Herr Minister, wie stehen Sie dazu, dass ich immer mehr Bürger den kleinen Waffenschein besorgen?
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält Bürgerwehren für groben Unfug. Im Redaktionsgespräch mit dem Kurier äußert er sich außerdem zur V-Mann-Affäre und zur Straßenausbaubeitragssatzung. Eine Koalition mit der AfD schließt er für alle Zeiten aus.
Herr Minister, wie stehen Sie dazu, dass ich immer mehr Bürger den kleinen Waffenschein besorgen?
Joachim Herrmann: Im Rahmen der Gesetze kann jeder davon Gebrauch machen. Auf der anderen Seite muss man aufpassen, nicht selber zur Eskalation beizutragen. Zum Beispiel beim Umgang mit einer Gaspistole. Das ist zwar alles legal, aber ob und wie man klug und effektiv damit umgeht, muss letztendlich jeder selber wissen. Es ist Kernaufgabe des Staates, für die Sicherheit zu sorgen. Wir müssen darauf achten, dass das gute Sicherheitsgefühl der Menschen nicht durch völlig haltlose Gerüchte in Gefahr gerät. Was mir gar nicht gefällt, sind solche Geschichten wie Bürgerwehren. Das ist grober Unfug.
Wir haben das Angebot der Sicherheitswacht in vielen Städten und Gemeinden für Menschen, die sich engagieren wollen. Es können jederzeit noch mehr Sicherheitswachten gegründet werden. Diese haben den Vorteil, dass immer die örtliche Polizeiinspektion die Oberhoheit darüber hat. Da schaut sich die Polizei vorher an: Wer ist dabei, was steht im Führungszeugnis. Das ist ein vernünftiges Angebot. Wir lehnen die selbstorganisierten Bürgerwehren ab, bei denen wir in Bayern schon Beispiele haben, dass offenkundig auch Leute aus der rechtsextremen Szene da versuchen, mitzumischen.
Wie stehen Sie zur Nennung der Herkunft eines Menschen im Polizeibericht?
Herrmann: Ich meine, dass es gerade in der jetzigen Situation in der Regel wichtig ist, dass die Nationalität genannt wird. Es wird aber jedem einleuchten, dass es etwa bei einem türkischen Einzelhändler, der schon seit 20 Jahren seinen Laden hier hat, und der wegen Steuerhinterziehung verklagt wird, ziemlich irrelevant ist, dass es ein Türke ist. Das hat mit dem Sachverhalt wenig zu tun. Wenn es aber um eine Schlägerei in der Innenstadt geht, und es waren fünf Asylbewerber, die – rein fiktiv – einen Studenten zusammengeschlagen haben, da glaube ich schon, dass es sinnvoll ist, das so zu benennen, weil die Bevölkerung heute auch erwartet, dass das gesagt wird. Genauso wie es umgekehrt wichtig ist, wenn wir erfahren: Da ist nächtens ein Asylbewerber auf dem Weg in seine Unterkunft von drei Glatzköpfen zusammengeschlagen worden. Das gehört, denke ich, zu der Information, die der Bürger haben will und wissen muss. Das ist das, was unsere Polizei sinnvollerweise offen kommunizieren sollte.
Warum ist die CSU eigentlich noch in der Berliner Koalition, wenn sie im wichtigsten Punkt der Innenpolitik, der Flüchtlingsfrage, im Gewand der Staatsregierung die eigene Kanzlerin verklagt?
Herrmann: Ich glaube, dass diese Regierung insgesamt sehr viel Positives für Deutschland bewirkt. Wir haben aber in dieser einen großen Frage, die zweifellos eine fundamentale ist, eine schwierige Auseinandersetzung. Ich bin freilich sehr zuversichtlich, dass wir Schritt für Schritt für unsere Position Mehrheiten und Unterstützung gewinnen. Wenn Sie sich das Papier von Julia Klöckner (rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin) anschauen – das ist zu 90 Prozent das, was die CSU auch für richtig hält. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Mitglied der Regierung und Mitglied der Koalition mit Horst Seehofer an der Spitze mehr erreichen, als wenn wir in der Opposition wären.
