Götterdämmerung: Ende gut, fast alles gut

Von Florian Zinnecker
 Foto: red

In der „Götterdämmerung“ finden Marek Janowski und die Musiker dann doch noch zusammen. Die Regie hat dem nichts hinzuzufügen, lässt sich davon aber nicht hindern, es doch zu tun. Die Premierenkritik zum Abschluss des „Rings“.

 
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So merkwürdig dieser Satz auch klingt, bezogen auf ein 140 Jahre altes Werk: Dass diese „Götterdämmerung“ so enden würde, war am Anfang des „Rheingolds“ nun wirklich nicht abzusehen. Aber es dauerte tatsächlich bis weit in die letzte der vier "Ring"-Opern, bis Marek Janowski, die Musiker und vor allem die Sänger den gleichen Ton gefunden hatten und dieselbe Temperatur. 

Jetzt müsste man - in einer Welt, in der Zeit, Geld und geregelte Tagesbeschäftigung nicht der Rede wert sind - eigentlich gleich mit dem nächsten „Rheingold“ anschließen: um nun, da sich alle aneinander gewöhnt haben, herauszufinden, wohin die gerade begonnene Reise geht. Wie ein Orchester und ein Dirigent zusammenfinden - das ist etwas, was man so konzentriert nicht alle Tage erleben kann, zumal bei solchen Hochkarätern wie Janowski und dem Festspielorchester, eines unter wenigen Klangkörpern ohne feste Besetzung und trotzdem einer unverwechselbaren und traditionsbewussten Identität.

Die nächsten beiden „Ringe“ dieser Spielzeit werden mit dem ersten recht wenig gemeinsam haben.

Das alles ist aber, darauf deutet vieles hin, nicht zufällig so passiert. Sondern ist im Gegenteil typisch für Janowskis Musikverständnis. Kirill Petrenko, „Ring“-Dirigent der vergangenen drei Festspielzeiten, hatte mit enormer Detailversessenheit und in endlosen Proben zusammen mit dem Orchester die Nuancen aus der Musik herausgeschält. Und dann in der Aufführung, hellwach und hochkonzentriert, die vorherigen Verabredungen zu einem perfekten Ergebnis zusammenzuführen - schlank, agil und mit großer Rücksicht auf Sänger und Solo-Instrumentalisten. Marek Janowski dagegen schlägt die Partitur auf und arbeitet am offenen Herzen. Aus Erfahrung wissend, wann welcher Spannungsbogen die Musik im Innersten zusammenhält, und sich so vielleicht nicht von Takt zu Takt, aber doch von Phrase zu Phrase vorarbeitend. Mit großer Liebe zum Tempo. So entsteht ein „Ring“, der nicht auf Hochglanz poliert ist - Musik ohne geschliffene Kanten, die dafür noch warm ist, wenn sie aus dem Orchestergraben strömt. Hier hört man die Kraft, die Arbeit, das Handwerk der Musiker - anstatt staunend vor einem Klangkunstwerk zu sitzen. Ab und zu muss auch geflickt werden. Wahrscheinlich ist das der Grund, der Marek Janowski am Ende ein paar deutlich hörbare Buhs bescherte.

Und natürlich: In ihrer Kompromisslosigkeit nehmen die Dirigenten einander nichts. Bei Petrenko ahnt man sie, weil anders solche Detailverliebtheit nicht möglich ist. Bei Janowski hört man sie unmittelbar: immer dann, wenn bei einem Tempowechsel ein Sänger aus der Kurve zu fliegen droht. Meistens passiert das dann doch nicht, aber sehr oft ist es knapp. Den Rheintöchtern passiert gleich zu Beginn des dritten Aufzugs ein kapitaler Schmiss, der Chor braucht einen Moment, bis er ins Gleis findet, Stefan Vinke steht nicht allzu stabil auf dem Orchesterklang. Der finale Ruf Hagens, „Zurück vom Ring!“, fällt gleich ganz aus.

Im Umkehrschluss werden die reinen Orchesterstellen wahre Meisterwerke - die großen, etwa der Trauermarsch, die ersten Takte des Vorspiels, die „Rheinfahrt“ oder der Schluss; aber auch jene, die manchmal nur als Übergang verstanden werden und die man gar nicht unbedingt mehr im Kopf hat: das Hörner-Solo zu Beginn des dritten Aufzugs, das kurze, trügerische Liebesglück zwischen Siegfried und Gutrune, da ist immer - wie schon beim Cello-Solo in der „Walküre“ - die unbedingte Bereitschaft zum Schwelgen. Als wollte er, wäre er nicht viel zu sehr Profi, damit sagen: So lange hab ich warten müssen bis Bayreuth, jetzt darf ich bitte auch.

