Nicolaus Richter, Verantwortlicher für das städtische Jubiläumsprogramm zum Wagnerjahr, zieht im Kurier-Interview Bilanz „Ich bin selbst nicht so glücklich“

Von Florian Zinnecker
 Foto: red

Das letzte Konzert im Jubiläumsprogramm der Stadt war am 30. November; einen offiziellen Schlusspunkt gibt es nicht. Es ist auch nicht ganz klar, ob das städtische Programm nun offiziell als erfolgreich gilt. Vorsichtshalber hat der Jubiläumsbeauftragte Nicolaus Richter einen 40-seitigen Bericht mit eindrucksvollen Zahlen anfertigen lassen – Gesamtbesucherzahl: 170.000. Tatsächlich war die Auslastung der einzelnen Veranstaltungen eher bescheiden. Die 29 Hauptveranstaltungen lockten gerade einmal 8560 Zuschauer an. Im Kurier-Gespräch zieht er nun Bilanz

 
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Herr Richter, vor einem Jahr haben wir Sie gefragt, wann das Wagnerjahr ein Erfolg gewesen sein wird. Sie sagten: „Das ist davon abhängig, wie gut das Publikum die einzelnen Veranstaltungen annimmt. Es ist natürlich unser Ziel, dass unsere Veranstaltungen möglichst gut besucht sind.“
Nicolaus Richter: Ja, das war immer so. Und es ist teilweise gelungen, das muss man auch sagen.

Größtenteils ist es nicht gelungen.
Richter: Mich dauert jeder Platz, der nicht ausgebucht war. Dazu stehe ich. Aber man kann das Publikum eben nicht in die Veranstaltungen hineinprügeln. Vielleicht liegt es auch ein bisschen an der Vermarktung. Aber darauf möchte ich nicht näher eingehen.

Am Programm selbst lag es nicht?
Richter: Wir haben ein Programm geboten, das seinesgleichen sucht, jedenfalls in einer Stadt in dieser Größe. Das war ein Großstadtprogramm – mit einer Reihe an Konzerten, die sich Bayreuth normalerweise nicht leisten kann.

Wen wollten Sie mit diesem Programm ansprechen?
Richter: Alle, die neugierig auf Wagner sind. Zum einen das klassische Wagner-Publikum, zum anderen neue Publikumsschichten. Da hätten wir uns natürlich mehr gewünscht, aber das kann man nicht von jetzt auf nun leisten. Schade ist natürlich, dass wir nur ein Jahr hatten. Das ist jetzt vorbei.

Macht diese Jubiläumspolitik denn Sinn: als Stadt ein Jubiläumsprogramm auf die Beine zu stellen, zusätzlich zum schon bestehenden Kulturleben – das, noch bevor es als Marke für sich selbst stehen könnte, schon wieder vorbei ist?
Richter: Das war vom Stadtrat so gewünscht, ich hatte den Auftrag, das zu vollziehen. Im Vergleich zum Liszt-Jahr hat es in jedem Fall einen großen positiven Ruck gegeben; einen erheblichen Ruck. Im Übrigen: Sowohl im Stadtrat wie auch im Kulturausschuss fielen die Beschlüsse für das Programm einstimmig. Ich habe den Auftrag erfüllt, bin aber selber, wie viele andere auch, nicht so glücklich – wir hätten eben noch mehr Besucher gebrauchen können.

Was genau war der Auftrag, den Ihnen der Stadtrat gegeben hat? Wie lautete Ihr Mandat?
Richter: Ich einen Programm-Vorschlag vorgelegt, mit Veranstaltungen, Ausstellungen und Aktionen, bestehend aus Wagner selbst, Crossover-Projekten – ich nenne da nur Mnozil Brass, die wir normalerweise nicht nach Bayreuth bekämen – und das umfangreiche Education-Programm. Das habe ich vorgeschlagen, es wurde diskutiert und einstimmig gutgeheißen, und dann bin ich in die Spur gegangen.

Welche Zielvorgaben hatten Sie?
Richter: Das Programm sollte über das ganze Jahr verteilt sein, mit weniger städtischen Veranstaltungen als im Liszt-Jahr. Das war nach Meinung der Stadträte überfrachtet, das habe ich auch eingesehen. Letztlich ist es auch jetzt wieder sehr viel geworden – wegen der vielen Drittveranstalter und Initiativen, die wir alle ins offizielle Programm aufgenommen haben. Eine Menge Bayreuther sagt, ach Gott, das ist alles so viel. Ich kenne aber auch eine Menge Bayreuther, die in fast jeder Veranstaltung war und alles aufgesogen und genossen hat. Und dann wurde festgelegt: Vier Millionen Euro darf es kosten, davon 1,5 Millionen aus städtischen Mitteln. Wir haben beide Beträge unterschritten, die vier Millionen sogar ganz gewaltig. Im Moment liegen wir bei 2,55 Millionen. Ich wäre auch dankbar, wenn das publiziert wird – damit es nicht immer heißt, das Wagnerjahr hat vier Millionen gekostet.

