Helfen Flüchtlinge gegen Fachkräftemangel?

Von Sarah Bernhard
Wenn Viktoriia Platschyua mit ihrem Sprachkurs an der Uni Bayreuth fertig ist, will sie Pädagogik studieren. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Asylbewerber haben in Deutschland verschiedene Möglichkeiten, sich zu bilden. Ob sie etwas zurückgeben, hängt von mehreren Faktoren ab. Im letzten Teil unserer Asyl-Serie haben wir Flüchtlinge an verschiedenen Stationen ihres Bildungswegs besucht. Und herausgefunden, ob sie für den deutschen Arbeitsmarkt taugen.

 
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Die Früherziehung: Kindergarten Warmensteinach

Das ist: Samira Kalaeva (5) aus Tschetschenien; sie wohnt mit ihren Eltern und drei Geschwistern in der Asylbewerberunterkunft in Warmensteinach

Status: Asylverfahren läuft noch

Traumberuf: weiß sie noch nicht und außerdem muss sie jetzt dringend wieder spielen gehen

Die Situation: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schätzt, dass rund ein Zehntel der 2015 nach Deutschland gekommenen Asylbewerber im Vorschulalter ist. In den Kindergarten gehen diese Kinder nicht zwangsläufig: Kindergärten können sich aussuchen, ob sie Asylbewerberkinder aufnehmen oder nicht. Im evangelischen Kindergarten in Warmensteinach wurden bisher rund 15 Flüchtlingskinder betreut, sagt Leiterin Jana Hanf. Insbesondere Kinder, die im kommenden Jahr in die Schule kommen. So wie Samira. Die Familien der Kinder seien ganz unterschiedlich. „Es gibt Familien, die gut mitmachen, sogar bei Festen helfen. Und es gibt solche, zu denen wir kaum Kontakt haben und die auch zum Beispiel uns Erzieherinnen kritisch sehen“, sagt Hanf. Oft hänge die Kooperationsbereitschaft vom Status ab. „Wenn man nicht weiß, ob man überhaupt bleiben darf, ist es einem nicht so wichtig, sich zu integrieren.“

Prognose für den Arbeitsmarkt: Samiras Familie wartet schon sehr lange auf eine Bleibeentscheidung, die familiäre Unterstützung könnte also höher sein. Wenn Samira im September in die Schule kommt, wird ihr Deutsch vermutlich trotzdem so gut sein, dass sie in eine Regelklasse gehen kann. Vorausgesetzt, sie und ihre Familie dürfen in Deutschland bleiben, stehen ihr alle Wege offen – auch der in einen Beruf, in dem ein Mangel an Fachkräften herrscht.

Diese Möglichkeiten stehen von hier aus offen: Besuch einer Regelschule

 

Die Regelschule: Grund- und Mittelschule Weidenberg

Das ist: Abdlrahman Alhasan (14) aus Syrien; er lebt mit seiner Mutter und drei Geschwistern in der Asylbewerberunterkunft in Warmensteinach

Status: anerkannt

Traumberuf: Mechaniker oder Maler

Die Situation: Abdlrahman geht in eine sogenannte Übergangsklasse (Ü-Klasse). Er und 110 weitere Flüchtlingskinder im Landkreis lernen dort vor allem Deutsch. Und, wie eine deutsche Schule funktioniert. „Viele, vor allem die Kinder im Grundschulalter, sind noch nie in eine Schule gegangen“, sagt Saskia Lederer, Abdlrahmans Klassenlehrerin. Bevor sie Buchstaben lernen, müssen sie also erst einmal verstehen, dass sie nicht einfach mitten im Unterricht aufstehen und weggehen können. Gegenüber denen, die wie Abdlrahman recht spät nach Deutschland gekommen sind, haben die jüngeren Kinder dennoch einen Vorteil: Sie haben genügend Zeit, Deutsch zu lernen. Ist es gut genug, um dem Unterricht zu folgen, können sie in eine Regelklasse wechseln und einen normalen Abschluss machen. An der Weidenberger Grund- und Mittelschule gibt es im Moment drei Ü-Klassen, sieben Flüchtlinge gehen in den ganz normalen Unterricht.

Prognose für den Arbeitsmarkt: Abdlrahman kommt aus Syrien. Die Chance, dass er und seine Familie bleiben dürfen, ist recht hoch. Die Chance, dass er einen Mittelschulabschluss schafft, nicht: Die eineinhalb Jahre, die bis dahin bleiben, sind viel zu kurz, um den Stoff nachzuholen. Er wird wohl ein Berufsintegrationsjahr an der Berufsschule besuchen und dann möglicherweise eine Ausbildung machen. Immerhin: Maler gehört zu den Ausbauberufen – und in denen herrscht Fachkräftemangel.

