Brugger: Olli Welke ist sehr bescheiden, überlegt und ein erstaunlich guter Zuhörer. Man fühlt sich von ihm ernst genommen und merkt, dass es kein Zufall ist, dass er so eine Spitzenposition in der deutschen Unterhaltungsszene eingenommen hat. Und außerdem trägt er privat ziemlich coole Pullover, wie ich finde.
Machen Sie eigentlich noch Poetry Slam? Ich glaube, eins der letzten Videos, die ich diesbezüglich gefunden habe, ist von den Meisterschaften 2013 in Bielefeld. Und wir alle wissen ja: Bielefeld gibt’s ja gar nicht.
Brugger: Doch, doch, in Bielefeld war ich vor ein paar Wochen sogar im Hallenbad. Ich würde sogar sagen, dass es Bielefeld noch viel intensiver gibt, als die meisten anderen Orte. Weil es nicht versucht, durch Schönheit von der allgemeinen Tristesse der Existenz abzulenken. Es ist ehrlich, roh, und ein bisschen scheiße. Aber ich schweife ab. Bei Poetry Slams trete ich seit ungefähr einem Jahr nicht mehr wirklich auf.
Ist es einfacher, Texte für eine Magazin-Kolumne zu schreiben oder für den Slam? Oder lieber gar nicht schreiben, sondern möglichst frei und direkt kabarettieren?
Brugger: Am einfachsten ist es, eine schlechte Magazin-Kolumne zu schreiben. Am schwierigsten, etwas zu schreiben, das man danach laut sagt und von dem niemand denken würde, dass es jemals geschrieben wurde. Die Leute sollen denken, dass alles, was es an Worten gibt, einfach so „da“ war.
Wie oft hören Sie von Ihren Kollegen „Du bist aber noch jung“? Macht das Männer-Frauen-Ding im Kabarett noch etwas aus? Ist es als Frau schwieriger, sich durchzusetzen und ernst genommen zu werden? Luise Kinseher sagte nach dem Derblecken auf dem Nockherberg letztes Jahr, bei Frauen würde schärfer hingeschaut und geurteilt, und Lisa Fitz sagte mal, als Frau musst du in dem Geschäft einfach lauter und rauer sein.
Brugger: Ich glaube, solange ich einmal im Monat hormonellen Blutungen zum Opfer falle und mir keinen Penis wachsen lasse, erfülle ich meine Pflichten als Frau in der Kabarettszene voll und ganz. Und da hat gar nie jemand nachgeschaut, wenn ich es mir recht überlege. Aber Frauen können ja heute zum Glück eigentlich wirklich alles! Sogar geschickt Fragen zu überholten Geschlechterrollen im Geschäft einfach ignorieren.
Gibt es da vielleicht einen Unterschied zwischen Deutschland und der Schweiz?
Brugger: In Deutschland findet man eine viel riesigere Anzahl an Künstlerinnen und Künstlern. Da gibt es ganze Abende, wo nur Frauen auftreten, vor einem Publikum aus – Überraschung! – fast ausschließlich Frauen. Das ginge in der Schweiz nicht. Beziehungsweise nicht regelmäßig, denn da kämen nur ungefähr zehn Frauen als Akteurinnen in Frage. Diese zehn immer rotieren zu lassen als Statement für Artenvielfalt im Kabarett, das wäre keine gute Idee.
Sie haben Philosophie studiert. Welche Philosophie wohnt dem schwarzen Humor inne? Muss Humor immer aggressiv sein? Immerhin haben Sie in einem Beitrag schon mal überlegt, wie einfach es wäre, "rechtes Kabarett" zu machen.
Brugger: Ich möchte präzisieren: Ich habe einmal angefangen, Philosophie zu studieren, bin dann aber einfach nicht mehr hingegangen. Schwarzer Humor zeichnet sich dadurch aus, dass er das Unantastbare antastbar macht, ja, sogar manchmal mit Füßen tritt. Die Philosophie dahinter ist: Alles ist nichtig, und gleichzeitig ist alles das Wichtigste überhaupt. Du bist niemand, und du bist gleichzeitig jeder, der du jemals sein wirst. Und am Ende ist man tot, also kann man grad so gut drüber lachen. Das ist sehr aggressiv, finde ich, weil es einen aus der braven Trägheit reißt.
Als Schweizerin in Deutschland zu arbeiten, macht gar keinen Sinn, haben Sie mal gesagt. Aber… es ermöglicht Einblicke, die andere nicht haben. Wer ist denn am humorlosesten: die Deutschen, die Schweizer oder die Amerikaner?
Brugger: Deutschland, Amerika und Schweiz sind alle ähnlich humorlos, würde ich sagen. Die Schweiz wahrscheinlich am humorlosesten, dann Deutschland und dann Amerika. Wenn wir jetzt nur vom liberalen Bevölkerungsteil sprechen. Je mehr Angst die Leute haben und je weniger sie davon überzeugt sind, ganz alleine für ihr Selbstwertgefühl zuständig zu sein, desto humorloser sind sie. Humor findet man überall dort, wo das Entsetzen über gescheiterte Erwartungen mit einem Lachen in die Luft gesprengt wird. Das ist natürlich nichts Nationales, sondern etwas Soziales.
Dieses Schwarz-Tragen immer, ist das eigentlich das Künstler-Dasein oder das Philosophin-Dasein? Oder weil man da die Schweißflecken nicht sieht?
Brugger: Davon bin ich ein wenig abgekommen. Schwarz ist halt einfach unkompliziert, und je weniger Gedanken ich mir über meine farbliche Erscheinung machen muss, desto freier kann ich denken. Rede ich mir zumindest ein.
Der NZZ haben Sie gesagt, das "knallharte Erwachsensein" sei nicht so Ihr Ding. Wann ist man denn erwachsen? Oder warum ist man es nicht?
Brugger: Zu erwachsen ist man dann, wenn man mit jedem Kind gleich redet, obwohl ja jedes Kind ein anderer Mensch ist. Zu erwachsen ist man, wenn einer furzt, und man weigert sich, zu lachen. Zu erwachsen ist man vor allem, wenn man sich schämt, wenn man gerade keine passenden Weingläser hat, aus denen der Besuch trinken kann.
Gibt es irgendetwas, für das Sie sich schämen und wozu Sie bei Ihrer Arbeit nie einen flotten Reim machen würden?
Brugger: Ich würde, aber vermutlich eher aus praktischen Gründen, wahrscheinlich nicht auf der Bühne gebären wollen. Ein flotter Reim würde mir unter diesen Umständen schwerfallen.
Apropos Schlimmes, für das man sich vielleicht schämt: Wie war es, die ehemalige Weinkönigin und eigentliche rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Julia Klöckner einen "Sonnenschein" zu nennen? Schwer gefallen?
Brugger: Frau Klöckner macht es einem leicht, an Sonnenschein zu denken. So wie die strahlt und durch die Gegend wirbelt, könnte man glatt meinen, die Welt da draußen stünde nicht gerade in untergehenden Flammen.
INFO: Am Donnerstag ist Hazel Brugger mit ihrem ersten Solo-Programm "Hazel Brugger passiert" im Bayreuther Zentrum zu Gast.