Das ist politisch nachvollziehbar, aber künstlerisch schwer verständlich: Wenn Sie für ein Projekt wie das Wagnerjahr ein bewilligtes Budget von vier Millionen Euro haben – warum geben Sie das Geld dann nicht aus?
Richter: Als wir das Programm erstellt haben, war noch nicht klar, was es kosten würde. Die vier Millionen waren der Rahmen, in dem wir uns bewegen durften – mit der Maßgabe: Seht zu, dass es nicht allzu teuer wird. Natürlich hätten wir jetzt noch das Chicago Symphony Orchestra holen können, dann wäre es mehr geworden. Man muss es ja aber nicht mit Gewalt überdehnen.

Es ist ja keine besondere Kunst, im Nachhinein am Jubiläumsprogramm herumzumäkeln ...
Richter: … damit können wir leben. Ich gehe damit sportlich um. Wir haben uns nichts vorzuwerfen.

Ein oft gehörter Kritikpunkt lautet: Das Programm war für einheimisches Publikum zu üppig, für auswärtiges Publikum aber zu klein. Kaum ein Münchner fährt nach Bayreuth, um hier ein Konzert zu hören, das er auch in München hören könnte, wenn es hier sonst nichts gibt, was einen Besuch lohnt.
Richter: Das ist der Spagat, den man da versuchen muss. Aber darum ging es mir nicht. Ich hatte den Auftrag, das Programm allumfassend und bunt zu gestalten. Das ist mir gelungen, denke ich. Ich fürchte nur, manch einer hat vielleicht zu spät erfahren, was wir machen. Oder gar nicht.

Ist aus heutiger Sicht alles nach Ihrem Wunsch abgelaufen, oder ist es an einzelnen Punkten wesentlich mehr oder weniger geworden?
Richter: Ich hätte mir – da gebe ich manchen Kritikern recht – mehr Nachhaltigkeit gewünscht. Ich hätte gern die Stadttore an den Einfallstraßen gehabt. Aber die mussten wir aus finanziellen Gründen wegkürzen.

Es gab auch keinen offiziellen Beitrag eines maßgeblichen Wagner-Wissenschaftlers in Bayreuth.
Richter: Wir wollten ja einen großen Wagnerkongress machen, aber das hat nicht funktioniert. Wir haben lange diskutiert, es hat sich aber dann nicht realisieren lassen, weil die Vorstellungen stark auseinandergingen.

Außerdem vermissten viele eine zentrale, wegweisende Ausstellung in Bayreuth. Zum Thema „Hier spricht Bayreuth zum Wagnerjahr“.
Richter: Wir hatten eine Ausstellung zu Thomas Mann im Rathaus, initiiert von Haus Wahnfried. Die fand ich hervorragend. Wir hatten die Video-Installation an der Rathaus-Fassade, das war keine Ausstellung, aber eine große Draußen-Geschichte. Und wir hatten die Wagner-Figuren von Ottmar Hörl im Festspielpark. Das ist Geschmackssache, wir waren damit aber weltweit in der Presse. Ich weiß nicht, ob die Stadt aus Eigeninitiative eine Ausstellung hätte machen sollen. Wenn, dann hätte es eher das Festspielhaus machen müssen. Das Richard-Wagner-Museum ist im Moment ja außer Betrieb, die Dokumente und Exponate, die wir haben, sind eingelagert. Die ideale Ausstellung wäre „Das neue Wahnfried“ gewesen – aber das ging nicht, und da bin ich auch nicht zuständig. Ich bin für das Programm verantwortlich. Dass es in diesem Jahr die vielen Baustellen gab, tat mir in der Seele weh. Aber auch dazu will ich gar nichts mehr sagen, da ist genug gelästert worden. Es ist, wie es ist.

Wenn in der Wagnerstadt Bayreuth im Wagnerjahr alle wagnerrelevanten Gebäude Baustellen sind – ist das nicht ein entscheidender Faktor, auch für Sie als Kurator des Jubiläumsprogramms?
Richter: Es wäre besser gelaufen, wenn Wahnfried fertig und eröffnet gewesen wäre. Und es wäre absolut viel besser gelaufen, wenn das Opernhaus zur Verfügung gestanden hätte. Dann hätte ich das Programm auch noch stärker in diese Richtung ausstaffiert. So waren wir angewiesen auf die Stadthalle, den Europasaal, die Oberfrankenhalle – die besser funktioniert hat, als es beschrien wurde, auch akustisch. Natürlich bleibt es eine Sporthalle, das ist klar, das sieht jeder. Aber man kann da ohne Weiteres auch in Zukunft große Konzerte geben. Die Akustik war erstaunlich gut.

