Groissböck: Wotan mit Höhen und Tiefen

Von Michael Weiser
„Nun hört und versteht mich recht!“ Günther Groissböck (2. von Rechts) als Veit Pogner, beziehnungsweise Franz Liszt in der „Meistersinger“-Inszenierung von Barrie Kosky. ⋌Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Foto: red

Ein beeindruckender Veit Pogner in den „Meistersingern“, ein „muskelbepackter Prolet, der sich herzensweich übers Ohr hauen lässt“ (so unser Rezenszent Florian Zinnecker über seine Rolle als Fasolt im „Rheingold“): Günter Groissböck weiß stimmlich wie darstellerisch gleichermaßen zu beeindrucken. Wir sprachen mit dem Bass über seine Lieder-CD, Radfahren am Schneeberg und seine Pläne in Bayreuth – besonders über den Wotan im Jahre 2020.

 
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Von Ihnen erschien zuletzt eine CD, auf der Sie von Gerold Huber begleitet werden: Die „Winterreise“. An den Winter mag man derzeit noch gar nicht denken…

Günther Groissböck: Mit dem Termin gab es eine Verzögerung, wie es eben so oft ist, wenn man immer wieder etwas findet, was verbessert werden soll. Mein Wunscherscheinungsdatum wäre der 31. Januar gewesen, weil es eben Schuberts Geburtstag ist und heuer als 220. auch noch ein halbrunder Geburtstag gewesen wäre. Das hat aber aus diversen kleinen Gründen nicht geklappt. Aber egal ob Schnee liegt oder ob man 30 Grad Plus hat – es ist ein Zyklus, der immer packt.

"Man ist geläutert, aber ohne Antwort"

Was ist die Winterreise für Sie persönlich?

Groissböck: Für mich ist sie in Sinnbild für das Durchschreiten von diversen Lebensstationen, schwierigen Situationen, aufbegehrenden oder resignierenden Momenten, es hat etwas Enttäuschtes aber auch Kämpferisches. Ich kann mich damit ganz gut anfreunden, teilweise sogar identifizieren. Für mich ist das ein Kreuzweg in 24 Stationen, der in ein großes Fragezeichen mündet. Man ist danach geläutert, vielleicht, aber Antwort gibt es keine.

Dazu haben Sie den „Schwanengesang“ gestellt.

Groissböck: Das hatte praktische Gründe. Wir haben die „Winterreise“ im Herbst 2015 eingespielt, und es war schon geplant, den „Schwanengesang“ im Jahr darauf einzuspielen, und da habe ich mir gedacht, was soll dieses homöopathische Hingeplätscher von Veröffentlichungen mal hier und dort, wir hauen es auf einen Knall hinaus. Thematisch passt beides gut zusammen, von der Grundstimmung her ergänzt es sich, es ist ja nicht so, dass man Apfelstrudel mit Ketchup serviert. Die Idee, eine Art Schubert-Bekenntnis hinzustellen, hat mich auch fasziniert.

Schubert - der österreichische Komponist

Was verbindet Sie mit Schubert?

Groissböck: Es ist eine sehr innige Beziehung. Ich finde ihn in seiner Klangsprache und seinem Wesen zutiefst österreichisch, im Sinne des Abgründigen, Melancholischen. Das macht den kleinen Unterschied, dass da was Slawisch-Melancholisches mitschwingt, vielleicht auch etwas Katholisch-Geknechtetes. Zusammen mit Bruckner ist er für mich eigentlich der österreichische Komponist. Wenn man damit sozialisiert ist, wenn auch im Abstand von 200 Jahren, kann man das ganz gut nachempfinden.

Sie absolvieren karrieretechnisch alles andere als eine Winterreise, Sie singen vielmehr an allen großen Häusern, eben auch in Bayreuth. Die Kritiker geben Ihnen Bestnoten. Was braucht es, um so zu überzeugen?

Groissböck: Wenn man es schafft, das, was man klanglich rüberbringen will, auch irgendwie seelisch zu füllen, dann hat man immer gewonnen, egal wo. Selbst wenn es eine Produktion ist, die ungünstiger läuft. Diese zwei Produktionen, die ich in den vergangenen Jahren hier gemacht habe, das „Rheingold“ und den „Tannhäuser“, haben meinem Typ so weit entsprochen, dass es nach draußen, aufs Publikum, stimmig gewirkt hat. Beide Produktionen waren auf ihre Weise umstritten, doch hat es eine gewisse persönliche Überzeugungskraft gehabt. Das ist bei Opernproduktionen sicher auch ein bisschen Glück.

Moskau Inkasso - ein großer Spaß

Ich kann mir vorstellen, dass es auch Spaß gemacht hat, wieder als Moskau Inkasso herumzulaufen.

