Justizreform: Lob für deutsche Haltung

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In Polen gehen Tausende auf die Straßen, um gegen die Justizreform zu protestieren. Nun drohen dem Land auch noch Sanktionen der EU. Die Lage spitzt sich zu. Jan Muszynski (29) kommt aus Polen und promoviert in Bayreuth. Er sieht eine bemerkenswerte deutsche Zurückhaltung in der Sache und bezeichnet das als geschickte Haltung der Bundesregierung. Obwohl der Jurist Gegner der Reform ist.

 
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Herr Muszynski, Justizreform und drohende Sanktionen von der EU: Ist Polen jetzt verloren?

Jan Muszynski: Nein, das kann man nicht sagen. Den Polen geht es wirtschaftlich gut. Aber die Lage ist angespannt.

Was bringt die Gegner der Justizreform so auf die Palme?

Muszynski: Die Polen sind innerlich zerstritten. Es gibt zwei Lager, die sich gegenseitig nicht ertragen. Die politische Atmosphäre ist überhitzt. Diese Heftigkeit und Aggressivität der Diskussion liegt wohl in unserem DNA-Code. Bei der Justizreform wird es besonders deutlich. Die Debatte, die wir gerade erleben, ist völlig überhitzt, auch wenn die Pläne der Regierung eindeutig negativ zu beurteilen sind. Die Gefühle sind aber übertrieben. Es fallen harte Worte, allzu schnell ist von Skandalen und Verbrechen die Rede - sowohl seitens der Regierungs- als auch Oppositionsanhänger. In dieser Atmosphäre ist ein für alle akzeptabler Kompromiss nicht zu erreichen. Es stehen aber auch gesellschaftliche Errungenschaften auf dem Spiel, denn die Justizreform berührt die polnische Verfassung. Dennoch glaube ich nicht, dass wir auf dem Weg in eine Diktatur sind. Die Nationalkonservativen bedienen mit der Justizreform nur ihre Klientel, während die Protestbewegung beachtlich ist.

Ist das Ansehen der Richter in Polen so schlecht?

Muszynski: Die Richterschaft wird von den Rechtspopulisten schlecht gemacht. Sie hängen Einzelfälle an die große Glocke. In einem Fall hat ein Richter in einem Supermarkt gestohlen, in einem anderen Fall stehen Richter eines Gerichts unter Korruptionsverdacht. Die Fälle werden aufgebauscht, um alle Richter in Polen in Misskredit zu bringen. Aber schwarze Schafe gibt es in jedem Beruf.

Was gibt denn den Anlass für die Justizreform?

Muszynski: Das ganze Gerichtswesen braucht eine Reform seiner Organisation. Die Richter sind völlig überlastet, die Arbeit müsste anders verteilt werden.

Die Reform verschafft der Regierung freie Hand im Umgang mit Richtern.

Muszynski: Ja, damit bin ich keinesfalls einverstanden. Im Parlament ging das zu schnell. Fragen, die die Unabhängigkeit der Richter betreffen, müssen vorsichtig diskutiert werden. In der Atmosphäre, die wir jetzt haben, geht das nicht. Im Endeffekt ist das, was die Regierung vorschlägt, keine sorgfältige Reform. Das ist eine Revolution.

Und jetzt drohen Sanktionen von der EU.

Muszynski: Die gesellschaftliche Situation wird dadurch brisant, weil viele Polen das als eine Einmischung von außen empfinden. Weil sich die Sanktionen gegen ganz Polen richten, können sich auch die Oppositionellen angegriffen fühlen. Das spielt der rechtspopulistischen Regierung in die Hände. Die Wirkung der Sanktionen würde sich so ins Gegenteil verkehren. Bemerkenswert ist die Zurückhaltung Deutschlands. Dass sich die Bundesregierung raus hält, finde ich sehr klug. Alles andere wäre Wasser auf die Mühlen der Nationalkonservativen.

Wie kommen die Polen da wieder raus?

Muszynski: Schwer zu sagen angesichts dieser Radikalisierung. Viele Polen wünschen sich einfach nur Ordnung, manche wollen Ordnung sogar um jeden Preis. Kaczynski gibt den starken Mann. Mit der im Eiltempo eingeleiteten Justizreform stellt er seine Wähler zufrieden. Anstelle dieser Radikalität wären Kompromissbereitschaft und Einvernehmen politisch hilfreicher. Leider bietet die parlamentarische Opposition auch keine praktikablen Lösungen an. Die ganze Hoffnung liegt in der Zivilgesellschaft.

Das Gespräch führte Udo Bartsch

Zur Person:

Jan Muszynski stammt aus Posen und engagiert sich im Vorstand der deutsch-polnischen Gesellschaft in Bayreuth. Er promoviert beim Staatsrechtler Prof. Oliver Lepsius, dem Nachfolger von Prof. Peter Häberle. Und der hat übrigens 1991/1992 die polnische Verfassungskommission beraten.

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