Glaube an Recht und Gesetz verloren

Von Peter Engelbrecht
Hans-Jürgen Eckert kämpft seit Jahren um eine Erwerbsminderungsrente. Archivfoto: Ralf Münch Foto: red

An Recht und Gesetz mag Hans-Jürgen Eckert aus Creußen nicht mehr glauben. Der Arbeiter hat sich nichts zuschulden kommen lassen, zahlte 42 Jahre lang in die sozialen Sicherungssysteme ein. Nach einer schweren Krankheit und der folgenden Arbeitslosigkeit steht der 58-Jährige ab dem 1. September 2017 vor dem finanziellen Aus.

 
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„Ab September bin ich mittellos“, klagt der 58-jährige Maschinenbediener. Staatliche Unterstützung wie Arbeitslosengeld bekommt er ab Freitag nicht mehr. Um Hartz IV zu erhalten, müsste er sein Haus verkaufen und den Erlös – bis auf ein geringes Schonvermögen – aufbrauchen. Sein Auto hat er bereits veräußert. Der Kurier hatte über den Fall bereits im Juni 2016 berichtet, seitdem hat sich die Situation massiv verschärft.

Angst vor der Zukunft

Derzeit klagt Eckert vor dem Sozialgericht in Bayreuth gegen die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern für eine Erwerbsminderungsrente. Doch das Verfahren zieht sich hin, zermürbt ihn, verstärkt seine Zukunftsängste. Arbeitslos ist er wegen seiner starken Wirbelsäulenschäden seit Dezember 2014. Eckert hat nach zwei Operationen an der Wirbelsäule im April und Mai 2017 immer noch Schmerzen. Er soll sich nach dem Ratschlag der Ärzte nicht bücken und nicht seitwärts drehen. Und: Er ist zu 50 Prozent schwerbehindert, könnte also mit 60 Jahren in Rente gehen. Und: Die AOK in Pegnitz sagte ihm im Juni 2017 Leistungen des Pflegegrades 1 zu.

Gutachten widersprechen sich

Eckert ist unzweifelhaft schwer krank. Doch entscheidend für die Rente sind Gutachten, doch die widersprechen sich. Das Sozialgericht hatte im Februar 2017 in dem Rechtsstreit eine ärztliche Gutachterin beauftragt, den Gesundheitszustand zu beurteilen. Die Ärztin kam zum Ergebnis, er könne täglich sechs Stunden lang leichte bis mittelschwere Arbeiten verrichten. Ein weiterer Gutachter kam im Mai 2017 im Auftrag der Arbeitsagentur zum Ergebnis, er könne täglich weniger als drei Stunden arbeiten. „Dies bedeutet, dass ich auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar bin“, kommentiert der Betroffene. Der Gutachter verweist auf Aussagen des behandelnden Facharztes, wonach es ein bis eineinhalb Jahre dauere, bis die Versteifung der Wirbelsäule verwachse. Deshalb dürfe Eckert nicht Auto fahren.

Gefahr einer Querschnittslähmung

Nun wird es mit Einverständnis des Sozialgerichts ein drittes Gutachten geben. Das Ergebnis wird Ende Oktober vorliegen, bis dahin hängt Eckert weiter in der Luft. Ob er jemals wieder schmerzfrei sein wird, ist unklar. Dies könne erst in eineinhalb bis zwei Jahren gesagt werden, sagte ihm der behandelnde Facharzt. Und die Ärzte hätten gewarnt: Wenn die Versteifung der Wirbelsäule bricht, besteht die Gefahr einer Querschnittslähmung. Das bedeutet Rollstuhl. Eckert kann nicht verstehen, dass er – obwohl er bis zur Krankheit nie arbeitslos war – nun durch das System der sozialen Absicherung fällt. „Man glaubt, man ist abgesichert“, sagt er verzweifelt.

VdK: Kein Einzelfall

„Das ist einer der klassischen Fälle, in denen die Leute am Sozialsystem zweifeln“, erklärt Christian Hartmann, Kreisgeschäftsführer des Sozialverbandes VdK in Bayreuth. „Mit solchen Fällen habe ich jeden Tag zu tun.“ Hartmann spricht von Menschen, „die ausgesteuert sind“. Im Endeffekt habe jemand in einer solchen Situation nur zwei Möglichkeiten: Er ist so krank, dass er eine Rente bekommt, oder er geht wieder auf die Arbeit. Doch Eckert fällt durchs Raster. Die Zeit der Hilfe ist abgelaufen. Krankengeld wird maximal eineinhalb Jahre gezahlt, die sind längst ausgeschöpft. Das Arbeitslosengeld wurde durch die rot-grüne Regierung unter SPD-Kanzler Schröder von ursprünglich 32 auf 18 Monate ab dem 55. Lebensjahr und auf 24 Monate ab dem 58. Lebensjahr gekürzt. Hier ist für Eckert am 1. September Schluss.

Rentenversicherung: Keine Sparvorgaben

Die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern (DRV) in Bayreuth nimmt aus Gründen des Datenschutzes zu dem konkreten Fall keine Stellung. Aber Pressesprecherin Sandra Skrzypale äußert sich zur allgemeinen Problematik der Erwerbsminderungsrente. Durch die lange Dauer des Rechtsstreits vor dem Sozialgericht könnten Versicherte aus dem Sozialleistungsbezug herausfallen. Sie nennt es „nicht ungewöhnlich“, dass Gutachten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, doch dies werde im sozialgerichtlichen Verfahren zu klären sein. „Dies liegt auch am unterschiedlichen Blickwinkel der Gutachter“, erläutert Skrzypale. Ein Gutachter befinde über die Arbeitsfähigkeit, ein anderer über den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente. Sparvorgaben gebe es nicht, „wir richten uns allein nach den gesetzlichen Vorgaben“. Das Budget spiele keine Rolle. Dem Vorwurf von Hans-Jürgen Eckert, er fühle sich von der Deutschen Rentenversicherung „hängengelassen“, widerspricht Skrzypale. Die DRV in Bayreuth sei bei der Rentenbearbeitung „eine der Schnellsten“ bundesweit. Auch die Widerspruchsverfahren würden „schnell und zügig bearbeitet“. Auf das Sozialgerichtsverfahren habe man allerdings keinen Einfluss mehr. Durchschnittlich 67 Prozent aller abgelehnten Anträge auf Erwerbsminderungsrente gingen ins sozialgerichtliche Verfahren. Die Vergleiche eingerechnet, bekomme die DRV Nordbayern in 90 Prozent der Fälle recht.

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