„Ring“-Bühnenbildner Aleksandar Denic im Interview „Ich mag komplizierte Projekte“

Noch größer geht es nicht: Die Bühnenbilder, die der Designer Aleksandar Denic für Frank Castorfs „Ring des Nibelungen“ entworfen hat, gehören zu den aufwendigsten Bühnenbauten, die je im Festspielhaus standen. Alle vier „Ring“-Teile spielen auf einer Drehbühne, „es gibt kein Vorne und kein Hinten“, sagt Denic (51), „es gibt keine richtige Seite.“ Ein Gespräch über Bilder, die den Rahmen sprengen.

 
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Herr Denic, wenn wir über Ihre Arbeit am „Ring“ reden – worüber reden wir dann: über Bühnenbilder? Dekoration? Ausstattung? Design? Wie nennen Sie das?
Aleksandar Denic: Ich mag das Wort „Dekoration“ nicht. Das mag der korrekte Begriff sein, aber er klingt zu sehr nach Vergangenheit. Ich versuche, Strukturen zu schaffen, die den Künstlern, mit denen ich arbeite, möglichst viele Möglichkeiten einräumen, damit sie ihr Bestes geben können. Dekoration klingt nach Kosmetik, nach Make-Up. Ich versuche, das Wort so gut es geht zu vermeiden.

Also: Sie sind nicht derjenige, der den Raum ausstattet. Sie sind derjenige, der am Anfang Himmel und Erde erschafft.
Denic: Das ist wahr. Mit Frank Castorf zu arbeiten ist auch deshalb eine so große Ehre und Freude für mich, weil wir eine sehr gute Arbeitsweise gefunden haben. Ich gebe Impulse, er entwickelt sie weiter – mit unglaublicher Vorstellungskraft.

Das müssen Sie erklären. Wie genau geben Sie Impulse?
Denic: Als wir die Arbeit am „Ring“ begonnen haben, wollten wir das machen, was wir letztlich immer tun: Wände einreißen, Grenzen überwinden, den Rahmen sprengen. Das kommt unserem Temperament sehr nahe. Wir haben darüber gesprochen, was uns intuitiv am „Ring“ interessiert, wir haben uns auf eine Richtung verständigt – und dann habe ich ein komplettes Raumkonzept geschaffen. Eine eigene Architektur, eine Dramaturgie des Raumes. Ich versuche immer, den Raum zu öffnen für alle Arten von Ideen, die im Laufe der weiteren Arbeit auftauchen können.

Waren Sie’s, der die Idee zu dem Mount Rushmore hatte? Waren Sie’s, der sagte, wir lassen unser „Rheingold“ an einer Tankstelle spielen, und die „Götterdämmerung“ an der Dönerbude?
Denic: Ja – ja und nein. Wir waren uns einig, dass es um Öl gehen soll. Die Frage, wie und wo das stattfinden könnte, kam aus meinem Kopf. Eine der ersten Ideen war, unsere Reise nicht linear zu unternehmen, wie auf einer Eisenbahnschiene, sondern auf mehreren Achsen gleichzeitig: durch die Zeit, durch den Raum, durch die Geschichte, und durch die ganze Welt. Das war der Ausgangspunkt.

Ich habe dann gesagt: „Das Rheingold“ ist unsere Einführung, lasst uns doch – und da spreche ich nur über das Visuelle – den Leuten erklären, worüber wir reden wollen. Und ich kann mir keinen besseren Ort vorstellen, um über Öl zu sprechen, als Texas in den 70ern und 80ern. Die goldene Zeit! Billiges Benzin! Große Autos, viele Öldollars – ein besseres Symbol kann man nicht finden.

In der „Walküre“ beginnen wir dann am Anfang. In Aserbaidschan, in Baku, dort ist der Ursprung der Ölindustrie. Aserbaidschan bedeutet „Land des Feuers“, Öl war hier immer da, anfangs hat man’s nur für Lampen verwendet. Dann kam die Industrialisierung, und man hat bemerkt, dass Baku ein ziemlich guter Ort ist – alle Industriellen sind dort hingegangen, alle großen Familien. Dort begann das Rennen. All die Götter, die es seither auf Macht und Geld abgesehen haben, haben um Baku gekämpft. Wegen dieser Kämpfe hat sich letztlich das politische System geändert. Das Öl ist aber immer das gleiche. Farben verändern sich, Systeme verändern sich, aber der Zweck bleibt.

