Illegal, lebensgefährlich, unberechenbar

Von Andrea Pauly
Beschlagnahmte Drogentütchen, Kräutermischungen, Polizeiinspektion Bayreuth-Stadt; Foto: Eric Waha Foto: red

Vier Männer, zwischen Anfang 20 und Ende 30: Sie alle haben eine Drogengeschichte. Sie alle  haben Straftaten begangen, gedealt, gestohlen, betrogen, konsumiert. Dafür sitzen sie in der Klinik für Forensische Psychiatrie. Wenn sie aus ihrem Leben erzählen, sprechen sie von Geld, von Kicks, von Nahtod-Erfahrungen in Südamerika und vom ersten Joint mit sieben Jahren.

 
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Zum Workshop der Klinik für Forensische Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus sind Ärzte, Therapeuten, Polizisten, Bewährungshelfer, Staatsanwälte, Sozialarbeiter aus verschiedenen Bundesländern gekommen. Sie dürfen den vier Patienten Fragen stellen - alle, die ihnen einfallen. Die Besonderheit: Die Antworten bleiben ohne Konsequenzen für die vier Männer. Es gibt keine Ermittlungsverfahren und kein Gesprächsprotokoll für den Therapeuten. Sie müssen nicht aufpassen, was sie sagen. Sie bleiben anonym.

Es gab nichts, was sie abgehalten hätte

Alle vier sind sich einig: Es hätte nichts gegeben, was sie davon abgehalten hätte, Drogen zu nehmen. Nicht die Angst vor dem Tod oder dem Gefängnis, nicht die Familie, ihre Kinder, und erst recht nicht die Vernunft. Sie sind nur aus einem Grund "clean": Die Polizei hat sie geschnappt und ein Gericht hat sie nach Paragraf 64 des Strafgesetzbuches verurteilt. Weil sie ihre Straftaten in Folge einer Suchterkrankung oder im Rauschzustand begingen, sitzen sie nicht im Gefängnis, sondern in einer Entziehung. Doch dorthin kommt nur, wer therapiewillig ist. Dass sie süchtig sind, verstanden einige von ihnen erst hinter Gittern, als der Entzug einsetzte.

Jahrelang auf Crystal zur Arbeit

Alle vier haben über Jahre hinweg Drogen genommen. Der Jüngste rauchte seinen ersten Joint mit sieben Jahren, später drehte sich sein ganzes Leben ums Dealen. Zwei gingen jahrelang unter dem Einfluss von Crystal zur Arbeit, ohne dass jemand ahnte, dass sie "drauf" waren, dass sie seit Tagen nicht geschlafen hatten. Der vierte Patient war "kickgeil", sagt er. Er nahm beruhigende Drogen, nur um direkt danach etwas Aufputschendes zu nehmen - damit er wieder einen Kick spürt. Er riskierte ganz bewusst sein Leben für den ultimativen Kick. Und er weiß: Wenn er nicht rückfällig werden will, braucht er in Zukunft einen Ersatz wie Bungee-Jumping oder Fallschirmspringen.

Im Workshop gaben sie ihren Zuhörern Einblicke in die Welt von Drogenkonsum und Handel, von Beschaffung und Reiz. Die Fragen drehten sich um verschiedene Themen.

Legal Highs

Die vermeintlich legalen, synthetischen Stoffe ahmen die Wirkung von anderen Drogen nach.  Aktuell sind 560 Stoffe in mehr als 600 Onlineshops zu bestellen. "Es gibt dauernd neue Mischungen, neue Substanzen und Veränderungen in der Zusammensetzung", sagt Dr. Johannes Steinmann, leitender Oberarzt in der Klinik für Forensische Psychiatrie. Es gibt sie in Form von Pulver, Tabletten oder Flüssigkeiten. Letztere werden auf Papier gesprüht, das der Süchtige in die Zigarette drehen kann. Auch in so genannten Kräutermischungen finden sich die Stoffe. In jedem Portionstütchen sind unterschiedliche Substanzen oder Konzentrationen. Eine gleichmäßige Verteilung des Wirkstoffs gibt es nicht, denn die Träger - Kräuter, Papier oder Pulver - nehmen unterschiedlich viel davon auf.  Herz-Kreislauf-Probleme, Übelkeit, Besusstlosigkeit, akute Psychosen sind nur einige der möglichen Auswirkungen. "Selbst die, die es vertreiben, wissen nicht, was es bewirken kann", sagt Steinmann. Und: "Es gab auch schon Todesfälle."

