Im Tal der Medizintechnik

Junge und etablierte Firmen arbeiten im Medical Valley rund um Forchheim Seite an Seite. Aber wie funktioniert das genau? Professor Erich Reinhardt, Vorstandschef des Medical Valley, gibt Einblicke.

 
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Sie waren jahrelang Geschäftsführer der Medizintechnik-Sparte von Siemens. Wie sehr profitieren Unternehmen vom Medical Valley?
Prof. Erich Reinhardt: Das Medical Valley schafft hier in der Region eine stimulierende Atmosphäre für Innovationen. Kleine und mittelständische Unternehmen profitieren von den Innovationen, Kooperationen und Ausgründungen im Medical Valley ebenso wie die großen Spieler. Das Medical Valley wurde zu einer Zeit gegründet, als ich noch Chef von Siemens Healthcare war. Wir haben die Entwicklung von Anfang an unterstützt.

Gerade große Konzerne haben aber doch oft eigene Abteilungen für Forschung und Entwicklung.
Reinhardt: Das schon. Sie schätzen es aber auch sehr, mit der innovativen Szene vernetzt zu sein. Viele Ideen entstehen außerhalb der Unternehmen. Da bietet das Medical Valley viele Möglichkeiten, diese Kultur zu unterstützen. Als Geschäftsführer von Siemens Healthcare habe ich die Gründung des Medical Valley damals sehr begrüßt.

Nach der Vereinsgründung hat es noch einige Zeit gedauert, bis das Medical Valley richtig Fahrt aufnahm. Wieso?
Reinhardt: Der Vorteil eines solchen Clusters besteht in der Vernetzung. Das geschieht nicht über Nacht. Es geht ja nicht nur darum, dass sich die verschiedenen Akteure in so einem Cluster kennen, sondern auch, dass sie sich miteinander verstehen. Das braucht Zeit. In einem letzten Schritt entstehen dann gemeinsame Projekte. Das ist in den vergangenen Jahren im Medical Valley passiert.

Wie hat sich das Medical Valley in dieser Zeit entwickelt?
Reinhardt: Mittlerweile hat der Verein ungefähr 200 Mitglieder. Da sind viele Unternehmen dabei: kleine, mittlere, große. Neben Siemens ist mit Adidas ein weiterer Dax-Konzern engagiert.

Was ist aktuell der Schwerpunkt der Arbeit im Medical Valley?
Reinhardt: Das kann man gar nicht so pauschal beantworten, da die Unternehmen in fast allen Bereichen der Medizin-Branche aktiv sind. Das Segment Digital Health – also digitale Gesundheitsversorgung – ist jedoch der Bereich, der zurzeit am stärksten wächst. In ihm bieten sich viele Bereiche für Gründungen an: ob bei Prävention, Diagnostik oder im Pflegebereich. Dort sind zahlreiche Projekte in der Entwicklung, und auch die Förderprogramme sind darauf fokussiert.

Inwiefern können Unternehmen
aus dem Medical Valley bei der
Prävention helfen?
Reinhardt: Viele Menschen tragen bereits sogenannte Wearables. Also etwa Fitness-Armbanduhren oder andere Kleidungsstücke mit Sensoren. Die Daten laden die Träger dann in eine Cloud und können sich dadurch mit anderen Nutzern vergleichen. Das schafft Motivation.

Gibt es auch einen medizinischen Nutzen dieser Geräte?
Reinhardt: Ja, Bewegungssensoren können etwa älteren Menschen helfen, ihr Sturzrisiko zu verringern. Es gibt auch die Möglichkeit, Sensoren an den Schuhen anzubringen, die das Gangverhalten analysieren. Das kann zum Beispiel bei Patienten mit Parkinson eingesetzt werden. Unser generelles Anliegen ist es, dass die Qualität der Gesundheitsversorgung besser wird. Denn das ist nichts, was nur für Deutschland von Bedeutung ist, sondern weltweit. Was jemandem hier hilft, gesund zu bleiben, hilft auch Menschen in anderen Ländern.