Schließen Sie eine Koalition mit der AfD für alle Zeiten aus?
Herrmann: Ja. Definitiv. Das kommt für uns überhaupt nicht in Frage.
Zum V-Mann-Prozess: Gab es eine Anweisung aus Ihrem Ministerium, den Ex-V-Mann Mario F. in den Zeugenschutz zu nehmen, und wie stehen die Chancen, dass er eine neue Identität bekommt?
Herrmann: Es gab keine Anweisung. Natürlich ist im Herbst besprochen worden: Wie ist da jetzt die Situation? Er hat ja neue Aussagen gemacht, wo neue Straftaten im Bereich von Kapitaldelikten im Raum standen. Das wurde mir dann vorgetragen. Da hat es dann für die zuständige Zeugenschutzdienststelle gute sicherheitsfachliche Gründe gegeben, ihn jetzt in das Zeugenschutzprogramm zu nehmen. Das mit der neuen Identität muss noch in Ruhe überdacht werden, wann das Sinn hat. So lange er in der JVA ist, hat ja eine neue Identität keinen Sinn.
Und eines ist jetzt auch entschieden worden: Wir haben dem Rechtsausschuss des Landtags mitgeteilt, dass der betreffende LKA-Beamte, um den es da vorrangig geht seit 1. Februar vom Dienst suspendiert ist. Weil die Staatsanwaltschaft Nürnberg Ende Januar uns offiziell mitgeteilt hat, dass sie das Verfahren gegen ihn ausgeweitet hat – auf den Verdacht der uneidlichen Falschaussage vor dem Landgericht in Würzburg. Vor dem Hintergrund hat ihn jetzt der LKA-Präsident vom Dienst suspendiert.
Wird der Fall weiter aufgearbeitet?
Herrmann: Ja. Aber zunächst legt die Staatsanwaltschaft Wert darauf, dass wir nicht dazwischenfunken. Denn die führen die Ermittlungen. Der LKA-Präsident hat im Landeskriminalamt bereits eine Umstrukturierung vorgenommen, und die Zuständigkeiten für die Führung von V-Leuten völlig neu geordnet.
Ausgelöst durch diesen Fall?
Herrmann: Ja. Die Zuständigkeiten für die Führung von V-Leuten ist ganz anders strukturiert worden.
Gab es auch neue Anweisungen, wie jetzt zu verfahren ist?
Herrmann: Die Richtlinien sind inhaltlich eigentlich völlig klar. Wenn sich das, was momentan im Raum steht, alles bewahrheiten sollte – es sind laufende Ermittlungen, ich kann das von mir aus nicht bestätigen oder dementieren – dann ist das ein Verstoß nicht nur gegen die Richtlinien, sondern auch gegen die Gesetze. Da braucht man keine neuen Richtlinien. Da müssen Leute, die gegen die Rechtsnormen verstoßen haben, zur Rechenschaft gezogen werden. Aber natürlich wird überprüft: Wie läuft das intern, wie läuft da immer auch die Gegenkontrolle.
Anderes Thema: Hat Sie der heftige Widerstand gegen die Straßenausbaubeitragssatzung überrascht?
Herrmann: Die Vorschrift über die Straßenausbaubeiträge steht schon seit 1974 und damit schon lange im Kommunalabgabengesetz. Wir haben sehr unterschiedliche Situationen. Wir haben Regierungsbezirke, in denen ein sehr hoher Prozentsatz aller Kommunen die Beiträge erhebt, und Regierungsbezirke, in denen es etwas weniger sind. Zudem war die Praxis der kommunalen Aufsicht wohl teilweise unterschiedlich. Die Kommunen entscheiden: Wie sieht die Satzung aus? Was rechnen sie ab?
