Fünf Alpenpässe in sieben Stunden

Der angenehmere Teil des Rennens: Oliver Popp in den Dolomiten auf einer Abfahrt. Foto: red Foto: red

Wo im Winter Skispringer von den Schanzen ins Tal schweben oder Skilangläufer wetteifern, findet alljährlich im Frühsommer ein Radrennen der besonderen Art statt: Der kleine Ort Predazzo im Val di Fiemme ist dann – heuer ist es das 10. Mal – Austragungsort des Marcialonga Granfondo. Dabei gilt es, in den Trentiner Dolomiten 135 Kilometer und 3279 Höhenmeter zu meistern. Die fünf Alpenpässe des Kurses sind bis zu 15 Prozent steil – eine sportliche Herausforderung. Oliver Popp (DAV Bayreuth) stellt sich ihr und meistert sie in knapp sieben Stunden.

 
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Wollen Ausländer in Italien Radrennen bestreiten, benötigen sie eine Tageslizenz – die nur erteilt wird, wenn ein Arzt dem Sportler bescheinigt hat, gesund zu sein. Für ehemalige Profis und aktuelle Amateure, wie sie auch in Predazzo am Start stehen, kein Problem.

So mancher Hobbyfahrer wird, wenn er die erste Hürde meistert, mit den „Cut-Off-Zeiten“ Probleme bekommen: Diese liegen bei vier Stunden für 60 Kilometer und bei sechs Stunden für 100 Kilometer. Wer die nicht erreicht, wird aus der Wertung genommen. Zudem schließt das Ziel acht Stunden nach dem Start. Allzu viel Zeit sollte man sich bei den Passanstiegen also nicht lassen . . .

400 Fahrer am Start

Dauerregen und Temperaturen von 14 Grad an den Tagen vor dem Rennen lassen so manchen angemeldeten Teilnehmer daheim bleiben. Vor dem Start ist es dann zumindest trocken. Für etwa 400 Fahrer wird um 8 Uhr bei elf Grad der Startschuss abgefeuert.

Die ersten 20 Kilometer verlaufen flach. Das Hauptfeld ist mit Tempo 34 unterwegs, die Spitzengruppe der Elitefahrer – der Sieger wird nach 4:10 Stunden wieder zurück sein – hat sich da bereits abgesetzt. Der erste Anstieg: hinauf zum Monte San Pietro, insgesamt neun Kilometer, die ersten vier davon relativ steil. Doch die Kraft ist bei Popp noch da.

Verpflegung im Stand

Nun wartet der Passo di Lavazè. Popp muss – wie andere Teilnehmer auch – bei der Fahrt bis auf 1818 Meter Höhe schon etwas „beißen“, da die durchschnittliche Steigung bei zwölf Prozent liegt. Auf der Passhöhe die erste Verpflegungsstelle: Wasser, Elektrolytgetränke, Cola und Tee stehen bereit, dazu Trockenfrüchte, Bananen, Schokolade, Kekse. Die meisten stellen ihr Rad ab und verpflegen sich im Stehen.

In engen Haarnadelkurven geht es kurz darauf hinunter Richtung Val di Fiemme. In Stave und Tesero befinden sich Hunderte von Zuschauern an der abgesperrten Strecke und jubeln den Fahrern zu. Es bilden sich Gruppen, in denen die Führungsarbeit wechselt; im Windschatten lassen sich Kräfte sparen.

Das ist auch nötig, denn bald steht das Königsstück der Rundfahrt auf dem Programm: der elf Kilometer lange Anstieg zum Passo di San Pellegrino, gespickt mit zahlreichen Spitzkehren und einer maximalen Steigung von 14 Prozent. In Moena, am Eingangstor zum Val di Fassa, geht es los. Der traumhafte Ausblick auf die Bergzacken der Latemar-Riesen und des Rosengartens auf der gegenüberliegenden Talseite bleibt den meisten Sportlern verborgen; sie haben nur noch den „Tunnelblick“ für den Kampf gegen den Berg.

Erinnerung an Jan Ullrich

Oliver Popp kämpft sich mit zwei Mitstreitern Meter um Meter, Kurve um Kurve den Pass hinauf. Unweigerlich kommt ihm der fast 20 Jahre alte Spruch von Udo Bölts zum angehenden Tour-de-France-Sieger Jan Ullrich in den Sinn: „Quäl dich, du Sau!“

Nach etwa hundert Rennkilometern ist die Passhöhe auf 1947 Metern erreicht. Statt Schneckentempo nun eine rasende Talfahrt mit bis zu 70 km/h. Aber ein Pass ist noch zu erklimmen: die sieben Kilometer des Passo di Valles, auch schon Teilstück beim Giro d’Italia. Hier beträgt die maximale Steigung zehn Prozent, ehe der Radfahrer auf 2032 Metern Höhe angekommen ist.

Die Kräfte schwinden nun langsam aber stetig, doch Adrenalin und Endorphine halten Popp im Rennen. Er kann sich noch einmal mit externer Energie versorgen. Doch nun öffnet der Himmel doch seine Schleusen. Der starke Regen macht die 25 Kilometer lange Abfahrt bis zum Ziel zu einer gefährlichen Wasserschlacht auf glitschiger Fahrbahn.

Nach 6:57:45 Stunden erreicht Popp völlig durchnässt, mit den Kräften am Ende und von den Strapazen des Rennens gezeichnet, das Ziel. Eine Medaille ist der Lohn. Zum Stolz über die sportliche Leistung kommt nun noch der Genuss, in traumhafter Umgebung unterwegs gewesen zu sein.

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