Grossböck: Ja sicher, das ist der Idealfall. Dass du eine Opernproduktion hast, in der du richtig aufgehst. Ich denk grad an meinen „Rosenkavalier“, 2014/15 in Salzburg. Ich bin der Produktion am Anfang skeptisch gegenübergestanden, hatte Vorbehalte gegenüber der Figur, weil sie so gar nicht den Rollenklischees entsprach. Und plötzlich hast du ein Konzept und gehst vollkommen darin auf. Vergisst dich selber und bist ganz und gar diese Figur. Dann bist du so weit, dass es aus dir singt, aus dir spielt. Der Idealfall ist das, und dann erreicht man auch die Leute. Man muss nur aufpassen, dass man nach der Vorstellung, wenn man ins Auto steigt, wieder weiß, wer man ist.

Sie haben in Salzburg einer komödiantischen Figur Kanten verliehen. Wie waren die Herausforderungen beim Veit Pogner?

Groissböck: Der Veit Pogner ist keine Hauptrolle wie beim „Rosenkavalier“ der Baron Ochs oder bei den „Meistersingern“ der Hans Sachs oder der Beckmesser. Er ist aber für die Handlung sehr wichtig, weil er ja den ganzen Wahnsinn beginnt, indem er seine Tochter als Preis auslobt. Die Rolle ist nicht zu unterschätzen, der hat im ersten Akt ja richtig viel zu singen. Das geht ein bisschen unter, weil der dritte Akt ein solches Monstrum ist, dass man danach schon gar nicht mehr weiß, was im ersten Akt los war. Ich finde wichtig, dass man ihn nicht als hohlen blöden Kunstmäzen darstellt, der nur auf sein Prestige schaut und einen Preis auslobt, weil er andern zeigen will, wie wichtig ihm der Meistergesang ist. Er hat eine tiefe, ehrliche Passion für den Meistergesang, und dieser Preis, seine Tochter zu geben, ist ein echtes Opfer für ihn.

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Schauen wir mal auf die Rollen, die für die nächsten Jahre in Bayreuth anstehen. Der Gurnemanz wäre doch was...

Groissböck: Ich hab erst damit debütiert, im Dezember in Amsterdam, in der Produktion von Pierre Audi aus dem Jahre 2012. Der hat das so angelegt, dass der 1. Akt eine Art Traum ist. Bei ihm ist der Gurnemanz die Hauptfigur. Er ist ein Gralsritter, steht in der Hierarchie sehr hoch, hat aber zu einem gewissen Maß Schwächen. Er ist im ersten Akt nicht unemotional, wenn er etwa die Knappen zurechtweist, und wenn er davon erzählt, wie der Speer abhandengekommen ist, dann merkt man, dass er tief drin in sich weiß, dass er mehr hätte tun können, um diesen Verlust zu verhindern.Wenn dieser Bruch herauskommt, wenn man sieht, Gurnemanz ist nicht nur der abgeklärte, souveräne alte Mann – dann hat diese Figur noch mehr Reiz.

"Eine sportliche Herausforderung"

Und 2020 singen Sie den Wotan im neuen „Ring“.

Groissböck: Das ist eine sportliche Herausforderung, mit dem Hauch des Ungewissen. Wenn man gesund ist und die Produktion passt, dann müsste das schon was Brauchbares werden. Aber es ist ein großer Schritt in unbekanntes Terrain. Der Wotan ist auch noch eine Partie des Zwischenfachs, die als hoher Bass notiert ist. Bässe, die eine solche Höhe erreichen, machen aber oft einen Bogen um diese Rolle, weil man da in ein Fahrwasser mit großen technischen Schwierigkeiten gerät. Es ist außerdem eine emotionale Herausforderung, Wotan ist eine Figur, die alle Höhen und Tiefen durchmacht.

Eigentlich geht es ja nur bergab.

Groissböck: Es gibt natürlich schon auch Momente, da er sich über allem erhaben wähnt, etwa beim Einzug nach Walhall. Auch wenn ihm bewusst sein muss, dass alles auf faulen Krediten beruht. Die Figur ist extrem vielschichtig und hat auch winterreiseartig verletzte Momente. Und sie hat schöne väterliche Momente, wo Wotan etwas Warmes ausstrahlt. In Anbetracht des Umfangs ist das eine große Herausforderung.

"Das hat was von Aktienhandel"

Wotan hat sich verplant. Wie weit können Sie Ihre Kariere vorausplanen?

