV Hof in der Verbandsliga und peilt nun zeitnah den Sprung in den Zweitligakader der Hofer an. Da brauche ich mich als Snooker-Debütant nicht schämen, dass mein Premierenspiel mit 9:78 verloren ging. Aber hey – ich habe geführt!

Billard auf die feine englische Art

Unbedingt weißes Hemd, Weste, Fliege und unter gar keinen Umständen Jogginghose oder Jeans – die Kleiderordnung ist beim Snooker unumstrittener Bestandteil des Regelwerks. 2003 hat es einmal einen Vorstoß gegeben, bei den Profis wenigstens den Zwang zur Fliege abzuschaffen, aber das wurde nach einem Jahr schon wieder verworfen. Nur ein ärztliches Attest kann von diesem Detail des Dresscodes befreien.

Ebenso zwingend wird bei den Spielern gutes Benehmen vorausgesetzt. Man erwartet, dass ein unzulässiger Stoß („Foul“) sofort selbst angezeigt wird, auch wenn weder Gegner oder Schiedsrichter die Regelwidrigkeit bemerkt haben. Snooker ließe sich also als Billard als die feine englische Art bezeichnen – und das ist kein Zufall: Die Spielidee wurde 1875 von vermutlich im Dienst nicht ganz ausgelasteten britischen Kolonialkräften in Indien erdacht. Die Grundzüge sind dabei hauptsächlich folgende:

Ausstattung: Wie andere Billard-Tische auch ist der Snooker-Tisch doppelt so lang wie breit. Nur ist er deutlich größer: etwa 3,56 mal 1,78 Meter. Auch wegen der Schieferplatten unter dem Tuch ist so ein Tisch bis zu 1,5 Tonnen schwer. Im Vergleich zum Poolbillard sind die Löcher („Taschen“) in den Ecken und in der Mitte der Längsbanden enger und abgerundet, das Spielgerät („Queue“) verjüngt sich zur Spitze hin, die Kugeln („Bälle“) sind kleiner, zahlreicher und vor allem bunter: Neben dem weißen Spielball gibt es 15 rote, die je einen Punkt wert sind, sowie je eine gelbe (2 Punkte), grüne (3), braune (4), blaue (5), rosafarbene (6) und schwarze (7).

Ziel des Spiels: Es geht darum, Punkte zu sammeln. Ein Spieler muss zu Beginn seiner Aufnahme zunächst einen roten Ball verwandeln und dann immer im Wechsel mit den roten einen beliebigen andersfarbigen, der anschließend immer wieder an den Ausgangspunkt zurück gelegt wird. Die den Bällen entsprechenden Punkte werden addiert. Nach einem erfolglosen Stoß kommt der Gegner zum Zug. Gespielt wird, bis alle Kugeln vom Tisch sind. Wenn alle roten Bälle versenkt wurden, darf man noch einmal eine andersfarbige auswählen, danach müssen die übrigen in der Reihenfolge ihrer Wertigkeit gespielt werden.

Taktik: Jeder Stoß muss möglichst so ausgelegt sein, dass er nicht nur die angepeilte Kugel versenkt, sondern anschließend auch noch den weißen Spielball in eine günstige Ausgangsposition für den nächsten Versuch bringt. Daraus folgt auch das Ziel für wenig aussichtsreiche Stöße: Wenn die angepeilte Kugel nicht verwandelt wird, sollte zumindest der Spielball danach auch für den Gegner ungünstig liegen. Wenn das so gelingt, dass für den folgenden Spieler der nächste anzuspielende Ball nicht direkt zu erreichen ist, spricht man von? Richtig: Snooker!

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