Radner: Nein, ich glaube nicht.
Scheitert daran Ihre Umgebung?
Radner: Ja. Denn man kann es niemandem begreifbar machen. Die Familie bemüht sich, mich zu verstehen. Aber die Menschen, mit denen ich mich am besten verstehe, haben auch ihre Kinder verloren. Sie haben ebenfalls die schreckliche Erfahrung hinter sich, die ich niemandem wünsche, und haben dadurch ein anderes Einfühlvermögen. Die anderen wollen es vergessen, verdrängen – oder sie haben Angst, mit mir zu reden.
Kämpfen Sie für die Aufklärung des Falles in der Hoffnung, dass es dann besser wird?
Radner: Ich glaube nicht. Nein, ich kämpfe nicht, damit es besser wird. Wenn ich es verdrängen könnte, würde ich es tun. Nachdem ich meine Frau vor 13 Jahren durch Krebs verloren habe, habe ich versucht zu verdrängen, aber das hat mir nicht gut getan. Ich hoffe, dass mir die Auseinandersetzung jetzt mehr hilft.
Manche sagen: Es war das Werk eines Kranken, nichts macht die drei wieder lebendig.
Radner: Das ist Ansichtssache. Ich sage: Ihr habt das alles nicht erlebt. Ich weiß, dass viele kein Verständnis haben.
Sie haben tonnenweise Akten studiert. Was haben Sie zusammengetragen?
Radner: Die Fakten sind, dass das medizinische Zentrum der Lufthansa seine Arbeit nicht richtig gemacht hat. Ein Arzt hat den Co-Piloten untersucht und ihm die Fluggenehmigung nicht ausgestellt. Am nächsten Tag gibt dessen Vorgesetzter Andreas L. die Genehmigung – das muss doch geklärt werden!
Deshalb haben Sie Strafanzeige gegen die Fliegerärzte, die Gutachter der Aero Medical Center in Frankfurt/Main und die Verantwortlichen des Luftfahrtbundesamtes gestellt. Sie haben auch die Hausärztin von Andreas L. angezeigt. Warum?
Radner: Das ist nur eine Ärztin von insgesamt 41 Ärzten, bei denen L. in Behandlung gewesen ist. Diese Hausärztin hat ihn zweimal auf freiwilliger Basis in eine Fachklinik eingewiesen. Ich meine, sie hätte dafür sorgen müssen, dass der Pilot aus dem Verkehr gezogen wird, das ist ihre Verantwortung, er hätte zwangseingewiesen werden müssen. Außerdem hat sie ihm Arzneien verordnet, die zusammen mit Psychopharmaka nicht hätten eingenommen werden dürfen.
Es gibt mittlerweile einen Untersuchungsbericht der französischen Behörden. Darin wird den Ärzten eine indirekte Mitschuld gegeben – keiner von ihnen hatte die Luftfahrtbehörden informiert. Die Behörde wollte die Ärzte anhören, doch die haben alle von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
Radner: Es waren ja nicht nur die Ärzte. In der dritten Anzeige, die ich gestellt habe, geht es um die Eltern des Piloten. Ich glaube, dass die Eltern informiert waren über den Zustand von Andreas L.
Wie kommen Sie darauf?
Radner: Als die Maschine abstürzte, warteten die Eltern und L.s Freundin in L.s Wohnung in Düsseldorf. Ich frage mich: Warum? Es war ein ganz normaler Arbeitstag, die drei hätten auf der Arbeit sein müssen. Als L. nicht eintraf, fuhren die drei nach Montabaur, wo L. eine Zweitwohnung hat. Dorthin nahmen die Eltern und die Freundin Wertgegenstände aus der Wohnung in Düsseldorf mit, sowie seine kompletten Krankenakten.
Was sagt Ihnen das?
Radner: Ich meine, die Eltern und die Freundin wussten, was er vorhatte. Sie haben noch gehofft, dass er es sich anders überlegt. Als er nicht kam, fuhren sie nach Montabaur. Dass die drei den ganzen Vormittag in Düsseldorf in der Wohnung des Co-Piloten warteten, nimmt man bei der Polizei einfach ins Protokoll auf und geht der Sache nicht nach.
Was ist mit den Krankenakten passiert?
Radner: Sie haben sie einem Lufthansa-Anwalt übergeben.
Hat sich die Lufthansa einmal bei Ihnen gemeldet?
Radner: Ja, nach vier Monaten, nachdem ich in der Talkshow von Markus Lanz gesprochen habe. Dort sagte ich, dass ich einige Fragen an die Lufthansa habe. Da haben sie sich gemeldet und haben mir ein Vier-Augen-Gespräch angeboten, um meine Fragen zu beantworten. Am Tag des Termins wurde jedoch eine Stunde vorher aus Krankheitsgründen abgesagt. Als drei Wochen später andere eine Klage gegen die Flugschule in Amerika, in der L. ausgebildet wurde, einreichten, wollte Lufthansa kein Gespräch mehr mit mir.
Ihr Leben muss sehr anstrengend sein.
Radner: Es gibt resignative Phasen. Da frage ich mich: Bringt das noch was? Sollte ich mich nicht mehr um mich kümmern und Verarbeitungsstrategien entwickeln? Aber ich kann das einfach nicht so stehenlassen. Ich will die Zusammenhänge begreifen. Ich nehme nicht hin, dass ein Psychopath im Cockpit 149 Menschen ermordet. Das tut mir mit Sicherheit nicht gut. Aber ich könnte damit nicht leben, es so stehenzulassen.
Wissen Sie um den Ermittlungsstand?
Radner: Nein, ich werde nicht auf dem Laufenden gehalten. Ich gelte als Nervensäge.
Fühlen Sie sich allein gelassen?
Radner: Ja.
Um was geht es Ihnen?
Radner: Maria war ein Gerechtigkeitsfanatiker, ein lieber Mensch und verrückt nach Kindern. Sie hätte diese Katastrophe auch nicht so stehenlassen, wenn Ihre Familie umgekommen wäre. Ich bin es ihr schuldig. Es geht mir nicht um Strafe. Es geht um Gerechtigkeit für meine Kinder, und dass Teile der Verantwortung übernommen werden.
Das Gespräch führte Susanne Will