Sozialdemokrat Julius Steeger wurde heute vor 70 Jahren verhaftet und ins KZ gebracht – Nach dem Krieg gründete er die „Fränkische Presse“ 30 Schreckenstage in Dachau

Von Michael Weiser

Die Rache der Nazis: Noch Monate nach dem Stauffenberg-Attentat gegen Hitler machte die Gestapo Jagd auf Oppositionelle. So auch auf den Bayreuther Sozialdemokraten Julius Steeger. 

 
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Jemand musste Julius Steeger verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet: Wie eine Szene im „Process“ von Franz Kafka mutet an, was sich in den Morgenstunden des 22. August 1944 in der Wohnung des altgedienten Sozialdemokraten Julius Steeger ereignet. Um halb fünf Uhr läutet die elektrische Türglocke, zwei Gestapobeamten begehren Einlass und holen Steeger aus dem Bett. Er müsse zu einer Vernehmung mitkommen, sagen sie und lassen ihm gerade genug Zeit, sich anzukleiden. Man führt ihn zum Bahnhof, in ein Arrestlokal. Und überlässt ihn seinen Zweifeln. „Der Weg zum Bahnhof war für mich besonders quälend“, erinnert sich später Julius Steeger. „Denn mir war nun klar, dass ich verhaftet wurde, ohne dass ich auch nur mit einem Wort erfahren konnte, was man mir zur Last legt.“

Am Bahnhof wartet auf Steeger und zwanzig weitere Gefangene einWaggon, angehängt an einen Personenzug. Nach München soll die Fahrt gehen, von dort aus weiter nach Dachau. Dorthin, wo der Schrecken wohnt. Ins Konzentrationslager, das Musterlager der Nazis. Die „Schule der Gewalt“ der SS.

Am Lagertor wird klar, was Steeger und seinen Leidensgenossen vorgeworfen wird. „Aha, 20. Juli! Na, wartet nur!“ So werden die Gefangenen von den Wachen begrüßt. Mit dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 hat Steeger nichts zu tun. Er hat sich ruhig verhalten, seit die Nazis im März 1933 die „Fränkische Volkstribüne“ verboten haben, deren Geschäftsführer er gewesen ist. Danach habe er sich „jeder politischen Tätigkeit enthalten, ich war nur beschäftigt mit meinen eigenen Sorgen, meiner neuen Existenz“. Manchmal treffen sich die Genossen in Hinterzimmern, lästern über Hitler. Widerstand? Dazu sehen die alten Recken keine Chance. Doch in der zynischen Logik des NS-Staats ergibt die Verhaftung Steegers und anderer Sinn.

Hitler hat schon Jahre zuvor wissen lassen, wie man im Falle von Unruhen mit Opposition umzugehen gedenkt. Seine Schergen sollen die „leitenden Männer gegnerischer Strömungen, und zwar auch die des politischen Katholizismus, aus ihren Wohnungen heraus verhaften und exekutieren lassen“. Nach Stauffenbergs Sprengstoffattentat im Führerhauptquartier macht die geheime Staatspolizei Jagd. Sie verhaftet, was Rang und Namen gehabt hat in der Weimarer Republik. So auch Julius Steeger, der von 1919 bis 1933 für die SPD im Landtag gesessen hat. „Unternehmen Gitter“ oder „Gewitter“, so nennt das Regime den Schlag gegen die Versprengten, die einst versucht haben, Hitler in den Arm zu fallen.

Abgemagert zum Skelett

Mit der Ankunft in Dachau werden die Verhafteten ihrer Würde beraubt. Alles müssen sie abgeben, die Haare werden geschoren, sie müssen sich nackt ausziehen. Steeger sieht, dass einige seiner Mitgefangenen Prothesen tragen. „Im Weltkriege, bei Verteidigung ihres Vaterlandes, hatten die meisten dieser Leute ihre Körperschäden erlitten. Den Dank erstattete ihnen das III. Reich auf seine ihm eigene Art und Weise in Dachau“, schreibt Steeger in seinen Erinnerungen, die er „93002. 30 Tage Schreckenslager in Dachau“ nennt. Die Ziffer „93002“ ist seine Häftlingsnummer gewesen. Der Mensch, eine Nummer. Darunter ein Dreieckswimpel. In Steegers Fall ein roter. Er ist ein „Politischer“. Steegers Leidensgenossen kommen aus allen Teilen des braunen Imperiums. Russen und Griechen, Pfarrer und Kommunisten, politische Prominenz wie Fritz Schaeffer und Albert Rosshaupter, auch der frühere Reichstagsabgeordnete Friedrich Puchta. Puchta wird bis zur Befreiung durch die Amerikaner in der Hand der Nazis bleiben. Wenige Tage darauf wird er sterben, an Entkräftung, am 17. Mai 1945 im Schwabinger Krankenhaus .

