Unbekanntes Gesicht unter massivem Kronleuchter
Politischer Aschermittwoch: Das heißt Abrechnen mit den Kontrahenten, die eigene Position markieren, Parteimitglieder und Sympathisanten auf die Wahl einstimmen: CSU, SPD, BG und Grüne machten am Mittwochabend vieles gleich.
Unbekanntes Gesicht unter massivem Kronleuchter
Kennen Sie Johannes Singhammer? Nein? So wie Ihnen ging es gestern im voll besetzten Herzogkeller wahrscheinlich den meisten. Und um eines gleich vorweg zu nehmen: Mitgerissen hat der Münchner, einer von sechs Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, niemanden. Da konnte er noch so sehr die Fäuste ballen und schwingen. Mehr als ein spontaner Applaus an vier, fünf Stellen war am Aschermittwoch von den Bayreuthern nicht zu holen.
Sinn der Übung war aber sowieso ein ganz anderer. Immerhin ein Raunen ging durch den Saal, als Singhammer davon erzählte, dass der spanische Club Real Madrid ein Kreuz aus seinem Wappen verbannt hat, um auf dem arabischen Markt mehr Trikots verkaufen zu können. Und eine Ahnung von Applaus brandete auf, als der Bundestags-Vizepräsident Sätze sagte wie: „Kinder gehören in die Schule und nicht ins Ehebett.“ Und für Bayreuther Verhältnisse kaum noch an sich halten konnten die Zuhörer, als Singhammer rief: „Wer andere bedrängt, weil ihm deren Religion nicht passt, der muss wieder raus!“
Aber solche Sätze fielen halt, für einen politischen Aschermittwoch, viel zu selten. Warum die CSU-Kreisverbände Bayreuth Stadt und Land einen unbekannten Bundespolitiker nach Bayreuth geholt hatten, wurde trotzdem klar. Dann nämlich, als Singhammer an die Adresse der designierten Direktkandidatin Silke Launert sagte: „Mit dir Politik gestalten zu können, das ist etwas besonderes.“ Oder: „Wenn du sprichst, dann hören die Kollegen im Bundestag immer ganz genau zu.“
Singhammer als Steigbügelhalter für die Hoffnungsträgerin aus Stadtsteinach? Zumindest konnte der 40-Jährigen an diesem Abend niemand die Show stehlen. Entspannt konnte sie sich an der mangelnden Glaubwürdigkeit des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz abarbeiten. Konnte hervorheben, dass ohne Wirtschaft kein Wohlstand zu haben ist und dass die 35-Millionen-Euro-Förderung für die Stadthalle, nicht dem „Charme der Oberbürgermeisterin“ zu verdanken sei, sondern den Strippenziehern der CSU. Applaus.
Bayern, Bayern über alles ...
Ein Name steht im Mittelpunkt: Martin Schulz. Der SPD-Kanzlerkandidat wird von allen Rednern beim Politischen Aschermittwoch der Bayreuther SPD immer wieder erwähnt. Und er zieht: Mit gut 50 Gästen sind in diesem Jahr mehr Zuhörer in den Glenksaal gekommen als 2016, fast alle Plätze sind besetzt. Rote SPD-Fähnchen schmücken die Tische, „Miteinander stark“, lautet das Motto auf dem Banner hinter dem Rednerpult. Ein Genosse hat aus Vilshofen rote Transparente mitgebracht, „Jetzt ist Schulz!“ und „Zeit für Martin“ steht darauf.
„Der Schulz-Zug rollt mit voller Kraft“, versichert Hauptredner Arif Tasdelen. Der 42-Jährige ist Nürnberger SPD-Landtagsabgeordneter und der Bruder des Bayreuther SPD-Stadtrates Halil Tasdelen (43). Vielleicht ist die Einladung ein kleiner Fingerzeig, denn Halil Tasdelen bekundet Interesse daran, als Nachfolger von Christoph Rabenstein für den Landtag zu kandidieren. Doch heute Abend gibt es nur ein Thema: Soziale Gerechtigkeit, Änderungen bei Hartz IV, gerechte Löhne. „Wir sollten wieder die Partei der kleinen Frau und des kleinen Mannes werden“, sagt Arif Tasdelen. Er nennt es ungerecht, wenn ein Beschäftigter nach 30 Jahren Arbeit unverschuldet den Job verliert und dann nach nur einem Jahr zum Sozialfall wird.
Die Wiederherstellung der sozialen Gerechtigkeit, diese Ur-Forderung der Sozialdemokraten, kommt bei Weißbier und Matjes gut an. Die Gäste klatschen höflich, und immer wieder, aber von einer wahren Euphorie ist wenig zu spüren. Die Bayreuther sind für politische Gefühlsausbrüche eher nicht zu haben, nachdenklich hören sie zu. Doch eines ist zu spüren: Schulz hat der Partei wieder neues Selbstbewusstsein geschenkt.
Halil Tasdelen ist darüber „richtig froh“, spricht gar von einer „Euphoriewelle“. 20 bis 25 neue Mitglieder konnte der Stadtverband nach seinen Worten bereits gewinnen. Landtagsabgeordneter Rabenstein warnt davor, die Stimmung überschwappen zu lassen. „Noch ist nichts entschieden“, verweist er auf die langen Monate bis zur Bundestagswahl im September. Alle Redner sind sich einig: „Wir müssen kämpfen.“
Aschermittwoch = Matjes. Oder doch lieber Sahnehering?
