Wann die Herkunft von Tätern Thema ist

Von Joachim Braun
 Foto: red

Warum der Nordbayerische Kurier nur selten die Nationalität mutmaßlicher Straftäter nennt.

 
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Nie in den bald 70 Jahren Bundesrepublik Deutschland war die Presse so in der Kritik wie in den vergangenen gut zwölf Monaten. Einer der am heißesten diskutierten Punkte ist die Nennung der Nationalität oder ethnischen Herkunft von Straftätern. Dass wir das im Regelfall nicht tun, erzürnt viele Menschen zu „Lügenpresse“-Vorwürfen. Für unser Handeln gibt es aber gute Gründe – nachzulesen im Pressekodex.

Basis für die Arbeit der Medien ist das Grundgesetz. In Artikel 5, Absatz 1 heißt es so schlicht, wie umfassend: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht, wie die Situation aktuell in Polen, Ungarn, aber vor allem der Türkei und Russland zeigt, wo der Staat die Unabhängigkeit der Presse nicht respektiert und missliebige Journalisten entlassen lässt, ins Gefängnis wirft oder gar in ganz extremen Fällen umbringt.

Ein zweiter Grundpfeiler ist der Pressekodex, ein 1973 beschlossenes Regelwerk, in dem sich Zeitungen und Onlinemedien selbst zur Einhaltung von ethischen Standards verpflichten. Die aktuellen Konflikte löst die Ziffer 12 aus, eine Regel, in der es um den Schutz von Minderheiten gibt, ethnischen und religiösen. Demach dürfen Zeitungen nur dann die Nationalität oder einen religiösen Hintergrund nennen, wenn dieser etwas mit der berichteten Tat zu tun hat. Im Klartext: Bei einem Asylbewerber, der im Supermarkt einen Becher Joghurt mitgehen lässt, wird die Nationalität nicht genannt, bei Straftaten der russischen Mafia in jedem Fall.

Köln: ein Grenzfall

Die sexuellen Übergriffe in Köln sind ein Grenzfall. Aber immerhin einer, bei dem sich so gut wie alle deutschen Redaktionen für Einstufungen wie „Nordafrikaner“ und „arabisch sprechend“, später – nach Bekanntwerden – auch „Asylbewerber aus Syrien“ entschieden. (Dass dies nicht sofort publiziert wurde, lag an der Polizei, die diese Informationen zurückgehalten hatte.)

Edda Eick ist Referentin beim Deutschen Presserat, der über die Einhaltung des Kodex’ wacht und über Beschwerden verhandelt. Im Gespräch mit dem Branchendienst „Drehscheibe“ sagt sie über Köln: „Es handelt sich ja um eine Art massenhaftes Verbrechen. Möglicherweise steckt auch eine größere kriminelle Struktur dahinter. In diesem Kontext wird dann anhand von Täterbeschreibungen gefahndet und berichtet – Stichwort „nordafrikanisches Aussehen“ – und das halte ich persönlich für akzeptabel.“ Anders sei dies zu bewerten, „wenn es um die bloße Spekulation darüber ginge, ob das Motiv der Tat mit der religiösen Zugehörigkeit oder dem Migrationshintergrund etwas zu tun haben könnte“ – so wie dies gerade massenhaft an Stammtischen, in Leserbrief vor allem aber im Internet und den Sozialen Netzwerken passiert.

Die Medien befinden sich dabei in der Zwickmühle: Auf der einen Seite das Informationsbedürfnis der Bürger, auf der anderen Seite Schutzinteressen von Minderheiten. Seien wir uns doch klar, und Köln hat es bewiesen: Ein paar Dutzend volltrunkene, arabische Sexualstraftäter lassen in der öffentlichen Meinung Hunderttausende syrischer Flüchtlinge zu mutmaßlichen Vergewaltigern mutieren.

Flüchtlinge werden nicht öfter straffällig als Deutsche

Einige Zeitungshäuser haben aus der Dauerkritik ihrer Leser und deren grassierenden Misstrauen bereits Konsequenzen ergriffen: Ein süddeutscher Verlag, in der Größe vergleichbar mit dem Nordbayerischen Kurier, nennt inzwischen selbst bei Ladendieben die Herkunft. Ein klarer Verstoß gegen den Kodex, aber ein Beitrag zum Frieden, jedenfalls mit einem Teil der Leser.

Auch Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ in Essen, der größten deutschen Regionalzeitung, forderte am Montag via Facebook eine Reformierung der Ziffer 12: „Diese Regel schürt das Vorurteil gegen Medien, sie würden wichtige Sachverhalte vertuschen.“ Friedrich Roeingh, Chefredakteur der Allgemeinen Zeitung in Mainz, hielt dagegen: „Ich denke eher, dass die Polizei lernen muss, etwas offensiver mit diesen Regeln umzugehen.“ Aber der Chef des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags in Flensburg, Stefan Kläsener, von Haus aus Theologe, geht sogar noch weiter als Marinos: „Gerade heute hatten wir wieder so einen Fall, übelster sexueller Missbrauch an einer Minderjährigen. Und dann Täterschutz? Sorry, da mache ich nicht mit.“

Egal, wie die Diskussion ausgeht und ob der Pressekodex tatsächlich reformiert wird, in Köln und anderswo gilt in jedem Fall die Unschuldsvermutung: Straftäter ist jemand erst dann, wenn er rechtskräftig verurteilt ist.

Beim Nordbayerischen Kurier wollen wir uns weiterhin an diese Regel halten ebenso wie an die Ziffern 12 und 12.1 des Pressekodex. Für uns sind Zivilisiertheit, Anstand und der Schutz von Minderheiten höher zu bewerten als Proteste von Lesern. Und die Realität unterstützt uns dabei: Aus keiner Polizeistatistik geht hervor, dass Flüchtlinge öfter straffällig werden als Deutsche – und das auch nach Köln.

 

Pressekodex Im Wortlaut

Ziffer 12 - Diskriminierungen:

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

Ziffer 12.1 – Straftaten:

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.