Was kann man, was kann Bayreuth aus dem Jahr 2013 lernen?
Richter: Man sollte versuchen, eine gewisse Kontinuität reinzubringen. Man sollte jetzt nicht sagen: Schluss, Klappe zu, Affe tot, das nächste Jubiläum ist 2063. Man muss kontinuierlich daran arbeiten, dass Bayreuth die Marke „Wagnerstadt“ etabliert. Das kann man nicht mit einem Hauruck hinkriegen. Wir sind im Liszt-Jahr auch keine Liszt-Stadt geworden. Allerdings ist damals die alte Liszt-Achse Weimar-Bayreuth-Raiding-Budapest entstanden, das ist geglückt, nachhaltig, da kommt jetzt immer mehr. Das finde ich sehr gut. Man muss weiterarbeiten und nicht sagen, so, jetzt legen wir die Hände in den Schoß, bis zum nächsten Jubiläum, und dann schauen wir mal. Dann wird das nicht anders.

Was muss passieren?
Richter: Man muss Geld in die Hand nehmen, sonst funktioniert es nicht. Ich denke, es ist Geld da. Es ist eine Frage der gewollten Verteilung. Das ist überall so, nicht nur in der Kultur.

Hätte man sich vielleicht auch einfach mehr trauen müssen, mehr Mut zeigen müssen?
Richter: Ich verwahre mich dagegen, dass wir nicht mutig waren. Allein die Installation von Philipp Geist am Rathaus war für Bayreuth sehr mutig. Ich hätte gern noch mehr gemacht, das ist klar. Das musste aber erstens alles vom Stadtrat genehmigt werden – und zweitens finanzierbar sein. Und man weiß im Einzelfall auch nicht, ob es der Sache überhaupt gut tut. Man kann solche Dinge nur von langer Hand planen. Die müssen sich entwickeln, die kann man nicht übers Knie brechen. Und aus diesem Blickwinkel, finde ich, haben wir Erstaunliches geleistet. Denn ein bisschen übers Knie gebrochen war es ja.

Wie wurde das Jubiläumsjahr intern gesehen: eher als Chance oder als Kostenfaktor?
Richter: Da gab es ganz verschiedene Strömungen. Selbstverständlich sehen manche Leute nur die Kosten, andere beäugen das Programm und sagen: Hm, gewagt. Und wieder andere sind des Lobes voll und sagen: Super, da passiert jetzt mal was. Wir haben vieles geliefert, was es so noch nie gab.

In aller Kürze: Wie lautet Ihr Fazit?
Richter: Es hat mir Spaß gemacht, ich habe viel gelernt. Und ich wünsche mir, dass es weitergeht. Dass man jetzt nicht aufhört. Auf der ganzen Welt bedeutet Bayreuth: Wagner. Darauf sollten wir stolzer sein. Wir haben da eine der wichtigsten Marken Deutschlands. Damit können wir wirklich punkten, und sollten es auch tun.

Haben die Bayreuther verstanden, dass Bayreuth diese Marke hat?
Richter: Ich glaube, noch nicht alle.


Umfrage - so hat den Bayreuthern das Wagner-Jubiläumsjahr gefallen

Eva Ohla, 58, Gästeführerin aus Bayreuth:
„Mir haben die Ausstellung und die virtuelle Führung durch König Ludwigs Schloss in der Villa Wahnfried gefallen. Dass das Haus zu diesem Anlass geöffnet wurde, fand ich schön.“

Herta Zindl, 67, Rentnerin aus Bayreuth:
„Die Beleuchtung des Rathauses war schön anzusehen. Das war mal etwas Neues.“

Renate Böhner, 62, Rentnerin aus Bayreuth:
„Ich finde, die Wagner-Figuren im Festspielpark haben super ausgesehen. Das Gesamtbild hat mir sehr gefallen.“

Manuela Greinert, 51, Angestellte aus Bayreuth:
„Die Lichtshow am Rathaus fand ich am besten. Schön war auch, dass Tische und Bänke aufgebaut wurden, von denen aus man die Illumination genießen konnte.“

Konrad Schorer, 70, Rentner aus Bayreuth:
„Die Wagner-Figur auf der Bank in der Opernstraße ist schön. Sie ist ein schönes Foto- Modell.“

Heidi Günther, 65, Rentnerin aus Bayreuth:
„Die Wagner-Figuren waren schön. Und das Symbol auf dem Boden, mir gefällt die Idee vom Wagner-Weg.“