Nein, griechischen Hering gibt’s nicht auf der Speisekarte des Griechen Niko im Schützenhaus. Den traditionellen Fisch hatten die Mitglieder und Freunde der Bayreuther Gemeinschaft zu diesem Politischen Aschermittwoch extra vorab bestellen müssen. Saueres tischten Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe und Stadtrat Karsten Schieseck verbal auf – der Hohn und Spott für den politischen Gegner im Stadtrat war Süßstoff in den Ohren der etwa 70 Zuhörer – es gab einige laute Lacher.
Die Oberbürgermeisterin verpackte ihre Kritik – vor allem an SPD und FDP – in eine Aufzählung der Erfolge in der Stadtpolitik. Sie nannte zuallererst die „sensationelle“ Fördersumme von rund 40 Millionen Euro, die Bayreuth an Zuschüssen für das Projekt Stadthallensanierung bekommen hatte, sie sagte: „Da hat man gesehen, dass das Gezeter der Verhinderer und Blockierer ins Leere läuft.“
Merk-Erbe nannte die Erfolge der Stadt, etwa in sechs Jahren bei der Steuerkraft unter den kreisfreien Städten Bayerns von Rang 19 auf Rang 5 oder die Ansiedlung des Unternehmens Rehau, eine „der wichtigsten Entscheidungen der Stadtgeschichte in den zurückliegenden Jahrzehnten“. Und da werfe der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Bauske noch immer „Sand ins Getriebe“ – es müsse für die stolzen Sozialdemokraten „ein harter Schlag sein, für welche Art von Kommunalpolitik ihre Repräsentanten stehen“.
Ein Zuhörerin quittierte das mit: „Der gehört weg!“ Auch Karsten Schieseck nahm Bauske genüsslich aufs Korn und erinnerte an die Stadthallenabstimmung, bei der Bauske wegen eines Streits mit seinem Kollegen Halil Tasdelen auf seiner Stadtratsbank die Aufforderung zur Abstimmung mitbekommen habe und schlichtweg „vergessen hat, die Hand zu heben“ – mit der Folge, dass auch die übrigen SPD-Leute nicht die Hand hoben. Schieseck nannte die politischen Gegner „schlechte Verlierer“, die der „Mutter des Erfolgs“, nämlich der Oberbürgermeisterin, „Steine in den Weg legen wollen“, aber selbst darüber stolpern.
Für Musik sorgte der Frankensima.
Damit sich niemand versingt: Gedächtnisstütze zur Bayernhymne.
Kaffee, Schokolade, Fußbälle, selbst Gold wird heutzutage fair gehandelt. Der Quark und die Kartoffeln, die es beim Politischen Aschermittwoch der Grünen aus Stadt und Landkreis Bayreuth zu essen gab, waren immerhin regional. Das ist auch schon das Dilemma, der Konsumenten, die nachhaltig einkaufen wollen: Unter der Vielzahl der Öko-, Regional- und Fairtrade-Siegel dasjenige herauszufinden, das tatsächlich hält, was es verspricht.
Susanne Bauer, Direktkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl, hält trotzdem die Fair Trade-Idee für effektiver als Entwicklungshilfe: „Es liegt in unserer Hand, ob wir fair handeln wollen. Wir können es jeden Tag beim Einkauf entscheiden“, sagte die Pegnitzerin vor etwa 40 Gästen im Vereinsheim des Sportrings.
Faire Preise für die Produzenten, das ist ein Herzensanliegen Susanne Bauers. Daher zeigte sie einen Ausschnitt aus dem aufrüttelnden Dokumentarfilm „The true cost – Der Preis der Mode“, in dem aufgedeckt wird, unter welch menschenverachtenden Bedingungen Billigtextilien hergestellt werden.
Bauer kritisierte in diesem Zusammenhang die ungebremste Kauflust vieler Menschen, die dazu führe, dass etwa einheimische Busunternehmer „für 22 Euro von Pegnitz nach Frankfurt fahren, die Leute vor Primark absetzen und später wieder einladen – exzessives Shopping bis zum Umfallen.“ Ein T-Shirt für zwei oder drei Euro könne nicht unter anständigen Bedingungen hergestellt worden sein, das wisse jeder, sagte sie.
Was tun? Weniger einkaufen, Kleiderkreisel und Flohmärkte nutzen, Produkte kaufen, die ohne tierische Materialien auskommen, Waren mit Fair- oder Bio-Siegel kaufen und nicht zuletzt umweltfreundlich waschen. Damit sei schon viel erreicht.
Bildungsreferentin Marina Malter stellte die Initiative Fair Trade detailliert vor. Nach ihren Worten stieg der Gesamtumsatz mit fair gehandelten Waren von 121 Millionen Euro im Jahr 2005 auf mehr als 1,1 Milliarden im Jahr 2015. Siebzig Prozent der Fair Trade-Produkte in Deutschland seien inzwischen auch Bio-Ware.
Wen's überzeugt: Mitgliedsantrag auf einem Bierdeckel. (Fotos: Thorsten Gütling)