Diese Möglichkeiten stehen von hier aus offen: Berufsintegrationsklasse, Ausbildung

 

Die Berufsintegrationsklasse: Berufsschule I Bayreuth

Das ist: Adil Khan (18) aus Pakistan; er lebt in einer Jugendhilfeeinrichtung in Bayreuth

Status: Asylverfahren läuft noch

Traumberuf: Bankkaufmann

Die Situation: Adil hat viel vor. Denn von der Vorklasse des Berufsintegrationsjahres (BIJ), das Flüchtlinge in zwei Jahren ausbildungsreif machen soll, bis zur  Ausbildung ist es ein langer Weg. Und der bis zum Ende der Ausbildung ist noch länger, sagt Manfred Müller, Rektor der Berufsschule I. Oft scheitere es schon an Schritt eins: die Ausbildung anzufangen. Vom BIJ-Jahrgang des vergangenen Jahres, der aus 19 Flüchtlingen bestand, haben sieben gar nicht erst eine Ausbildung begonnen, fünf haben abgebrochen. Die einen zögerten, weil sie Verpflichtungen gegenüber der Familie hätten, sagt Müller. „Während der Schule kann man arbeiten, während der Ausbildung nicht mehr. Die Familie würde nicht verstehen, warum der Flüchtling aus dem reichen Deutschland nicht mehr Geld nach Hause schickt.“ Die anderen wollten sich nicht drei Jahre lang binden. „In kaum einer anderen Kultur wird das Leben so stark vorgeplant wie bei uns“, sagt Müller. Und wieder andere hätten keine Lust, einen handwerklichen Beruf zu lernen, weil diese in ihren Heimatländern nicht hoch angesehen sind. Hier müsse dringend umgedacht werden, sagt Müller. „Wenn schon in der deutschen Gesellschaft das Bewusstsein fehlt, dass das Handwerk goldenen Boden hat, wie soll das dann bei den Flüchtlingen funktionieren?“

Prognose für den Arbeitsmarkt: Adil wird es schwer haben, sich gegen deutsche Schulabgänger zu behaupten, denn Bankkaufmann ist ein beliebter Beruf. Zudem bekamen 2015 nur wenige pakistanischen Asylbewerber ein Bleiberecht.

Diese Möglichkeiten stehen von hier aus offen: Ausbildung

 

Die Ausbildung: Meile-Technik in Kulmbach

Das ist: Saahel Smeelkeil (24) aus Afghanistan; er lebt in einer Wohnung in Kulmbach

Status: geduldet

Traumberuf: Anlagenmechaniker

Die Situation: Rund 70 Prozent derjenigen Flüchtlinge, die arbeiten könnten, haben laut Agentur für Arbeit keine abgeschlossene Berufsausbildung. Auch Saahel nicht. Er besuchte lediglich vier Jahre lang die Grundschule. Deshalb war er froh, als er die Möglichkeit bekam, in Kulmbach eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker zu machen. „Die Arbeit macht Spaß, ich bin glücklich“, sagt er.Wenn da die Berufsschule nicht wäre. „Mathe ist richtig schwer.“ Deshalb ist Saahel in einem Projekt der Handwerkskammer und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das seit Juli 2015 Nachhilfestunden für Flüchtlings-Azubis organisiert. Doch das werde vermutlich nicht reichen, sagt Udo Pfadenhauer, der bei der HWK für die Flüchtlingsbetreuung zuständig ist. „Ohne Nachhilfe schreiben sie Fünfen, mit ist es dann eine Drei oder Vier.“ Die Kammern müssten sich deshalb etwas einfallen lassen. „Wir wollen die Abschlüsse nicht verschenken, aber es bringt auch nichts, drei Jahre eine Ausbildung zu machen und dann doch ohne Abschluss dazustehen.“ In ganz Oberfranken machen im Moment knapp 80 Flüchtlinge eine Ausbildung.