Steeger verbringt seine erste Nacht in den Baracken von Dachau. Als morgens um halb Fünf geweckt wird, hat er kaum geschlafen. Er fühlt sich schlecht. Und sieht bald Menschen, denen es noch schlechter geht. „Auf dem Erdboden umher lagen in wildem Durcheinander Kinder, Männer und Greise; barfuß, zerlumpt, verdreckt, die meisten zum Skelett abgemagert, den ganzen Körper mit Ausschlag, Grinden und offenen Wunden bedeckt. Angehörige aller osteuropäischen Länder waren hier wie die Tiere zusammengepfercht. Wir Deutschen teilten nun das Los dieser Unglücklichen.“

Miserables Essen, davon viel zu wenig, schäbige Kleidung, Krankheiten, stundenlanges Stehen auf dem Appellplatz. in Kälte und Regen, krasseste Demütigungen und – schlimmer als andere – die Willkür der SS-Mordgesellen: Steeger beschleicht mehr und mehr die Angst, das Konzentrationslager nur noch über einen Weg verlassen zu können – durch den Schornstein des Krematoriums. „Der Kamin des Verbrennungsofens qualmte Tag und Nacht“, notiert der 63-Jährige.

"Dachau hat mich wachgerüttelt"

Und da ist dieses Gefühl zwischen Hoffen und Scham. Die Alliierten machen Fortschritte, so hört man auch im Lager, werden sie rechtzeitig da sein, um die Gefangenen in Dachau zu retten? Die Alliierten aber kämpfen in einem Krieg, den Deutschland entfesselt hat. „Wir alle liebten Deutschland, unser Volk, unsere Heimat und unsere Familien und sahen doch keinen anderen Ausweg. Wir wussten, die Niederlage einer größenwahnsinnigen Klique von notorischen Verbrechern und Militaristen war zwar auch die Niederlage unseres Vaterlandes; leider ließ sich jedoch das eine nicht vom anderen trennen.“ Eine verbrecherische Clique, einige wenige: als hätten nicht die Massen dem „Führer“ zugejubelt.

Der fränkische Sozialdemokrat Steeger fühlt selber dieses kollektive Versagen. Und lässt dieses Gefühl zwischen den Zeilen anklingen. Dachau habe ihn „wachgerüttelt“, wieder zum „aktiven Kämpfer gemacht“, schreibt er. Dreißig Tage in der Hölle, dann wird er entlassen, so unvermutet, wie er verhaftet worden ist.

Nach dem Krieg will er das Seine beitragen, dass Deutschland zurückfindet in eine Gemeinschaft der zivilisierten Nationen. Er bewirbt sich um eine Zeitungslizenz. Am 18. Dezember 1945 erscheint die erste Nummer der „Fränkischen Presse“. Verlagsleiter Steeger und seine Leute, zu denen ein halbes Jahr nach der Gründung Walter Fischer als Chefredakteur stoßen wird, sind in ihrem Behelfsbüro in Bayreuth mehr mit Improvisation und Überleben beschäftigt als mit Schreiben. Das zumindest lassen die Schilderungen der Zeitungsveteranen erahnen. Doch sie setzen alles daran, Ihre Leser mitzunehmen: auf dem „gemeinsamen Wege in eine bessere und hellere Zukunft“.

1968 sollte aus dem konservativen „Bayreuther Tagblatt“ im Besitz der Familie Ellwanger und aus der von Julius Steeger und Walter Fischer begründeten „Fränkischen Presse“ der „Nordbayerische Kurier“ werden. Julius Steeger ist vierzehn Jahre zuvor verstorben. Sein Auftrag aber ist geblieben.

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