Von Britta Schultejans, dpa «Göttinnendämmerung» auf dem Grünen Hügel

Was wäre, wenn die Bayreuther Wagner-Festspiele in einer Krise stecken? So weit, so vorstellbar. Was aber wäre, wenn die Festspielleiterin Katharina Wagner sich weibliche Unterstützung holen würde - aus dem Grab?

 
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München (dpa) - Was wäre, wenn die Bayreuther Wagner-Festspiele in einer Krise stecken? So weit, so vorstellbar. Was aber wäre, wenn die Festspielleiterin Katharina Wagner sich weibliche Unterstützung holen würde - aus dem Grab?

Dieses Szenario entwirft Regisseur Sven Holm in «Wagnerin. Ein Haus der Kunstmusik». Das Musiktheater erntete bei seiner Uraufführung am Sonntagabend in München keinen donnernden, aber freundlichen Applaus. Der ein oder andere Zuschauer aber konnte seinen Unmut nicht verbergen und das Haus der Kunst, in dem die Premiere stattfand, gar nicht schnell genug verlassen.

Dabei ist Holms Idee ebenso absurd wie reizvoll und unterhaltsam. Die Geschichte: Katharina Wagner (Hanna Dóra Sturludóttir) steht vor großen Herausforderungen. Das Orchester rebelliert. «Thielemann ist abgereist, das halbe Orchester ist nicht mehr da.» Ihre Idee: Die Vorfahren sollen es richten. Und so weckt sie ihre Vorgängerinnen aus dem ewigen Schlaf: ihre Mutter Gudrun (Ceri Williams), die heimliche Festspielleiterin, Winifred (Renate Jett), die nicht so heimliche, und Cosima (Dame Gwyneth Jones), «die Ahnherrin» und Ehefrau von Richard Wagner.

Die stinken doch inzwischen, sagt ein Chormädchen. «Hier stinkt es doch so wie so», sagt ein anderes. Und so versammeln sich die vier Wagnerinnen um den runden Tisch, auf dem der berühmte Grüne Hügel aufgebaut ist, und beratschlagen sich. Was tun gegen die Festspiel-Krise? Wie kann man arbeiten, wenn nur noch die Posaunen da sind? Für Winifred ist das Problem klar. Früher war alles besser, denn «früher wurde weniger diskutiert». Niemand versuchte, sozialpolitisch etwas hineinzuinterpretieren in Wagners großes Werk. «Das ist jetzt erst seit dem Zweiten Weltkrieg aufgekommen.» «So beschissen wie in diesem Jahr ist es überhaupt noch nie gewesen.» Cosima sagt: «Wir haben hier nichts zu erfinden, nur auszuführen.»

Untermalt wird die absurde Zusammenkunft von der Musik aus Wagners Mammutwerk «Ring des Nibelungen», das auch in diesem Jahr die Opernfestspiele bestimmt. «Es sind immer die starken Frauen gewesen, die in Bayreuth regiert und sich teilweise des Erbes der Festspiele wegen bekriegt haben», erklärt Holm. Und so stellt er die Schicksale der Frauenfiguren im «Ring» den weiblichen Erbfolgestrategien in der Wagnerdynastie gegenüber. Der ein oder andere Vergleich hinkt zwar durchaus, zum Lachen bringt Holm sein Publikum aber doch das ein oder andere Mal.

Ausgerechnet im 1937 eröffneten Haus der Kunst, diesem heutigen Mahnmal für die Kunstauffassung der Nationalsozialisten, nimmt der Regisseur Hitlers Lieblingskomponisten Wagner und die Bayreuther Festspiele genussvoll und respektlos auseinander. Katharina, Cola-light trinkend und rauchend um Transparenz und Modernität bemüht, interviewt Winifred und entlockt ihr Aussagen wie «Ich kann ja zugeben, dass die Kinder ihn geduzt haben» und «Wenn ich einmal eine Zuneigung zu einem Menschen gefasst habe, dann bleibt die durch dick und dünn» oder «Welche Persönlichkeit erzeugt heute noch einen Begeisterungsruf?» Dabei geht es natürlich immer um Adolf Hitler.

Den zentralen Punkt aber hebt Holm sich bis zum Schluss auf: «Wer in Bayreuth an die Macht wollte, musste es sich mit dem Mangel an Liebe erkaufen.» Und hier greift plötzlich die Parallele zum «Ring»: «Stellen wir uns vor, Alberich würde sich beim nächsten Mal für die Liebe entscheiden.» Im «Rheingold» entschließt er sich schließlich dazu, der Liebe zu entsagen, um an den Ring, das Gold zu kommen. Er verkauft seine Seele - genau so wie die Frauen von Bayreuth. So sieht das zumindest Regisseur Holm. Dass das nicht jedem Wagnerianer gefällt, versteht sich von selbst.

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