Die spannenden Entwicklungen beschränken sich aber auf die Musik. Der gut abgehangene Regie-Kniff, zur Handlung noch mindestens eine ironische Alternative anzubieten, im einzigen Opernhaus der Welt, das auf vollkommenes Versinken der Zuschauer im Bühnengeschehen hin konstruiert ist: dieser Kniff funktionierte bei der Wiederaufnahmepremiere der „Götterdämmerung“ 2016 weder schlechter noch besser als in den Vorjahren. Die Nornen opfern ein Huhn, Siegfried tritt einen Penner zusammen, dann nimmt er sich die Rheintöchter einzeln vor, der tote Hagen treibt auf dem Floß über den Fichtelsee, Brünnhilde geht am Ende nach hinten von der Bühne ab, vorher hat sie den Bühnenboden mit Benzin übergossen, aber der entscheidende Funken fehlt.

Und er fehlt auch im übertragenen Sinn, auch noch im vierten Jahr, die unfassbar vielen Ideen und Zitate und Aktionismen auf der Bühne können darüber nicht hinwegtäuschen, die Probleme der Vorjahre hat Frank Castorf jetzt einfach mit neuem Ensemble wieder eingeprobt, bis hin zu dem liebevollen, aber wohl nicht gewollten Detail, dass sich die unvermeidliche Videoleinwand beim Herunterfahren jedes, wirklich jedes Mal an der Brandmauer verhakt und kurz gelupft werden muss. Vor den Schlussvorhang wollte Castorf diesmal auch gar nicht mehr treten, denn auch die Reaktionen wären wohl unverändert ausgefallen: die einen mögen’s, die anderen nicht. Kann man so machen, ist aber - mit diesem Gefühl kommt man aus der Aufführung - eigentlich total egal.

Die Sänger, die nicht neu eingewechselt wurden - Allison Oakes als Gutrune und Catherine Foster als Brünnhilde - haben die Chance erkannt, die in dieser Art von Regieführung für sie liegt. Allison Oakes lässt sich schauspielerisch voll auf die Castorf-Ästhetik ein, was die Brillanz der überschaubaren Gesangspartie nicht schmälert. Catherine Foster entwickelte sich seit dem ersten Jahr unterdessen immer weiter zu einer vollkommen in sich selbst ruhenden, stimmlich strahlenden Brünnhilde - und darstellerisch immer weiter heraus aus der Welt, die da auf der Bühne stattfindet. Das kommt der Inszenierung, in der ja ausdrücklich alles möglich ist, ebenso zunutze wie der Figur, die so in manchen Momenten auf gute Art entrückt wirkt. Weil sie eben keine postdramatische, sondern eine hochdramatische Brünnhilde ist, aber in der Stimme nicht nur Kraft, sondern auch Wärme hat, neben dem stimmlich sehr angestrengten Stefan Vinke als Siegfried fast schon liebevoll-mütterlich denn leidenschaftlich-liebend wirkend. Im vierten Jahr dieses „Rings“ jedenfalls hat sie die Spitzenform erreicht. Es gibt noch Karten für dieses Jahr, im Übrigen.

Als Hagen sprang für den erkrankten Stephen Milling der fabelhafte Albert Pesendorfer ein. Albert Dohmen war Alberich, Markus Eiche ein hervorragender Gunter, Marina Prudenskaya gab ihr Bayreuth-Debüt als Waltraute. Wiebke Lehmkuhl, Stephanie Houtzeel und Christiane Kohl sangen, bestens abgestimmt, die Nornen.

Das letzte Wort bekommt die Musik, die berühmten sieben Schlusstakte der „Götterdämmerung“ waren bei Kirill Petrenko kunstvoll in den bombastischen, leiser werdenden Bläser-Schlussakkord hineingewebt. Bei Marek Janowski stehen sie unverbunden und frei, wollen nicht davonfliegen, wollen die vier „Ring“-Opern auch nicht im letzten Moment voller Pathos auf den Punkt bringen. Sondern fügen einfach einen letzten, schönen, extra aufgesparten Gedanken hinzu. Als Schlusspointe.

Und das war’s.

 

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