Generalprobenkarten: Jubel und Frust

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Nach fünf Minuten sind alle Freikarten weg. Wie viele waren es überhaupt?, rästeln die Leerausgegangenen. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Um 9.15 Uhr reicht die Warteschlange vor dem Eingang der Theaterkasse bis zur Sparda-Bank. Wer sich hier einreiht, hat schon keine Chance mehr auf eine kostenlose Generalprobenkarte für das Europakonzert der Berliner Philharmoniker im Opernhaus. Denn das Kontingent war knapp bemessen.

 
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Ein Fünkchen Hoffnung haben die Wartenden noch, knapp vierzig Minuten vor der Öffnung von Theaterkasse und Touristinformation. „Ich kenne den Dirigenten noch aus Berliner Zeiten. Für mich wäre es einfach eine schöne Erinnerung“, sagt ein älterer Herr aus Trebgast und schwärmt: „Mit diesem Programm um Beethoven kann man nichts falsch machen. “

Der estnische Dirigent Paavo Järvi, Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Tonhalle-Orchesters Zürich, dirigiert die Philharmoniker. Ab 1991 erinnern die Musiker mit dem Europakonzert an ihre Gründung am 1. Mai 1882. In diesem Jahr haben sie sich das Markgräfliche Opernhaus dafür ausgesucht. Die Vorverkaufskarten im Oktober 2017 waren im Nu weg. Daher setzen einige am Samstag alles daran, an die Probenkarten zu kommen. „Ich habe mich um 6.30 Uhr angestellt“, sagt eine Bayreutherin mit Kurzhaarfrisur. „Da waren die ersten Dreißig schon da.“ Beethoven und Wagner, das seien genau ihre musikalischen Interessen, schildert die Frau, die bereits die Oper „Artaserse“ miterlebte. Für das Europakonzert sei sie beim regulären Vorverkauf nicht mehr zum Zuge gekommen. „Jetzt versuche ich es zum zweiten Mal, weil ich beim ersten Mal Pech hatte.“ Neben zwei Werken Ludwig van Beethovens werden die berühmten Wesendonck-Lieder von Richard Wagner zu hören sein.

Das spricht viele Klassik-Freunde an. Zu viele womöglich. Eine Karte im freien Verkauf für das Europakonzert würde zwischen 50 und 200 Euro kosten. Eine Generalprobenkarte ist umsonst.

Der Spruch „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ kommt einem da in den Sinn. Diesen nehmen sich die vier Freundinnen zu Herzen, die es sich mit Stühlen, Kaffee und Hörnchen auf dem Gehweg gemütlich gemacht haben. Die Kinder weg, den Hund früher ausgeführt und um sieben Uhr zur Stelle: „Wir sind stolz auf unser Opernhaus und an klassischer Musik interessiert“, sagt Heike Frankenberger. „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg eben zum Propheten“, sagt Rezida Funk. Jede der Frauen passt gut auf, dass sich niemand an ihnen vorbeidrängelt. „Die Reihenfolge muss schon eingehalten werden“, sagt Anja Kramer-Koch. „Da passen wir ganz genau auf.“

Ob sie Glück haben?

Am Ende der Warteschlange macht sich leise Frust breit. Es wird versucht, die Zahl derer, die vor einem stehen abzuschätzen. 450 Plätze soll es geben, will ein Mann über sein Smartphone im Internet recherchiert haben. Doch das Opernhaus besitzt, wenn alle Ränge geöffnet sind, sogar 520 Plätze.

Um fünf nach 10 Uhr sind alle Tickets weg. Ein Mann im roten T-Shirt hält strahlend seine Karte hoch: „Ich war um 5.15 Uhr da und bin der Vierte gewesen“, sagt er und ruft „1000 Euro für eine Karte!“. Noch ehe die Menge darüber nachdenken kann, entfernt er sich eilig über eine der Kanalbrücken. Nur, wer so früh wie er oder noch eher in der Opernstraße auf der Lauer lag, hatte eine Chance. Pro Person hätte es laut Vorankündigung für die Generalprobe am Montag, 30. April, um 18 Uhr im wiedereröffneten Markgräflichen Opernhaus zwei Karten geben sollen. 

Einige Verärgerte drängen in die Theaterkasse. Eine Frau schimpft: „Wer ist für diesen Scheiß verantwortlich?“ Alle rätseln, wie viele Karten ausgegeben wurden. 100? 150? 250? Jedenfalls keine 450, ist man sich einig. Die Mitarbeiterinnen der Theaterkasse reagieren genervt. Die Karten seien ein Geschenk der Stadt, einen Anspruch darauf gebe es nicht. Ein Teil der Tickets sei für die Mitarbeiter der Philharmoniker reserviert. Und ein Teil der Plätze sei gesperrt, weil die Aufführung live aufgezeichnet wird. Wie viele Tickets für die Bürger da waren, wüssten sie nicht. Ihr Chef Jan Kempgens verweist per Telefon ebenso an das Kulturamt. Dort arbeitet am Wochenende keiner. Der Stadt-Sprecher ist nicht erreichbar.

Kleiner Trost: Weltweit können Klassikfans im Rundfunk und im Fernsehen das Gastspiel des Orchesters dennoch miterleben.

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