Anne Klinge spielt Theater - mit ihren Füßen. Damit begeistert sie nicht nur das Publikum weltweit, sondern auch Jurys in Talentshows. Füße gehen neue Wege

Von Martin Kreklau
 Foto: red

Anne Klinge steht nicht auf der Bühne, sie liegt. Ihre Schauspieler sind die in Kostüme gehüllten Beine. Sie bilden einen Körper, dessen Hals der Knöchel und dessen Gesicht die Fußsohle ist. Auf den Zehenspitzen sitzt eine Perücke, auf der Sohle eine Gumminase. Das und ihre Hände - mehr braucht Klinge nicht, um berührende Geschichten zu erzählen. "Für viele ist Puppentheater nur der Kasper auf der Hand. Ich wollte zeigen, dass es noch viel mehr sein kann", sagt sie. Zusammen mit der Musik entstehen so lebendige Wesen auf der Bühne. "Die Zuschauer sagen mir oft, dass sie nach kurzer Zeit vergessen, dass es Füße sind."

 
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Doch wie kommt man auf die Idee, mit den Füßen Theater zu spielen? Ein spontaner Einfall? Angefangen habe alles während ihres Studiums der Theaterwissenschaft in Erlangen: Einer ihrer Dozenten war Werner Müller, Jahrgang 1943, der sein Leben dem Körpertheater gewidmet hat. Er und seine Studenten erarbeiteten gemeinsam neue Techniken. Der Körper spielte natürlich eine Rolle, aber auch Masken und Puppen. Klinge ließ alles miteinander verschmelzen, und so entstand das Fußtheater.

"Ich hatte schon immer einen starken Bezug zum Körper", sagt Klinge. Er war für sie stets ein Ausdrucksmittel. Als ehemalige Leistungsturnerin brachte sie die nötigen Voraussetzungen mit. "Außerdem konnte ich im Fußtheater alle Techniken anwenden, die ich als Schauspielerin gelernt hatte." Sie denke und fühle mit und durch ihre Figuren, spielt die Emotionen mit dem ganzen Körper. Lacht ihre Figur, lacht sie auch. Herausfordernd sei weniger die Akrobatik, mehr die Koordination. Denn die Beine und Füße müssen sich unabhängig voneinander bewegen: Während die eine Figur noch spielt, muss sich die andere beispielsweise schon umziehen. "Das ist dann wie bei einem Pianisten, der mit seinen Händen jeweils etwas anderes spielen muss. Da müssen beide Hirnhälften sozusagen getrennt voneinander funktionieren", sagt Klinge und lacht.

Zunächst lief die neue Kunstform nur nebenher, denn Klinge ließ sich zur Regisseurin ausbilden, unter anderem bei Frank Castorf. Sie arbeitete an deutschen und österreichischen Theatern, inszenierte Stücke am Landestheater in Coburg und feierte Erfolge. Doch auch der Nebenjob lief gut: Mit ihrem Fußtheater wurde sie zu Kleinkunstfestivals eingeladen, nahm an Straßentheater-Veranstaltungen teil, spielte in Kindergärten und gewann Preise. "Ich lege mich nicht gerne fest und genieße die Abwechslung. So muss man sich immer wieder neu erfinden", sagt Klinge. Für sie war und ist es spannend, mithilfe der Körperspannung Emotionen zu vermitteln und Geschichten zu erzählen. "Obwohl es neben der Regie lief, wollte ich eine handwerklich stabile, ausgefeilte Technik präsentieren. Ich bin noch heute bestrebt, das Fußtheater zu perfektionieren", erklärt sie. Ihre Engagements wurden indes immer größer. Als sie schließlich in der Fernsehsendung "Puppenstars" auftrat, gelang ihr der Durchbruch.

Und es ging rasant weiter: Im vergangenen Jahr baten sie die Produzenten der Show "Britain's got talent", in ihrer Sendung aufzutreten - der englischen Version des "Supertalents". Dass die Ausstrahlung weltweit beachtet werden würde, ahnte Klinge nicht. Doch die Jury war von ihrer Aufführung begeistert - ebenso das Publikum. Das Video des Auftritts wurde bei Youtube bislang über 17 Millionen Mal angesehen. Insgesamt kommen Klinges Videos auf über 40 Millionen Klicks. Es folgten Auftritte in Frankreich, Australien sowie Japan. Nachdem Klinge schon in Frankreich, England und der Slowakei aufgetreten ist, wird sie heute, 20.15 Uhr (RTL), auch in der deutschen Version des "Supertalents" zu sehen sein.

Inzwischen tritt Klinge bis zu sechs Mal die Woche auf. Da braucht sie kein zusätzliches Training. Neben der akribischen Fußpflege mit Hautcreme ist nur eines essenziell: die Yoga-Übungen, ehe es auf die Bühne geht. "Das halte ich wirklich strikt durch, damit ich während des Auftritts keine Krämpfe bekomme", sagt Klinge. In ihrer Freizeit treibt sie viel Sport, um sich fit zu halten - egal ob Tennis, Skifahren oder Wandern. Nicht nur beim Sport achtet sie auf stabile Schuhe: High Heels haben bei ihr nichts verloren - die Verletzungsgefahr ist zu groß. Bislang ist sie verschont geblieben. Wenn sie gerade nicht in der Welt herumreist, arbeitete sie gerne in Haus und Garten oder genießt die gemeinsame Zeit mit ihren beiden Kindern. Ihre Tochter teilt die Leidenschaft für das Fußtheater - sie war bereits beim Altstadtfest in Nürnberg auf der Bühne gestanden. Entschuldigung: gelegen.

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