Kein Stinkefinger für Wagner

Von Wolfgang Karl

Wenn Hochkultur auf den Stil der Straße trifft - dann ist das nicht unbedingt ein Kampf der Kulturen, sondern im besten Fall eine kreative Explosion. Wie in der Musica Bayreuth bei "Fuck you Wagner" der Dancefloor Destruction Crew und Christoph Hagel: Akrobatik, Tanz und Action zur Musik von Wagner - und das ganz ohne Stinkefinger.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Die Stadthalle ist so etwas wie die Elbphilharmonie Bayreuths: Ein ewiges Thema – aber immerhin wird jetzt gebaut. So müssen die Breakdancer der DDC in diesem Jahr in die Oberfrankenhalle ausweichen. Zunächst eine undankbare Aufgabe, denn die Bühne ist nur auf einen Rang ausgerichtet. Dahinter gähnt ein weiter Raum. Solche Ausmaße muss man erst einmal bespielen.

Alles mit höchster Spannung

Die Tänzer der Schweinfurter Dancefloor Destruction Crew haben damit keine Probleme: Sie wirbeln, springen, fliegen und tanzen über die Bühne, wie man es von ihnen kennt. Ihr Stil bewegt sich zwischen Akrobatik und Ballett: An manchen Figuren sind fünf und mehr Tänzer beteiligt. Salti, Wirbel, Schaukämpfe bieten sie, alles mit höchster Körperspannung.

Leicht ist diese Art zu tanzen sicher nicht. In vielen Momenten wirkt es aber, als würden sie schweben. Schweres einfach aussehen lassen - das ist echte Klasse. Vor allem die spielerische Eleganz ihrer Choreographie begeistert das Publikum. Höhere Schwierigkeiten werden spontan beklatscht, teils bejubelt.

"Tiefe Ehrfurcht"

Unterhält man sich mit dem Publikum, kommt man schnell zu einem einstimmigen Meinungsbild. So bewundern Karl und Christa Meyer die sportliche Leistung der Artisten mit „tiefer Ehrfucht“, schwärmen von der Genauigkeit und Kraft der Ausführung. Angetan haben es ihnen die Video-Einspieler auf der Leinwand, die den Bühnenhintergrund bildet. Dort sind Film-Szenen der Akteure zu sehen, die nahtlos in Tanz auf der Bühne übergehen. Eine besondere Herausforderung an Präzision und Timing: Schließlich sehen die Akteure mit Blick zum Publikum nicht, was hinter ihnen passiert. Bei Petra und Stefan aus Hummeltal ist am Spielort von Medi Bayreuth vor allem die Basketball-Choreografie hängengeblieben - mit Musik, Dribbeln und Tanz.

Was hat das mit Wagner zu tun?

Doch was hat das eigentlich mit klassischer Musik zu tun? Nach „Flying Bach“ und „Breaking Mozart“ steht nun – wer auch sonst an diesem Ort – Richard Wagner Pate für das Gesamtkunstwerk. Der Titel „Fuck you Wagner“? Geschenkt: Man möchte keineswegs Richard Wagner beleidigen.

Vielmehr diente der Szenerie die Kino-Reihe „Fack ju Göhte“ zum Vorbild. Die Geschichte ist schnell erzählt: Wagner/Lohengrin kommt an eine neue Schule und muss sich als Neuer erst einmal beweisen – Liebesgeschichte inklusive. Am Ende steht die Abschlussprüfung und der – mehr oder minder erfolgreiche – Abgang von der Penne.

Synthetisches, Klavier und Cello

Auszüge aus dem klassischen Werk Richard Wagners verschmilzt das Ensemble mit Elektro. Wobei auffällt, dass manche Stücke, wie das „Lied an den Abendstern“ aus dem „Tannhäuser“ ganz ohne Bearbeitung übernommen wurden – während in der Szene „Das Date“ auf rein Elektronisches gesetzt wird.

Bei „Breaking Mozart“ überwog noch deutlich die Form der Neubearbeitung. Vielleicht ist die Musik Richard Wagners an manchen Stellen schon theatralisch genug?

Fafner ist eine Droge

Manch Szene wurde vom Berliner Regisseur Christoph Hagel wohl ganz bewusst mit Original-Auszügen unterlegt: Kein Elektro-Beat könnte den Kampf des jungen Schulschlägers Siegfried dramatischer gestalten, als das Vorspiel zur „Walküre“. Die Droge, ein weißes Pulver in einem Plastiksäckchen, erscheint ihm als Drache, den es zu besiegen gilt – also gibt's dazu auf der Leinwand Bilder von einem feuerspeienden Ungetü. Gerade, als er seiner Sucht doch zu erliegen scheint, betritt Wagner die Szenerie und befreit Siegfried von seinem inneren Drachen, indem er das Päckchen kurzerhand entsorgt.

Plakativ, aber stark

Der, den Siegfried vormals mobbte, errettet ihn nun. Zugegeben: Plakativ – aber stark, die Szene. Stark, wie der gesamte Auftritt des Ensembles. Neben den Tänzern zeichneten sich besonders Cellist Daniel Hoffmann und Christoph Hagel am Piano aus – der wie schon bei „Breaking Mozart“ für die Gesamtproduktion verantwortlich ist.

Absolut geschlossene Leistung

Die Tänzer im Einzelnen besonders zu loben erscheint unfair:  Wenn viele zu so einem homogenen Team verschmelzen muss das Lob an jeden gehen, hier an: Felice Aguilar, Marcel Geißler, Alexander Pollner, Gregory Strischewsky, Raphael Götz, Michael Lamprecht, Krzysztof Malicki – und Schauspielerin Lesley Marie Liebl, die gestrenge Lehrerin.

Beim Publikum kam der Abend trotz der großen Halle blendend an – die Ovationen belegen das. Ein beschwingter Tanz um den alten Wagner, der zumindest an diesem Abend ziemlich jung aussah.