In „Siegfried“, gehen wir noch einen Schritt weiter. Da haben wir es mit der Reflexion dessen zu tun, was in Baku passiert ist – und das ist Berlin. Die Welt war geteilt, so stark wie noch nie, in zwei starke Parteien. Das gab es noch nie. Mauern sind heute modern, es gibt sie in Mexiko, in Palästina, aber das war die erste. Deshalb habe ich diesen Frankenstein-Alexanderplatz gebaut, zusammengesetzt aus seinen berühmten Bestandteilen – Weltzeituhr, Bahnhof, ein Bein des Fernsehturms. Und auf der anderen Seite sind diese vier Köpfe, im gleichen Stil wie der berühmte Mount Rushmore in den Vereinigten Staaten. Ich rede nicht darüber, ob die vier Herren, die wir zeigen, gut oder böse sind (Marx, Lenin, Stalin und Mao, d. Red). Aber ich kann garantieren: In Europa kennt fast jeder ihre Namen. Die Namen der amerikanischen Präsidenten, die am echten Mount Rushmore zu sehen sind, wird keiner wissen. Aber zur selben Zeit, als in den USA dieser Felsen gehauen wurde, gab es auf der anderen Seite politische Turbulenzen, Umstürze und all das. Diese vier Herren sind sehr wichtig für unser Erbe. Ich sage das nicht mit Liebe und auch nicht mit Hass, aber sie sind wichtig. Marx hat über das Kapital gesprochen, ich sage nur: Ka-pi-tal-is-mus. Deshalb habe ich das so gemacht. Es gibt immer zwei Seiten der Welt.

Ist das der Grund, warum Sie eine Drehbühne verwenden?
Denic: Es gibt in diesem Bühnenbild kein Hinten und kein Vorne, es gibt keine richtige Seite. Alle Szenografien rotieren, alles ist offen. Wir fordern heraus, ich gebe keine Hinweise auf die Lösung. Ich frage nur. Ich gebe Informationen, über die man dann nachdenken kann. Und noch etwas: An den Mount Rushmore habe ich Gerüste gebaut, das bedeutet, diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ich weiß nicht, ob es die Gerüste gibt, weil die Köpfe zerstört werden oder weil sie weiter verbessert werden sollen. Aber es geht weiter.

Und dann, in „Götterdämmerung“, haben wir wieder Berlin – Ostberlin in Ruinen, Westberlin als demokratischen Ort mit Döner-Shop. Und wir haben eine weitere Seite, die die ganze Zeit bedeckt ist. Da lege ich eine falsche Fährte, mache eine kleine Hommage an Christo, an den verhüllten Reichstag. Aber als die Hülle fällt, sieht man: Es ist nicht der Reichstag, sondern die New Yorker Börse. Was bedeutet das? Ob du Kapitalist bist oder Kommunist, ob du grün oder rot oder blau bist, dein Geld entsteht immer aus Öl, und es landet immer hier: an der Börse. Das ist der Platz, an dem alle Götter – ob sie sich hassen oder lieben – dieselben Interessen haben. Sie gewinnen das Geld auf dieselbe Art, und sie legen das Geld auf dieselbe Art an. Das war mein Blickwinkel, meine Perspektive als Designer.

Wollten Sie das Publikum irritieren mit den falschen Fährten, die Sie legen?
Denic: Provozieren. Nicht irritieren – das ist dann ihr Problem.

Stimmt es, dass Sie auf Ihrer Anreise aus Belgrad eine Scheune gefunden haben, die Sie abbauen und für das „Walküre“-Bühnenbild“ verwenden wollten?
Denic: Nein. Ich sah hier in der Umgebung eine schöne Scheune, ich fragte, ob wir sie abbauen dürfen. Das Material war wirklich gut, mit einer wunderbaren Patina. Wir sind hingefahren, haben gefragt, und es wäre auch möglich gewesen. Aber es war dann einfacher, sie selbst zu bauen. Man muss ja wissen: Wir haben einen „Ring“ in weniger Zeit gemacht, als man normalerweise für eine einzelne Oper hat. Ich bin sehr stolz darauf, was wir hier geschafft haben. Und dieses Jahr bin ich sogar noch zufriedener – dieses Jahr kann ich im Zuschauerraum sitzen und mir ansehen, was wir da gemacht haben.