Was kann man sich unter Digital Health vorstellen?
Reinhardt: Aktuell entstehen im Gesundheitsbereich zunehmend Datenbanken, die sehr viele Informationen, etwa über Krankheitsgeschichten, enthalten. In großen Forschungsprojekten werden durch die Sequenzierung des Genoms zunehmend auch genetische Informationen erhoben. In diesen Datenbanken ist folglich ein Großteil des medizinischen Erfahrungswissens gespeichert. Mithilfe der Auswertung großer Datenmengen kann man etwa bei Tumortherapien schon vor der Therapie vorhersagen, ob ein Patient auf ein Medikament anspricht. Dadurch können unnötige Nebenwirkungen vermieden werden.

Das Medical Valley rühmt sich auch für seine Nähe zur Universität Erlangen-Nürnberg. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?
Reinhardt: Das Medical Valley zeichnet sich dadurch aus, dass es in ihm eine sehr enge Kooperation zwischen verschiedenen Disziplinen gibt. Ingenieure sind darin ebenso gefragt wie Menschen aus der Wirtschaft, der klinischen Medizin oder der Gesundheitsvorsorge. Insofern spielen die Universität und das Universitätsklinikum schon eine zentrale Rolle. Der Dekan der medizinischen Fakultät, Prof. Jürgen Schüttler, ist auch mein Stellvertreter als geschäftsführender Vorstand.

Wohin soll sich das Medical Valley entwickeln?
Reinhardt: Wir befinden uns zurzeit im Strategieprozess und sind gerade dabei, nach Bamberg zu expandieren. Das trifft auch den Valley-Gedanken ganz schön. Außerdem verleihen wir künftig mit dem bayerischen Wirtschaftsministerium den Medical-Valley-Award. Es sind schon 50 Bewerbungen eingegangen. Es geht jedoch nicht nur darum, einen Preis zu verleihen, sondern darum, noch mehr Ideen anzuregen. Eines unserer größten Anliegen ist es, die Innovationskraft zum Thema Gesundheit in der Region zu stärken. Auf dem Weltmarkt gibt es für Medizintechnik ein Potenzial von etwa 230 Milliarden US-Dollar.

Unterstützen Sie die Unternehmen auch bei weltweitem Engagement?
Reinhardt: Wir haben vor allem drei Schwerpunkte: China, Brasilien und die USA. Uns ist es wichtig, den Horizont der Unternehmer zu erweitern und ihnen Unterstützung zu geben. Darüber hinaus bemühen wir uns um Investoren und geben Rat in Zulassungsfragen. Das ist ein großer Themenkomplex, den junge Unternehmen viel zu oft vernachlässigen. Gerade bei Medizinprodukten ist eine Zulassung jedoch enorm wichtig. Wir greifen dabei unter anderem auf ein sogenanntes Senior-Expert-System zurück, bei dem ehemalige Mitarbeiter von Siemens Healthcare Unterstützung geben. Die Jungunternehmer profitieren sehr von deren Erfahrung.

Sie haben bereits Bamberg angesprochen. Dort soll in den kommenden Jahren ein Digitales Gründerzentrum entstehen. Sehen Sie das als Konkurrenz zum Medical Valley?
Reinhardt: Nein, überhaupt nicht. Die Gründerzentren haben ein breites Themenspektrum. Und auch, wenn es dort ähnliche Fragestellungen geben sollte, sehe ich das nicht negativ. Es ist immer interessant, sich zu ergänzen. Wir arbeiten auch mit anderen Gründungszentren wie etwa dem Zollhof in Nürnberg zusammen.

Das Gespräch führte Christopher Michael

Zur Person

Prof. Erich Reinhardt wurde 1946 in Öhringen in Baden-Württemberg geboren. Nach einem Studium der Elektrotechnik an der Universität Stuttgart promovierte er und wechselte anschließend zur Siemens AG. Nach Stationen unter anderem in Indien war er bis April 2008 Geschäftsführer der Siemens Medizintechnik-Sparte Siemens Healthcare. Seit 2007 ist Reinhardt Vorstandschef des Medical Valley.

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