Als 59-Jähriger könnte man der neuen Technik durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen, finden die Radioleute
Wenn Rundfunkbeiträge erhoben werden, sollten auch Nischenprodukte allen zugänglich sein, fordert der Verein zum Erhalt der bayerischen Wirtshauskultur in einer Pressemitteilung. Aber das sei eben nicht der Fall, kritisiert Carolin Pruy-Popp, Leiterin der Beratungsstelle für Volksmusik aus Franken in Bayreuth. Nicht jeder der vor allem älteren Freunde der Volksmusik habe schließlich ein digitales Radio. Außerdem sei digitales Radio nicht überall zu empfangen.
„Wir sehen das Problem und arbeiten mit Hochdruck daran, die Netzabdeckung mit DAB+ (eine spezielle Form der digitalen Datenübertragung) weiter zu verbessern“, sagt Wagner, obwohl schon jetzt fast alle Bayern BR Heimat gut empfangen könnten. Kritik an der Geschwindigkeit des Wechsels zum Digitalradio weisen die beiden Radioleute zurück. Sie halten die Umstellung in drei Monaten für zumutbar. Gerade 59 Jahre alt seien Bayern-1-Hörer durchschnittlich. Da könnten sie neuer Technik durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen.
„Die Umstellung geht viel zu schnell“, hält Carolin Pruy-Popp dagegen. „2018 hätte auch gereicht.“ Jetzt drohe ein Teil der regionalen Kultur zu verschwinden. Darunter versteht sie nicht Hansi Hinterseer, Musikantenstadl oder Helene Fischer mit viel Technik und Konserve. Volksmusik sei für sie persönlich die Sing- und Tanzkultur der Region, wie sie überliefert und immer wieder neu interpretiert werde, sagt Pruy-Popp, die selbst in der Bamberger Formation Boxgalopp Geige spielt.
Johannes Sens ist 31 Jahre alt und braucht kein Digitalradio
31 Jahre alt ist Johannes Sens von der Anarcho-Volksmusik-Band Gankino Circus aus Dietenhofen (Mittelfranken). Er brauche kein Digitalradio, sagt er. „Ich habe Internet, da kann ich immer und überall hören, was ich will.“ Das UKW-Radio würde er dennoch gerne erhalten. Ihm gefällt die einfache, nachvollziehbare Technik, anders als das Digitale mit seinen Algorithmen, die sich verselbstständigen. Das passe nicht zur ultra-analogen Form der handgemachten Volksmusik, die ein Gegengewicht zu industriellen Unterhaltungshits sei. „Das Radio wird keine analoge Insel in einer digitalen Welt bleiben“, sagt Hörfunkchef Wagner. Das Bild malt Sens weiter: Eine Insel bedeute festen Boden im Wasser. „Das freut auch manche Leute“, sagt er.
Interview mit Armin Griebel, dem Leiter der Foschungsstelle für fränkische Volksmusik in Uffenheim (Mittelfranken)
Herr Griebel, vom fröhlichen Musikantenstadl bis zum anarchischen Volx-Metal – was ist denn eigentlich Volksmusik?
Armin Griebel: Tja, es ist die Frage, ob Volksmusik in Kriterien fassbar ist, die zu jeder Zeit die gleichen sind. Johann Gottfried Herder prägte im 18. Jahrhundert den Begriff und sammelte Lieder aus ganz Europa. Seine Idee: Das Volkslied entsteht aus Volksgeist und -kultur. Er war dabei offen für die verschiedene Musik der Länder. Im 19. Jahrhundert hatte man sich von dem Gedanken entfernt und befasste sich eng mit alten, deutschen Liedern aus der ländlichen Kultur.
Das klingt nach einem nostalgischen Blick gebildeter Städter aufs Landleben der guten, alten Zeit.
Griebel: Ja, Volksmusik ist eigentlich ein geistesgeschichtliches Konstrukt. Es gab damals feste Vorstellungen, wie sie klingen musste oder welcher Ästhetik sie folgen musste. Gleichzeitig wurde bis zum Ersten Weltkrieg mit Volksmusik locker umgegangen. Das war auch Unterhaltungsmusik in Tanzsälen oder beim Oktoberfest. Und die Oberländer konnten aus Berlin stammen.
Lederhose und Dirndl kennzeichneten eine Kapelle als Volksmusikanten?
Griebel: Das war damals ein Spiel mit Requisiten und Typenklischees, die später, in den 20er und 30er Jahren, als echt missverstanden wurden.
Und jetzt läuft allerhand Verschiedenes unter dem Begriff Volksmusik, von Hansi Hinterseers Schlager „Du hast mich heut’ noch nicht geküsst“ bis zum Stück „Einen Scheiß muss ich!“ von der fränkischen Volxmusik-Band Kellerkommando.
