Waischenfeld/Bayreuth Karl Thon: Der Felsmeister und seine Erben

Von Manfred Scherer
Er ist über 80. Und klettern immer noch. Der Bamberger Karl Thon war einer der Mitbegründer des Verbandes der Deutschen Polizeiberg- und Skiführer uind für viele der Lehrmeister.Ursprünglich war Thon Heeresbergführer der Bundeswehr und wechselte danach zur Polizei. Foto: Manfred Scherer Foto: red

Es ist fast wie bei den Jedi-Rittern aus Star-Wars. Es gibt da einen alten Lehrmeister, der ihnen alles gezeigt hat: den kleinen, klugen Meister Joda mit dem Leuchteaugen und den weisen, humorvollen Sprüchen. Der Meister Joda der bayerischen Polizeibergführer kommt aus Franken. Der Bamberger Karl Thon wird bald 84 Jahre alt. Noch immer klettert er, und viele Sportkletterer, die jemals an einem Felsen in den Klettergebieten in der nördlichen Fränkischen Schweiz ins Seil gestürzt sind, dürften ihm ihre Gesundheit oder gar ihr Leben verdanken.

 
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Die heutigen Jedi, das sind die Bergführer der bayerischen Polizei. Insgesamt rund 60 Leute sind das. Mittlerweile gehören zwei Frauen dazu. Die Auswahl ist so streng, dass man diese Gruppe getrost Elitetruppe nennen darf - auch wenn sie selbst das nicht gerne hören.

Nur zwei Beispiele: Ein bayerischer Polizeibergführer muss exzellent Skifahren können. Wie exzellent, zeigt das Beispiel der ersten Frau, die Bergführerin der Polizei wurde: Regina Häusl war mal Weltcupsiegerin im Abfahrtslauf. Oder Michael Hallinger, Bergführer in Berchtesgaden: der 55-Jährige ist Kletterausbilder im Lehrteam der Polizeibergführer. Er ist früher mit dem Huber-Buben geklettert und geht heute noch immer Felsen hinauf, als ob auf ihn die Erdanziehungskraft nicht wirke.

Ein Erbe aus Sprüchen und Können

Michael Hallinger sagt: "Karl Thon hat uns was vererbt." Polizeibergführer Walter Schmid aus Oberammergau sagt über Thon: "Er ist eine Legende." Schmid, der aus Schwarzenbach/Saale stammt, wurde Anfang der 80er Jahre zum Bergführer ausgebildet. Und Karl Thon war sein Klettermeister. Zwei Wochen Klettern in den Dolomiten. "Damals hat der Karl noch Virginia-Zigarren geraucht. Oft sind wir abends auf einem Felsen gesessen und haben eine gepafft."

Karl Thon war eigentlich Schneider. Aber die Fertigung von Massanzügen war in den 60er Jahren keine erfolgversprechendes Geschäftsmodell. Er ging zur Polizei. Im Jahr 1964 zeigt ihm ein Freund und Kollege eine Ausschreibung im Gesetzesblatt. Dort suchte der Freistaat Kletterer, um das Bergführerwesen in der Polizei aufzubauen. Karl Thon gehörte 1966 zur Gruppe der ersten Polizeibergführer nach dem Krieg. Und er wurde Ausbilder.

"Raus mit Euch, ihr Fregger!"

Einer, den er ausgebildet hat, ist zurzeit Alpinbeauftragter der bayerischen Polizei. Peter Wiesent hat die Hälfte seiner Truppe in der Fränkischen Schweiz zur jährlichen Fortbildung versammelt. Sie haben geklettert, abgeseilt, Sturztraining gemacht, Unfallanalyse gepaukt, neue Sicherungsgeräte getestet.

Nun sitzen sie alle abends bei einem Bier in Oberailsfeld zusammen und sind erfreut und stolz wie die kleinen Kinder. Karl Thon ist der Einladung gefolgt und sitzt mitten unter seinen Erben. "Eine Riesen-Ehre", sagt der aus Eschenbach stammende Wiesent und berichtet sogleich, wie es damals war bei seiner Ausbildung: "Wenn so ein Wetter war wie jetzt gerade, da kannte der Karl kein Pardon. Er sagte: Raus mit euch, ihr Fregger, geklettert wird!"

Als 13-Jähriger kam Karl Thon über die Naturfreunde zum Klettern. Damals war das völlig anders als heute: Hanfstricke statt moderner Kletterseile, Sicherungshaken, die selbstgeschmiedet waren. Schon als Jugendlicher fuhr Thon mit dem Fahrrad in die Alpen, die gesamte Kletterausrüstung aufgepackt. Er kletterte dort bald berühmte Klassiker.

Er tauscht das Motorrad gegen Bohrmaschine

In Franken begann Thon mit Erschließungen von Kletterfelsen. Wer zum Beispiel heute an einer der beliebtesten Kletterwände, dem Treunitzer Klettergarten direkt an der B 22 zwischen Hollfeld und Scheßlitz, klettert, den wird die Historie dieser Wand interessieren. Karl Thon war 1973 als Beamter der Bamberger Polizei mit einer alten 250er DKW auf Motorradstreife im Wiesenttal unterwegs: "Ich hab den Fels von der Straße aus gesehen. Und an einem Wochenende drauf habe ich den ersten Haken gesetzt." Die allererste Klettertour am Treunitzer Klettergarten nannte Thon "Erster Streich".

Thon selbst ist in 70 Kletterjahren zweimal gestürzt, jeweils, weil ein Haken ausgebrochen ist. Einmal hat er sich dabei einen Fersenknochen gebrochen. Nichts im Vergleich zu jenem Tag, als ein Freund und Kletterpartner vor seinen Augen tödlich abstürzte. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Karl Thon, der als Polizist zuletzt Chef der Polizeiinspektion Bamberg war, die DKW längst getauscht hat - gegen eine Bohrmaschine. Klein, leicht, mit starken Akkus. Ein Spezialmodell namens "Milwaukee" aus den USA.

Das Gerät ist bestens geeignet zum Einrichten und zum Sanieren von Klettertouren. An den Kletterfelsen in den Fränkischen Schweiz, vorwiegend in den Bamberger Gebieten, steckt ein Teil von Karl Thons Vermächtnis: In Form von etwa 2000 modernen Bohrhaken. Und auch damit, so sagt es sein Schüler Peter Wiesent, hat Thon das Klettern sicherer gemacht. Der zweite Teil des Vermächtnisses steckt in Menschen. In den Bergführern, die er ausgebildet hat und die wiederum junge Kollegen ausbilden.

Keiner glaubt, dass Thon mit 85 Schluss macht

Walter Schmid erinnert sich an den Lehrsatz des Meisters: "Klettern lernt man durch Klettern." Doch nicht ganz Meister Joda, denn der hätte gesagt: "Klettern durch Klettern man lernt."

An seinem 80. Geburtstag hat Thon mit einem Freund die Watzmann-Ostwand bestiegen - und die Berghütte oben ausgebucht war, haben die beiden die Überschreitung des Gipfelgrats angehängt und sind am selben Tag wieder abgestiegen. Klettern will der Bamberger mindestens noch bis zum 85. Lebensjahr. Von seinen Erben glaubt das keiner. Aber nicht, dass er das nicht schafft, sondern, dass er wirklich aufhören kann.

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