Krampfanfälle, Halluzinationen

Trotzdem greifen Abhängige immer wieder auf die Mischungen zurück - nicht nur, weil sie leicht verfügbar sind. "Wenn man süchtig ist, hat man kein Vertrauen in die Stoffe", sagt einer der vier Patienten. "Man liest die Kundenbewertung im Internet", sagt ein anderer. "Es ist wie eine Wundertüte. Man weiß nie, wie es wirkt."  Unter den Patienten gibt es komplett gegensätzliche Erfahrungen: Für die einen wirken die Legal Highs dämpfend, so wie Cannabis. Das war für einen der Patienten ganz anders: "Das war unkontrollierbar. Ich hatte Krampfanfälle." Sein Mitpatient hatte Halluzinationen: Er war überzeugt davon, dass ihm der Arm abfallen würde. Mit der Wirkung war die Wahnvorstellung verschwunden - und auch der Lerneffekt. Einig sind sie sich darin: Die Wirkstoffe in den Mischungen machen extrem vergesslich und aggressiver als Cannabis.

Im Internet leicht verfügbar

Und trotzdem nahmen sie es, immer wieder. "Bei uns in der Gegend gab es nichts anderes", sagt der eine. "Wenn nichts anderes da ist, man es im Internet bestellen kann und man weiß: am nächsten Tag ist es im Briefkasten, dann nimmt man das." Außerdem lag es preislich etwa auf dem Niveau von Marihuana - nur gibt es keinen Grund sich zu sorgen, möglicherweise einem Zivilfahnder in die Arme zu laufen.

Badesalz statt Crystal

Zu den Legal Highs gehört auch eine Droge, die Badesalz heißt. Einer der Patienten hat sie konsumiert - in dem Glauben, es sei Crystal. "Die haben eine Knockout-Wirkung. Man denkt, man wird nie wieder normal. Ich dachte, ich sterbe." Sein Mitpatient hat sie auch probiert. "Das ist ein deutlich stärkerer und sehr intensiver Kick."

Ungewöhnliche Drogen

Nicht alle Drogen kommen aus Laboren. In der Natur finden sich Stoffe, die Halluzinationen und Rauschzustände bewirken können: Tollkirsche, Stechapfel, Engelstrompeten und selbst Kakteen. Allerdings seien die Zustände nach dem Konsum solcher Wirkstoffe "absolut ekelhaft" und die Drogen kaum dosierbar, berichtet ein Patient.

Das Leben aufs Spiel gesetzt

Der älteste der vier Patienten setzte ganz bewusst sein Leben aufs Spiel - auf der Suche nach dem größtmöglichen Trip. In Peru bei einem Schamanen trank er einen Tee mit dem Wirkstoff DMT, der unter Abhängigen als die ultimative psychedelische Droge gilt. Nach 30 Minuten setzte die Wirkung ein, nach drei Stunden die volle Wirkung. "Die Seele verlässt den Körper. Das ist eine  Nahtoderfahrung. Man übergibt sich permanent, hat heftige Visionen und muss sich seinen schlimmsten Ängsten stellen", berichtet der Mann. "Da kommen verdrängte Sachen herauf. LSD ist ein Spielzeug dagegen. Man ist kurz vorm Tod." Er spielte mit seinem Leben. "Ich wusste, dass das schiefgehen kann. Aber ich wollte die Nahtoderfahrung machen. "

Crystal

Crystal Meth ist am Bezirkskrankenhaus in Bayreuth ein Schwerpunkt - gezwungenermaßen, weil die Droge in der Region beliebt ist. Zwei der Patienten haben über Jahre Crystal genommen - und waren trotzdem in der Lage, arbeiten zu gehen, ohne dass ihr Umfeld etwas ahnte. Nicht jeder verliere die Kontrolle über seinen Körper: "Man sieht es nicht jedem an", sagt einer der beiden Langzeit-Konsumenten. Die Schockbilder, die die Auswirkungen von Crystal Meth zeigen sollen, halten sie für übertrieben. Doch dazu gibt es Widerspruch aus der Runde: Es gibt Konsumenten, die nach kurzer Zeit schon genau so aussehen wie die Menschen auf den Bildern.

Ohne Crystal kein Alltag mehr

Die Wirkung der Droge übersteigt die anderer Wirkstoffe um ein Vielfaches. "Wenn man Crystal konsumiert, merkt man etwas anderes nicht mehr." Dann haben andere Drogen nur noch den Zweck, den Körper so weit herunter zu fahren, dass der Konsument nach Tagen mal schlafen kann. Irgendwann ist der Süchtige ohne Crystal nicht mehr in der Lage, sein Leben zu meistern. "Ich hätte ohne Crystal nicht mal mehr den Müll rausbringen können", erinnert sich ein anderer. Die Abhängigkeit ist weniger spürbar als bei anderen Drogen. Wer darauf achtet, kann seinen Konsum lange verbergen. "Wenn Familie und Freunde merken, dass da was nicht stimmt, ist es eigentlich schon zu spät."

 

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