Nach unseren Erfahrungen greifen viele Gemeinden auf ein Satzungsmuster des Bayerischen Gemeindetages zurück. Wir haben aber seit den letzten drei, vier Jahren immer mehr Kritik von betroffenen Bürgern. Das war der Anlass, warum sich der Landtag des Themas angenommen und gefragt hat: Wollen wir etwas ändern? Im Gesetz stehen ja weder Prozentsätze noch Beträge. Da steht vom Grundsatz her, dass die Kommunen solche Straßenausbaubeitragssätze erheben sollen.
Es wird voraussichtlich vom Landtag nun in Kürze entschieden werden: Es bleibt beim Sollen – und sollen heißt in der Regel: Müssen. Aber es kann Ausnahmen geben. Damit wird man einerseits den Kommunen gerecht, die auf diese Beiträge angewiesen sind, um ihre Straßenbauinfrastruktur zu verbessern. Andererseits berücksichtigt man auch Kommunen, die wirklich im Geld schwimmen und sagen, wir brauchen das nicht. Dann werden in der Regel aber auch die Grundsteuer oder andere Abgaben steigen, mit der dann Straßenausbaumaßnahmen finanziert werden.
Wie sähe für Sie eine optimale Lösung aus; sollen künftig nur die direkten Anwohner bezahlen?
Herrmann: Rheinland-Pfalz hat ein Modell, das vom Bundesverfassungsgericht akzeptiert worden ist – nämlich, das nicht mit einmaligen, sondern wiederkehrenden Beiträgen zu machen. Wird jetzt ausgebaut, muss ein Anlieger vielleicht 5000, 10 000 oder gar 15 000 Euro zahlen. Wird die Summe über wiederkehrende Beiträge, also über Jahre hinweg Jahr für Jahr in der gesamten Gemeinde oder abgrenzbaren Stadtteilen erhoben, ist das viel leichter für die beitragspflichtigen Grundstückseigentümer verkraftbar. Das sind dann gleich für den einzelnen Bürger jährlich ganz andere Summen, über die wir reden - in Rheinland-Pfalz spricht man je nach Ausbauaufwand, Grundstücksgröße und -nutzung etwa von maximal 200 Euro pro Jahr und Grundstück. Das sind auch die wesentlichen Spielräume, die wir zugunsten der Bürger neu gestalten.
Was sieht das Modell sonst noch vor?
Herrmann: Man kann auch unterschiedlich große Gebiete bilden. Nicht nur die eine Straße, sondern gleich mehrere zusammenfassen. Die Kommunen erhalten in der Hinsicht in Zukunft die freie Entscheidungsmöglichkeit. Sie können sagen: Wir machen es wie bisher. Sie können aber auch sagen: Wir erheben die wiederkehrenden Beiträge. Sie haben die Alternative. Mir liegt daran, den kommunalen Entscheidungsspielraum größer zu machen. Wenn ich es mit einer Gemeinde zu tun habe, die kurz vor dem Konkurs steht, Kredite aufnehmen muss oder vom Staat Stabilisierungshilfen möchte, muss ich natürlich schauen: Wie geht man dort mit dem Geld um? Aber man muss einer Gemeinde auch die Möglichkeit geben, die Bürger zu entlasten.
Wir schreiben auch ins Gesetz jetzt ausdrücklich hinein, dass nur der erforderliche Aufwand abgerechnet werden kann. Da hat es bei mancher Kommune Ärger gegeben, wenn Anlieger sagen: Die vergolden jetzt die Randsteine – und wir sollen das bezahlen. Was bilden die sich im Stadtrat eigentlich ein? Da muss es eine vernünftige Grenze geben. Ich kann nicht eine Riesenverschönerung betreiben, die die Anlieger gar nicht haben wollen, nach dem Motto: Wir können das leicht im Gemeinderat beschließen, bezahlen müssen es ja die Anlieger. Dem wollen wir auch entgegenwirken. Darüber hinaus sollen die Bürger künftig vor der Beschlussfassung über Straßenausbaumaßnahmen rechtzeitig informiert werden.