Kampfansage an "Impfparasiten"

Von Peter Rauscher
Kleiner Pieks, große Wirkung: "Ich befürworte alles, was zu einer höheren Impfrate führt", sagt der Bayreuther Kinderarzt Marco Wölfel. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Der Staat macht Druck auf Eltern, die ihre Pflicht zur Impfberatung nicht erfüllen. Kindertagesstätten müssen künftig die Namen dieser Eltern den Gesundheitsämtern melden.  In letzter Konsequenz drohen saftige Geldbußen. Das Bayreuther Gesundheitsamt meint, ungeimpfte Kinder sollten gar nicht erst in die Kita gehen.

 
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Das ist geplant: Schon seit 2015 - damals starb ein eineinhalbjähriges ungeimpftes Kind in Berlin an Masern -  gilt in Deutschland eine Impfberatungspflicht für Eltern. Kitas müssen vor Aufnahme eines Kindes kontrollieren, ob die Eltern diese Pflicht wahrgenommen haben. Andernfalls droht bereits jetzt in letzter Konsequenz eine Geldbuße in Höhe von bis zu 2500 Euro. Das neue Gesetz von Bundesgesundheitsminister Volker Gröhe (CDU), das der  Bundestag am 1. Juni beschließen soll, geht noch weiter: Es verpflichtet Kita-Leitungen, Beratungsverweigerer den Gesundheitsämtern zu melden.

Dr. Klaus von Stetten, Leiter des Gesundheitsamtes am Landratsamt Bayreuth, sagt: Wenn das Gesetz in Kraft tritt, "würden wir zunächst versuchen, noch einmal auf die Eltern zuzugehen, die die angebotene Beratung nicht wahrgenommen haben“.  Mitunter würden die Termine einfach nur versäumt.  Auf die Frage, ob er gegen Beratungsverweigerer Geldbußen verhängen würde, antwortet von Stetten: Abwarten, Details zum neuen Gesetz lägen noch nicht vor.

Das sagen Kita-Leitungen: Vier zufällig ausgewählte Kita-Leitungen in der Region sind sich in einem Punkt einig: Dieses neue  Gesetz braucht es nicht. Ihnen sind Impfskeptiker bekannt, aber kein Fall, dass sich Eltern je einer Impfberatung verweigert hätten. Der Verwaltungsaufwand wäre enorm, wenn sie dauernd die Erfüllung von Beratungspflichten überprüfen müssten, sagen Kerstin Ruckdeschel von der Krabbelkiste Speichersdorf und Marco Hausladen, stellvertretender  Leiter in der Kindertagesstätte Fizzli-Puzzli in Bayreuth.  Kornelia Brütting vom St. Franziskus-Kindergarten in Pegnitz fände es außerdem „sehr eingreifend“, wenn solche Eltern von den Kitas an die Behörden gemeldet werden müssten. „Eltern sollen darüber selbst entscheiden können.“  Ähnlich argumentiert der Bundesrat in seiner ablehnenden Stellungnahme zum Gesetz.

Von „Aktionismus“ des Gesetzgebers spricht Karin Parchent, Kita-Leiterin in der Villa Kunterbunt in Eckersdorf. „Die meisten Menschen lassen doch mit sich reden, und notorische Impfgegner wird man auch mit diesem Gesetz nicht bekehren“,  sagt Parchent. Sie lässt aber keinen Zweifel an ihrer Haltung: „Verweigerer sind Impfparasiten, die sich darauf verlassen, dass die Mehrheit schon geimpft ist.“

Das Gesundheitsamt: Behördenchef Klaus von Stetten ist mit den Bayreuthern ziemlich zufrieden, auch wenn er am liebsten alle Kinder geimpft wüsste. Die Impfraten liegen  über dem bayerischen Durchschnitt. Bei Masern waren im Schuljahr 2013/14 in Stadt und Landkreis Bayreuth 92,7 Prozent der Einschulungskinder zweimal geimpft (Bayern: 91,2), ähnlich bei Mumps und Röteln, bei Windpocken waren es 86,4 Prozent. Nicht-geimpfte Kinder in einem Kindergarten hält von Stetten für „kritisch“. Solche Eltern sollten ihre Kinder nicht in eine Kita schicken, findet von Stetten. Und es gehe letztlich „auch um den Schutz des ungeimpften Kindes, das die Entscheidung den Eltern überlassen muss“.

Das sagt der Impfkritiker: Hans U.P. Tolzin, gelernter Organisationsprogrammierer aus Herrenberg, betreibt impfkritische Websites. Gegen Impfberatung habe er nichts einzuwenden, im Gegenteil, antwortet er auf Kurier-Anfrge, aber sie müssten ergebnisoffen sein. Das seien sie aber nicht, weil Ärzte mögliche Kontraindikationen zu wenig beachteten, behauptet Tolzin. Durch die Meldepflicht könne eine "regelrechte Spitzel- oder Blockwartmentalität" entstehen. Grundsätzlich fordert er eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung beim Impfen.

Der Kinderarzt:  Dr. Marco Wölfel ist Kinderarzt in Bayreuth und hat schon mehrfach mit Impfgegnern zu tun gehabt. Den Vorwurf, die Beratung sei nicht gründlich, weist er zurück. Nicht alle Impfgegner kann er von seiner Meinung überzeugen, dass Kindern alle Impfungen  verabreicht werden sollten, die die Ständige Impfkommission empfiehlt, damit Krankenheiten gar nicht erst ausbrechen. Er führt die Impfskepsis auf falsche Informationen aus dem Internet zurück.

Zudem hätten viele Krankheiten in den letzten beiden Generationen ihre Schrecken verloren, weil man niemanden mehr kenne, der daran erkrankt sei.  „Die Großelterngeneration weiß noch, was es bedeutet, wenn eine Masern- oder eine Grippeepidemie kommt“, sagt Wölfel. „Bei Masern gibt es schwere Komplikationen, die mitunter erst Jahre später auftreten und tödlich verlaufen können. Viele wissen gar nicht, wie gefährlich zum Beispiel Masern sind.“ Diese Krankheit könnte ausgerottet sein, sagt Wölfel. Vor gut einer Woche starb in Essen eine 37 Jahre alte Frau  an Spätfolgen von Masern, die als Kind nur einmal geimpft worden war. Das entsprach den damaligen Empfehlungen. Derzeit gebe es in Bayreuth einen Mumps-Ausbruch.

Und was ist mit Impfpflicht? Eine Pflicht nicht nur zur Beratung, sondern zum Impfen ist  gerade in Italien für zwölf Krankheiten eingeführt worden. Gesundheitsminister Gröhe lehnt diese für Deutschland  bislang ab.  Seine bayerische Amtskollegin Melanie Huml (CSU), eine gelernte Ärztin, sieht in einer Impfpflicht  einen „erheblichen Eingriff in die Grundrechte des Kindes und das Sorgerecht der Eltern“. Bayern könnte aber eine Impfpflicht erlassen, wenn es  zum Beispiel zu einer „extremen flächendeckenden Zunahme von Masernfällen“ kommen würde, erläuterte Huml dem Kurier. Wie sie selbst ihre Kinder impfen lässt? Keine Frage: Sie bekommen alle Impfungen, die von der Impfkommission empfohlen werden.

Info: Die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts nennt in ihrem Impfkalender 14 Standardimpfungen: Tetanus, Diphtherie, Hepatitis B, Rotaviren, Meningokokken C, Mumps, Hib, Masern, Röteln, Pertussis, Poliomyelitis, Pneumokokken, Influenza, Varizellen und HPV.

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