Prognose für den Arbeitsmarkt: Saahel ist nur geduldet. Dank der oberfrankenweit gültigen 3+2-Vereinbarung kann er auf jeden Fall noch seine Ausbildung abschließen und danach zwei Jahre in seinem Beruf arbeiten. Diese Vereinbarung zwischen IHK, HWK, Arbeitsagenturen und Landkreisen ist bundesweit einmalig. Könnte er länger bleiben, wäre das gut für die deutsche Wirtschaft: Anlagenmechaniker gehört zu den Berufen, in denen Fachkräftemangel herrscht. Und sein Chef Alexander Meile sagt: „Er gibt sich Mühe, integriert sich gut. Natürlich würde ich ihn behalten.“

Diese Möglichkeiten stehen von hier aus offen: Arbeit, Weiterbildung

 

Der Intensivsprachkurs: Uni Bayreuth

Das ist: Viktoriia Platchyna (28)  aus der Ukraine; sie lebt mit ihrem syrischen Mann und ihrem Sohn (4) in einer Wohnung in Bayreuth

Status: Asylverfahren läuft noch

Traumberuf: Erzieherin im Kindergarten mit Zusatzausbildung Heilpädagogin

Die Situation: Fast die Hälfte der Asylbewerber zwischen 18 und 34 Jahren, die 2015 nach Deutschland kamen, gab laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung an, ein hohes Bildungsniveau zu haben. Ein weiteres Viertel gab an, überhaupt nicht oder nur in die Grundschule gegangen zu sein. In Bayreuth ist im Moment ein einziger Syrer regulär an der Uni immatrikuliert. Dazu kommen 65 Flüchtlinge, die wie Viktroiia einen Sprachkurs machen. Sobald ihr Deutsch gut genug ist, können sie als Gasthörer an Uni-Veranstaltungen teilnehmen, sagt Helene Steigertahl vom International Office. 61 Prozent dieser Studienanwärter sind ebenfalls Syrer.

Prognose für den Arbeitsmarkt: Viktoriia hat bereits in der Ukraine englische Pädagogik studiert, hat aber ihr Diplom in den Kriegswirren verloren. Sie möchte Pädagogik studieren, allerdings ist Erzieherin in Deutschland ein Ausbildungsberuf. Einer mit Zukunft: In Bayreuth könnte sich Viktoriia an der Schule der Gemeinnützigen Gesellschaft für Soziale Dienste zur Heilerziehungspflegerin ausbilden lassen. „Wer bei uns eine Ausbildung macht, bekommt danach eigentlich immer eine Stelle“, sagt Schulleiter Wolfgang Bertelmann.

Diese Möglichkeiten stehen von hier aus offen: Studium, Ausbildung

 

Der Arbeitsplatz: Aksu Döner in Bayreuth

Das ist: Qovo Khalaf Basem (23) aus dem Irak; er lebt in einer Wohnung in Bayreuth

Status: anerkannt

Traumberuf: Verkäufer

Die Situation: Beruflich gesehen ist Qovo ein typischer Flüchtling: Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind diese vor allem im Hotel- und Gastgewerbe, in Handel, Verkehr und Lager und im Dienstleistungssektor tätig. Das trifft sich, zumindest für den Bereich der IHK gut, denn laut ihr fehlen Fachkräfte vor allem in der Lagerlogistik, im Einzelhandel und in der Gastronomie. Rund 420 Menschen aus den 15 Staaten, aus denen die meisten Asylbewerber nach Deutschland kommen, waren im September 2015 in Stadt und Landkreis Bayreuth sozialversicherungspflichtig beschäftigt (Kulmbach: rund 90). Zum Vergleich: Etwa 160 Flüchtlinge waren im April 2016 arbeitslos gemeldet (Kulmbach: etwa 70). Die Zahl der arbeitenden Flüchtlinge wird aber wohl noch deutlich steigen. Denn eine Langzeiterhebung des IAB zeigt: Während im Zuzugsjahr nur jeder zehnte Flüchtling im erwerbsfähigen Alter arbeitet, ist es nach fünf Jahren rund die Hälfte, nach zehn Jahren arbeiten 60 Prozent und fünf Jahre später 70 Prozent.

Prognose für den Arbeitsmarkt: Qovo hat keine Ausbildung. „Ich habe eine Wohnung, ich habe ein Auto, mit 600 Euro komme ich nicht mehr klar“, sagt er. Denn er hat niemanden, der ihn währenddessen unterstützen könnte. Aber sein Chef Abdullah Yusuf Aksu ist mit ihm zufrieden: „Wir kommen aus der gleichen Kultur, er kann Döner viel besser als ein Deutscher.“ Und auch Qovo ist mit seinem Beruf glücklich. „Es läuft gut, ich kann mir schon vorstellen, das bis an mein Lebensende zu machen.“

Diese Möglichkeiten stehen von hier aus offen: doch noch eine Ausbildung, zweiter Bildungsweg

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