Spontane Idee für eine Posse in drei Akten
Der Kulmbacher Klub „Waldlust“ („Der Verein hat den Zweck, seinen Mitgliedern gesellige Unterhaltungen und weitere Vergnügungen zu bereiten“, wie es in seinem Gründungsstatut von 1903 heißt) muss sofort die Idee gehabt haben, die Komödie auf die Bühne zu bringen. Sein Vorsitzender Ernst Merk, ein Maschinenmeister, macht sich gleich ans Werk und schreibt eine Posse in drei Akten.
Am 3. November erfahren die Kulmbacher Zeitungsleser den Premierentermin: 18. November, Kauernburger Schlösschen. Vielleicht deutschlandweit die erste Aufführung der Köpenickiade. Sofort muss ein unerhörter Run auf Karten eingesetzt haben, der Saal ist schon Stunden später ausverkauft.
Man wüsste zu gerne, wie sie ausgeschaut hat – 25 Jahre bevor Carl Zuckmayer sein berühmtes Stück schreibt, das zum Kassenschlager wird, bis die Nazis den Schriftsteller als „Asphaltliteraten“ diffamieren und das Stück von der Bühne verbannen. 1956, 50 Jahre nach dem Köpenicker Vorfall, wird dann Helmut Käutner den Stoff mit Heinz Rühmann in der Titelrolle verfilmen und dem Hauptmann cineastische Unsterblichkeit verleihen.
Der kleine Bürger sieht seine Chance
Durch die Desavouierung der Berliner Autoritäten wittern auch die kleinen Leute in Kulmbach ihre Chance, gegen die Obrigkeit zu löcken. Zwei Wochen nach dem Vorfall bezichtigt der Brauereiarbeiter Andreas Reuter den rechtskundigen Bürgermeister und Königlichen Hofrat Wilhelm Flessa des Amtsmissbrauchs. Er habe Unternehmern amtliche Dokumente zugesteckt und damit die Arbeiterschaft verraten. Er ruft zu einer Volksversammlung am 4. November 1906 im Geutherschen Saal in der Pörbitsch auf. Über die genauen Hintergründe soll Michael Goller, aus dem Oberhacken, referieren. Er hat 1902 einen SPD-Ortsverein gegründet und ist der politische Kopf der sich formierenden Arbeiterschaft.
Stadtmagistrat spricht Verbot aus
Der Stadtmagistrat, dem Flessa vorsteht, lässt sich die Provokation nicht gefallen. Er verhängt ein polizeiliches Verbot und verkündet dies in den Zeitungen. Doch die SPD-Anhänger lassen sich nicht mundtot machen. Im Gegenteil: Sie laden den prominentesten bayerischen Sozialdemokraten nach Kulmbach ein: Dr. Dr. Max Süßheim, gebürtiger Kronacher, Landtagsabgeordneter, Mitglied des Staatsgerichtshofs, brillanter Jurist und Rhetoriker. Wenige Stunden vor der Aufführung des „Köpenick“-Stückes in Kauernburg spricht er im Saal Geuther über die „Feinde der Arbeiterbewegung“.
Der falsche Hauptmann mischt Kulmbach auf
Die Kampfbereitschaft der SPD trägt Früchte. Bei der Landtagswahl am 31. Mai 1907 erreicht Goller mit 2178 Stimmen den dritten Platz hinter Kommerzienrat Wilhelm Meußdoerffer und dem Hummendorfer Gutsbesitzer Luitpold Weilnböck. Kein Zweifel: Der falsche Hauptmann hat Kulmbach kräftig aufgemischt.