Groissböck: Das hängt davon ab, wie weit die Häuser vorausplanen. Die planen teilweise extrem weit voraus, wobei das ein bisschen besser geworden ist. Der maximale Zeitraum liegt momentan bei vier Jahren. Früher waren das manchmal fünf Jahre oder mehr – das hat dann schon was von Science Fiction. Man muss die Karriere einfach so planen, wie die Angebote kommen. Und wenn einer für 20 oder 21 anfragt, dann muss man sich den Gegebenheiten anpassen. Das ist spekulativ und hat schon was von Aktienhandel.

Man weiß ja nicht immer, wohin sich die Stimme entwickelt.

Groissböck: Genau. Das ist dann der Moment, in dem sich zwei Anleger treffen, um in der Börsensprache zu bleiben, nämlich der Intendant und der Ausführende, der eine mit einer Erwartung, der andere mit dem Gefühl, das leisten zu können. Das ist ein bisschen Kaffeesatzlesen. Wobei man bei einer sauberen stimmlichen Veranlagung, einem gewissen Körpergefühl und Instinkt und dazu dem Wissen, wie sich die Stimme bislang entwickelt hat, abschätzen kann, wo es hingeht. Natürlich gibt es aber wahnsinnig viele Faktoren, die einem einen Strich durch die Rechnung machen.

"Das Instrument ist fragil"

Klaus Florian Vogt hat zugegeben, dass er Schwierigkeiten mit dem Nein sagen hat. Und auf einmal singt man zu viel.

Groissböck: Ja, das kenne ich. Wenn man diesen Status hat, dass man merkt, das man technisch souverän ist, dann hat man oft das Gefühl, das mitnehmen zu können und das auch noch, und zwar nicht aus Gier oder Übermut, sondern weil man sich denkt, ich bin momentan der Richtige, und es wäre schade, wenn ich es nicht machen würde. Doch wenn was dazwischenkommt, muss man halt auch sagen, es geht nicht. Weil das Instrument fragil ist.

Wie pflegen sie das Instrument, also die Stimme?

Groissböck: Ich versuche, mich körperlich fit zu halten, das Instrument, das im Prinzip den ganzen Körper ausmacht, sauber zu halten, zu pflegen, sorgsam, aber nicht übersorgsam zu behandeln, manchmal auch abzuhärten und sich in der kühleren Jahreszeit nicht dauernd zu verhätscheln. Wie ich damit umgehe, hängt von der jeweiligen Phase ab, davon auch, ob man psychisch gerade gefordert ist.

"Auspacken tu ich nie"

Ihren Lebensmittelpunkt haben Sie im Tessin, Sie reisen sehr viel. Wie machen Sie das mit Bayreuth? Bleiben Sie die ganze Zeit dort?

Groissböck: Ich fahre da immer mit dem Auto, ins Tessin sind es, wenn ich gut fahre, unter sechs Stunden. Und ich finde das eigentlich sogar angenehm. Ich fahre gern mit dem Auto, und Bayreuth ist ohne großen Aufwand vom Lebensmittelpunkt aus erreichbar. Natürlich kommt es drauf an, welche Vorstellung gerade war. Ich singe gern im Auto, was oft auch von Vorteil ist, das muss man sich aber wohl einteilen. Wenn man vom „Rheingold“ kommt, sich noch mal in die Oper hineindenkt, dann plötzlich Lust bekommt, diese Oper durchzusingen, vielleicht sogar in einer anderen Rolle (lacht), dann ist es wunderbar, wenn man anschließend zwei Tage frei hat. Wenn die nächste Vorstellung am nächsten Tag ist, würde ich meine Stimme vorsichtiger dosieren. Ich würde auch nicht für einen Tag nach Hause fahren. Ich bin schon wirklich sehr oft unterwegs So richtig auspacken tu‘ ich nie, bei mir stehen zwei Koffer immer so im Stand by-Modus rum.

"Giftige Anstiege"

Sie sind begeisterter Rennradfahrer. Haben Sie in Oberfranken Lieblingsstrecken?

Groissböck: Ich fahre gerne über Goldkronach nach Bischofsgrün und dann zum Schneeberg. Da hast du eine schöne Steigung vor dir und machst wirklich Höhenmeter. Es gibt aber auch in der Fränkischen Schweiz schöne Strecken, etwa, wenn man an Obersees nach Wohnsgehaig hinauffährt – das ist eine kurze, knackige Runde. Nach Glashütten gibt es auch einige giftige Anstiege. Im Salzburger Land und erst recht der Schweiz sind die Steigungen vielleicht üppiger, aber Bayreuth hat schon auch einiges zu bieten. Kurz und knackig und manchmal unrhythmisch zu fahren – das fordert einen.

INFO: Die mit Gerold Huber eingespielte Doppel-CD mit Schuberts „Winterreise“ und „Schwanengesang“ erschien im Frühjahr 2017 bei Decca, 22,99 Euro .