Frank Castorf betont immer wieder, dass er Druck braucht, um arbeiten zu können. Ist es für einen Bühnenbildner in dieser Größenordnung überhaupt möglich, unter Druck zu arbeiten?
Denic: Wir haben unsere Idee im April 2012 vorgestellt, die Fertigung der Bühnenbilder begann vielleicht im Januar, und im Juli war die Premiere. Für vier Opern. In der Zwischenzeit waren wir in Zürich, haben dort „America“ gemacht, und im März haben wir dann gesagt, lass uns noch etwas in der Volksbühne machen, um uns warmzuspielen und Spannung aufzubauen. Ich habe kein Problem damit, Dinge zu organisieren. Ich habe auch schon größere Projekte gemacht, ganz allein organisiert, mit Tausenden von Leuten. Das ist kein Problem für mich. Ich genieße das sogar. Ich bin besser als Dirigent denn als Solist.

Wenn man Ihre Arbeit in Bayreuth sieht, gewinnt man den Eindruck: Sie lieben es, groß zu denken. Und groß zu arbeiten.
Denic: Ja! Natürlich kann ich auch klein, aber irgendwie mag ich das. Ich mag komplizierte, gewaltige Projekte.

Haben Sie versucht, die Möglichkeiten und Strukturen im Festspielhaus auch ein bisschen herauszufordern?
Denic: Es ist eine gute Gelegenheit gewesen. Großer Geburtstag. „Ring“, vier Opern. Ein sehr wichtiger Moment. Ich kam ein Jahr vorher hierher, sah mir an, was hier gemacht wird, wie hier gearbeitet wird, und sah keinen Grund, das nicht auszureizen. Es ist ja so: Das Schlimmste für die Werkstätten ist, wenn es nichts zu tun gibt. Wenn sie nicht ausgelastet sind. Das hat nichts mit Bayreuth zu tun, das ist generell so. So verlieren sie Qualität. Das ist wie in der Armee: Die Soldaten müssen immer etwas zu tun haben, sonst ist es keine gute Armee mehr. Wenn die Werkstätten arbeiten, sind sie gut. Es kann sein, dass der Druck steigt, aber am Ende merkt man: Die Leute sind glücklich. Sie sind stolz. Weil sie etwas geschafft haben. Das, was jetzt auf der Bühne steht, haben sie gemacht, nicht ich. Das ist der Job der Maler, der Schreiner, auch von Herrn Uedelhoven in Ingolstadt, der einen 3D-Scan meines Belgrader Modells des Mount Rushmore gemacht hat. Mit Maschinen, auf denen er sonst die besten Autos der Welt macht.Ich bin stolz auf meine Idee und darauf, wie es am Ende aussieht. Ich weiß auch, dass es schwierig war. Aber jetzt können alle sagen: Das haben wir gemacht. Am Ende sind alle glücklich, wenn das Ergebnis stimmt.

Was war Ihre Aufgabe dieses Jahr?
Denic: Wir konnten natürlich keine großen strukturellen Änderungen machen. Aber wir konnten an Kleinigkeiten arbeiten, an Perspektiven. Im letzten Jahr hatte ich das schon im Kopf, aber wir hatten keine Gelegenheit dazu; jeder war bis zum allerletzten Moment total ausgelastet. Wir werden jedes Jahr ein paar Dinge ändern, wie viel, hängt vom Budget ab. Ich kenne alle Bühnenbilder, die ich gemacht habe, sehr genau, ich habe alle Details genau im Kopf. Alle Probleme und alle Fehler.

Wie verlief, im Rückblick, die Arbeit mit Frank Castorf?
Denic: Er ist ein Mann mit großer Intuition, ein großer Psychologe. Und ich genieße es sehr, im Zuschauerraum zu sitzen und dabei zuzusehen, wie er das, was ich gemacht habe, benutzt. Natürlich gibt es schwierige Momente, aber immer nur in der Auseinandersetzung mit der Außenwelt. Ich bin jetzt 51, ich arbeite seit 30 Jahren – und ich kann sagen: Ich arbeite aus Freude. Ich gebe mein Bestes – und, auch wenn das bestimmt schwierig ist für meine Kollegen und Mitarbeiter, ich mache niemals, wirklich niemals Kompromisse.

Das Gespräch führte Florian Zinnecker.

 

 

 

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