Jahrzehntelang hat er in den verschiedensten Situationen für die Seelen gesorgt, im Gefängnis, an der Uni, überall dort, wo er gebraucht wurde. „Nie mit Sprechstunden“, sagt er. Denn die Seele funktioniert nun mal nicht nach Plan. Und wenn es nicht mehr weiterzugehen scheint, ist er da. Sein Tag in der KHG beginnt um 7 und endet nicht selten nach Mitternacht. Das ist seine Tätigkeit für ihn vor allem: Da sein. Offene Türen. Gerade für die, die nicht wissen, wohin. „Ich komme vom Rand“, sagt er. Da gehöre er hin, da gehöre die Kirche hin und da ziehe es ihn hin. Aus der Randlage am Campus hat er mit seinem Team etwas geschaffen, was einzigartig ist in der deutschen Hochschullandschaft, wie sie heute sein soll, nach dem Bologna-Abkommen, das aus Bildung abzuleistende Stundenpläne macht und Einsparmaßnahmen „Synergieeffekte“ nennt.
Forum für Diskussionen
In der KHG wird alles diskutiert: Hochschulpolitik, Radikalismus, Drogen, Freikirchen. Alle Themen, die brennen, alle Probleme und Chancen, streng überkonfessionell und im Sinne eines vielstimmigen Gesprächs, bei dem es auch knallen kann. In diesen Diskussionen können Begriffe wie Utopie, soziale Gerechtigkeit oder Freiheit fallen. Thomas Ries nimmt die großen, alten Worte in den Mund, für die gerade nur in der Kunst oder auf nostalgischen Veranstaltungen Platz scheint. Er macht das ohne Sozialromantik, sondern mit Auftrag. Die Kirche muss in dieser Welt sein, davon war und ist er überzeugt:„Die Welt ist doch bunt, schaut Euch nur um.“ In seiner Bamberger Zeit als wäre er fast mal Stadtrat für die Grünen geworden. Und neulich erst, erzählt er, habe er sich mit der AfD auf dem Bayreuther Stadtparkett angelegt.
Spaghetti und Theater
Die politischen Entwicklungen machen ihm zu schaffen. Umso wichtiger sei es, Foren der Begegnung zu schaffen. Wie das Theater. Oder wie seine Dienstagsreihe, die Gottesdienste, die Spaghetti-Essen, die Filmabende. Ries ist ein begnadeter Gastgeber. Das machte auch eines seiner jüngsten Projekt zu einem erfolgreichen. Mit der Theatergruppe „Schwarze Schafe“, die mit ihren Inszenierungen zum Theaterleben an Campus und in der Stadt beitrug, startete Ries ein Programm für Menschen, die neu in Bayreuth ankommen, sie spielen mit, inszenieren. Sind einfach da. „Tischlein, deck Dich“, heißt eine weitere Runde, die Ankommende einlädt.
Als Fan feiert er auch die Passion
Die Entpolitisierung der Universität, die Unsicherheit vieler, die Unentschlossenheit, die Fokussierung auf den Lebenslauf: Das alles macht ihm Sorgen. Aber die nicht sofort zu gewinnenden Kämpfe trägt er mit dem Langmut des bekennenden, nicht zu bekehrenden Eintracht-Frankfurt-Fans. Eines Mannes also, der Leiden gewohnt ist. „Wir feiern eben auch die Passion“, sagt er und lacht. Ernst Bloch nannte eine hoffnungsbetonte Haltung „ins Gelingen verliebt sein“, und das trifft Thomas Ries vielleicht sehr gut. Weil er genau das ist: ins Gelingen verliebt.
Ries weiß schon, wonach sein Finale klingen soll. Auf seinem Abschiedsfest spielte er „Days“ von The Kinks, ein Lied, das sicher auch mal in seiner Radiosendung „Rocking Church“ lief. „We won’t forget a single day, believe us“ – diese Zeile werden viele unterschreiben. Übrigens sicher auch für die Tage nach seinem Eintritt in den Ruhestand.