Großes Thema, schwach präsentiert

Von Michael Weiser

Bayreuth pflegt seit über einem Vierteljahrhundert eine Kulturpartnerschaft mit dem Burgenland. Was sich unter anderem in Ausstellungen äußert. Aktuell: "Fluchtpunkt Europa". Angeblich. 

 
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Ein Fluchtpunkt ist zunächst mal eine fabelhafte Sache, behauptete Unendlichkeit, in der zusammentrifft, was laut Definition ganz und gar nicht zusammentreffen kann – parallele Linien. Mit der Entdeckung des Fluchtpunkts trat die Perspektive ihren Siegeszug an und mit ihm die wunderbare Malerei der Renaissance: Kaum ein Maler vor fünfhundert Jahren, der seine Figuren nicht in geometrisch ausgefeilt konstruierte Räume stellte, entworfen auf der Grundlage des Fluchtpunkts.

Die Moderne konnte mit ihm nicht mehr gar zu viel anfangen, ein wenig überraschend ist es auf den ersten Blick, dass im vergangenen Jahr die Initiative eu-art-network im Burgenland den Fluchtpunkt als Motto setzte. Genauer: Den „Fluchtpunkt Europa“. Über 30 Künstler fanden sich unter diesem Motto für ein Symposium zusammen. Die Ergebnisse dieses Austauschs sind nun im Neuen Rathaus in Bayreuth zu besichtigen: 30 Künstler, die versuchen, den Fluchtpunkt aus einer anderen Perspektive zu sehen: der des Migranten, der in Europa seinen Sehnsuchtsort sieht, den Endpunkt seiner – Flucht.

Die Idee ist keine

Ob dem so ist, sei dahingestellt. Auch, dass die Idee nicht so ganz neu ist, muss uns nicht kümmern. Schon die Bundeszentrale für Politische Bildung hatte eine Publikation zum Thema „Migration“ mit „Fluchtpunkt Europa“ überschrieben. Das sei – geschenkt: Wir dürfen so immerhin  zur Kenntnis nehmen, dass sich auch Künstler mit aktuellen politischen Themen zu beschäftigen beabsichtigen. Offiziell beglaubigt, sozusagen.

In der Ausstellungshalle des Rathauses aber stellen sich die Fragen nach dem Sinn des Versuchs ebenso wie nach seinem Erfolg. Wir sehen Malerei und Grafik von Künstlern, die so ähnlich oder genau so schon öfter ausgestellt haben. Die nicht ganz überraschenden Wellenbilder der Bayreutherin Gudrun Schüler in allen Ehren. Aber sie könnten für Migration ebenso gut stehen wie für Urlaub oder anderes. Wir sehen Wasser. Und ahnen Flüchtlingsschicksale im Mittelmeer. Oder auch nicht, kommt eben nur darauf an, woran man gerade denkt. So ist das erstmal nur eine Draufsicht auf bewegtes Wasser, idyllisch mit Gischt marmoriert.

Oder die Arbeiten von Andreas Strohhammer: er hat offenbar Fotos zum Ausgangspunkt seiner Grafiken genommen. „Hallo Chef“ heißt die Serie, die in verwaschenen Farben farbige Strandverkäufer abbildet. "Hallo Chef", wir dürfen raten, spielt auf eine wohl als berufstypisch wahrgenommene Anrede jener Strandläufer an, die dem Kunden garantiert echte Uhren, Taschen und Klamotten andrehen wollen. Irgendwie Migranten, schon okay, aber nu? Fluchtpunkt Europa für windige Geschäftemacher? Was will Strohhammer eigentlich sagen?

Vom Ungarn Zsolt Ferenczy sehen wir unter anderem einen Bullen und einen Bären. Es hätte der Anspielung auf Aktienkurse nicht bedurft, wir vernehmen die Botschaft auch so: Böse Börse, böses Kapital. Ferenczy bleibt – ästhetisch ganz okay –  an der Oberfläche.

Ein Sammelsurium

Auch dank der völligen Abwesenheit erklärender Texte in der Ausstellung – noch der Hinweis auf verwendete Materialien fehlt, ebenso der Titel – darf man die Bilderzusammenstellung als Sammelsurium wahrnehmen, dem man das im Veranstaltungskalender ausgewiesene Motto nicht abnimmt. Bei der einzigen Videoarbeit wird es unappetitlich: Es tropft, die Flüssigkeit bildet eine Pfütze auf Asphalt. Es soll sich dabei um Verwesungsflüssigkeit handeln, ausgesickert aus einem Laster, in dem die Leichen von Flüchtlingen gefunden wurden. So zapft David Kleinl so etwas wie Kunst aus dem Elend dieser Welt.

Werke von Syrern sind auch zu sehen: Kitsch, der das anspruchsvolle Thema nicht trifft. Marion Kilianowitsch hat "Briefe an Europa" verfasst. Unter anderem sind von ihr zu sehen: Eine Papierrolle, die von der Galerie runterhängt, ein paar Schuhe, eine Hose, ein schmutziges weißes Hemd. Alles Zeugnisse von einer Wanderung zur Grenze, 27 Kilometer lang. Weil derlei Distanzen nun wirklich nicht genügen, um jemandem zum Eintrag in einen Sportalmanach zu verhelfen, hat Kilianowitsch auf die Mitnahme von Wasser und Nahrung verzichtet, um die Mildtätigkeit der Umgebung zu prüfen: ein angesichts des Ernstes des Themas fragwürdiger Versuch.

Es gibt übrigens auch Werke, die des Hinsehens lohnen. Hüseyin Isiks „Karte der Gewalt“ zum Beispiel; aber derlei geht in Beliebigkeit unter.

Das kommt nichts zusammen

In der linken Ecke sieht man auf einem Sockel ein Gefäß mit einem Strauß Rosen darin. Man ahnt den Titel:  "I never promised you a rose garden", vermutet vielleicht einen gesellschaftskritischen Seitenhieb auf die europäische Gesellschaft und ihre kühle Haltung gegenüber hoffnungsvollen Flüchtlingen. Doch, nein, halt: Der Strauß ist offenbar von der Vernissage übriggeblieben.

Eines der Blätter hat sich von der Wand gelöst und liegt am Boden (beim zweiten Besuch, am Dienstag). Gehört das da weg, oder ist das Kunst?

Wie Bayreuth in seinem Neuen Rathaus Kunst präsentiert, ist von berüchtigter Lieblosigkeit. In den Verwaltungsbunker kommt man üblicherweise eben nicht, um Kunst zu studieren. Das soll offenbar  auch so bleiben. Hier nun gilt's der Partnerschaft mit dem Burgenland: Mit dieser Präsentation ist wenigstens den Geboten der Diplomatie Schuldigkeit getan. Irgendwie.

Im guten alten Fluchtpunkt kommt zusammen, was nicht zusammenkommen kann – und das zum höheren Sinn einer auch nach fünfhundert Jahren noch aufregenden Kunst. Das gelingt in diesem neuen „Fluchtpunkt“ mitnichten. Es kommt nicht einmal zusammen, was zusammengehört: Bild und Relevanz.