Griebel: Jetzt ist ganz viel Kreativität zu beobachten. Die jungen Gruppen wie Kellerkommando, Boxgalopp oder Rohrfrei gehen mit viel Freiheit und Anarchie an die Volksmusik heran. Sie parodieren die Musikantenstadl. Ein Begriff, der als altbacken und peinlich galt, bekommt für sie so wieder einen Wert.
Wann begann denn diese Entwicklung?
Griebel: Sie begann in den späten 1970er Jahren mit der oberbayerischen Biermösl Blosn der Brüder Well. Die haben die Volksmusik mit aktuellen, kritischen Texten neu aufgerollt.
Aber sind nicht Spottlieder ohnehin eine Tradition in der Volksmusik?
Griebel: In den bayerischen Gstanzln und fränkischen Kerwaliedern ist sie noch lebendig. Sie haben auch eine Rügefunktion. Und in der Nachkriegszeit kommentierte der bayerische Volkssänger Roider Jackl mit seinen Liedern auch die aktuelle Politik. Damit war er ein Vorbild für die Biermösl Blosn.
Politische Lieder gab es ja schon viel früher. Im Mittelalter haben sie Minnesänger wie Walther von der Vogelweide verfasst.
Griebel: Ja, das gehört auch in die Tradition.
Wie gehören dazu die Stubenmusik-Gruppen, die traditionelle Stücke spielen und singen?
Griebel: Das Gemeinsame sind die Stilmittel, die Melodik und die Harmonien. Die Texte sind oft in Vierzeilern verfasst und meist in Dialekt. Die Musik ist meist Tanzmusik von vorgestern. Die Rhythmen werden sonst nicht mehr verwendet, wie Galopp, Dreher, Rheinländer und Zwiefacher, bei dem Walzer und Dreher abwechseln. Die Melodien sind einfach und folgen Mustern, die variiert werden.
Auf diesen Mustern bauen auch die Musikgruppen auf, die bei Veranstaltungen wie dem Antistadl auftreten, und sich gerne laut, frech und schräg gebärden?
Griebel: Sie nehmen die alten Tänze, vermischen sie mit Rap oder Punk und internationaler Musik, gern vom Balkan.
Da gibt es doch wieder eine Verbindung zur volkstümlichen Schlagermusik. Waren es nicht die slowenischen Oberkrainer, die in den 1950er Jahren die Balkanklänge in Deutschland bekanntmachten und die volkstümliche Gute-Laune-Musik in die Medien brachten?
Griebel: Fred Rauch vom Bayerischen Rundfunk entdeckte sie in den 1950er Jahren und machte sie groß. Die Musik kam bei der Nachkriegsgeneration gut an. Sie war flott, spannend, medial gut zu präsentieren und hatte doch die traditionellen Wurzeln, die das Publikum wollte.
Wie unterscheiden sich die Oberkrainer denn von anderen Vertretern der volkstümlichen Musik, etwa den Kastelruther Spatzen heute?
Griebel: Die Oberkrainer-Musik war noch handgemacht, ohne Elektrik, live. Die volkstümliche Musik ist Kommerz, vorproduziert, Playback. Sie verbindet Stilmittel der Volksmusik mit Popmusik. Die Texte sind einfach und sprechen ein breites Publikum an.
Sie beschwören ein Heile-Welt-Gefühl, wird oft kritisiert ...
Griebel: Die heile Welt wollen sie alle. Die einen grenzen sich als echte Volksmusiker ab und halten an alten Traditionen fest. Die anderen brauchen die Biermösl-Verpackung.
Also auch diejenigen, die anarchisch mit der Volksmusik experimentieren?
Griebel: Jeder, der sich auf Tradition beruft, sieht darin etwas Gutes. Die Rückbesinnung auf die Region passt zu der momentanen Retrobewegung, dient vielleicht als Halt in der globalisierten Welt. Die Volksmusikanarchisten mögen es nur nicht zu sentimental, lieber ironisch gebrochen. Aber das Gebrochene gehört zur Volksmusik. Die Sänger haben sich schon immer gerne am Rande des Tabubruchs bewegt und über die Stränge geschlagen.
Ist das die Gemeinsamkeit der verschiedenen Spielarten: Alle wollen aus dem Alltag ausbrechen die einen in die heile Welt, wollen leicht verdaulichen Frohsinn; die anderen singen und spielen sich in die Stimmung der Vergangenheit und die nächsten suchen das Heil in der Anarchie?
Griebel: Und letztlich kommt alles aus der gleichen Tradition und passt sich nur den verschiedenen Milieus an.
Das Gespräch führte Angelika Becker
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