25 Jahre Deutsche Wiedervereinigung Im Kofferraum über die Glienicker Brücke

Uwe Renners

Minderjährige im Kofferraum auf der Glienicker Brücke, Nothing Compares 2 u in der Dauerschleife im Radio, billiger Gin und Ost-Cola in einem Potsdamer Jugendzentrum und uniformierte Ordenverkäufer am Brandenburger Tor. Es war Ostern. Es war 1990. Es war Berlin. Sie waren jung.

 
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Acht junge Leute machen sich im April 90 auf den Weg in die heimliche Hauptstadt Deutschlands. Sie wollen sehen, was in dieser Stadt gerade passiert. Sie wollen durch die Mauer gehen, das Brandenburger Tor anfassen. Sie wollen den „Wind of change" selber spüren.

Fiese Grenzbeamte

In Helmstedt spüren sie mit ihrem spontan organisierten blauen VW-Bulli einer Dachdeckerfirma erst einmal, wie es gewesen sein muss, von sturen und mitunter fiesen DDR-Grenzbeamten malträtiert zu werden, um auf die Transit-Strecke zu kommen. Mit einem Unterschied. Als der Fahrer des Bullis die Pässe durch das Fenster reicht und einer davon zu Boden fällt, da wäre einige Monate vorher wahrscheinlich Schluss mit der Reise gewesen. Und als der Grenzbeamte sich dann auch noch aus seinem Fenster bückt, um den Pass aufzuheben und sich beim Hochkommen mit dem Hinterkopf an der Fensterkante den Kopf aufschlägt - es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass sie ein paar Hunde ins Auto geschickt und die acht jungen Erwachsenen für 24 Stunden in Gewahrsam behalten hätten. Ostern 90 hält sich der Grenzer jammernd den Hinterkopf und drückt dem Fahrer die Pässe wieder in die Hand. Ohne einen Blick darauf zu werfen. DDR-light sozusagen. Ein mulmiges Gefühl bleibt trotzdem bei der Clique.

Arno macht in Brandschutzanlagen

In Berlin wartet Arno auf die unerfahrene Meute. Arno macht in Brandschutzanlagen und hat seit der Maueröffnung auch im Osten der Stadt einige Dinger laufen, über die er aber nicht so gerne redet. Und Arno hat Kontakte. Seine Wohnung wird die Homebase der ahnungslosen Acht an diesem Ostern. Hier wird geduscht und geschlafen - aber Ostern 1990 schläft man nicht viel in Berlin.

 

Direkt am ersten Abend geht es nach Potsdam. Arno hat einen Tisch reserviert. Die Diskothek, ein Jugendclub im kommunistischen Stil, sieht aus wie eine Mensa. Holzstühle, ein paar Tische, in der Mitte die Tanzfläche und eine Discokugel, deren Farben sich auf den Fliesen spiegeln. Vor dem Eingang wird Geld eingesammelt. Zehn Mark von jedem, die Arno - auch hier hat er seine Kontakte -1:7 in Ostmark tauscht. Das reicht, um sich mit Gin und Ost-Cola zu betrinken. Der reservierte Tisch ist bereits besetzt. Eine Frau mit ihrer jungen Tochter warten bereits. Von einer Verabredung hat Arno vorher nicht gesprochen. Auch nicht, dass die 15-jährige Tochter noch keinen Ausweis hat, „der zwar beantragt aber noch nicht da ist“, sagt Arno. Warum er darauf hinweist, ist niemandem klar, wird sich aber im Laufe des Abends noch herausstellen.

In den Kofferraum verfrachtet

Arno ist kein Mann der großen Worte. Arno macht Geschäfte. Und Arno hat sich an diesem Abend vorgenommen, Mutter und Tochter mit nach Berlin zu nehmen. Das geht nur illegal. Die 15-Jährige wird in den Kofferraum verfrachtet, bekommt zwei Decken als Tarnung und zwei Kilometer vor der Glienicker Brücke ein Sprechverbot verpasst. Den westdeutschen Besuchern dämmert es nur langsam - dort, wo bis vor kurzem Agenten ausgetauscht wurden, dort wird gleich ein illegaler Grenzübertritt stattfinden.

Der hätte ein gutes halbes Jahr früher durchaus tödlich enden können. Ostern 1990 fragt Arno den DDR-Grenzer an diesem geschichtsträchtigen Ort, ob er noch Interesse an dem Auto hat, über das sie sich erst vor kurzem unterhalten haben. Es werden Telefonnummern ausgetauscht, der Deal soll in den nächsten Tagen über die Bühne gehen. Ausweise will niemand sehen, die 15-Jährige kommt unter ihren Decken lebend nach Westberlin. Den acht Unwissenden zittern die Knie.

Mädchen aus Ostberlin

Zusammen mit dem Mädchen aus Ostberlin, wie sie liebevoll genannt wird, die Mutter bleibt nur eine Nacht, verbringen sie die Tage in Berlin. Steigen auf Aussichtstürme, um über die Mauer zu schauen, um anschließend durch die Fußgängergrenzüberwege am ehemaligen Reichstag zum Brandenburger Tor zu laufen. Das Ostberliner Mädchen wartet und feilscht derweil mit den Ordenverkäufern, die in russischen Uniformen alle Abzeichen der vergangenen 50 Jahre verhökern. Natürlich nur gegen Westmark. Es sind vier Tage kurz vor der Wiedervereinigung, die die Acht nie vergessen werden. An die sie sich auch 25 Jahre später noch erinnern und sich beim Anblick der Fotos wundern, welch schreckliche Klamotten sie damals getragen haben. Und an das Mädchen aus Ostberlin, das eigentlich aus Potsdam kam und heute immer noch dort lebt. Letztens hat man sich auf Facebook wiedervereint.