Fünf Fakten über Hans Knappertsbusch

Von Florian Zinnecker
Meister und Meisterenkel: Der Dirigent Hans Knappertsbusch (Mitte) war für viele Bayreuths "Gralshüter". Unser Bild zeigt ihn mit den beiden Wagnerenkel Wieland (rechts) und Wolfgang. Bild: Archiv/Bernd Mayer Foto: red

Vor 50 Jahren starb Hans Knappertsbusch: Fünf Fakten über den vielleicht wichtigsten Dirigenten in der Geschichte der Bayreuther Festspiele. Und dazu ein paar der schönsten Anekdoten.

 
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Der letzte Akkord

Es gibt einen Mitschnitt der Aufführung, mit der Hans Knappertsbusch seine Laufbahn beendete, ohne dies zu wissen: „Parsifal“, 13. August 1964, im Bayreuther Festspielhaus. George London sang Amfortas, Jon Vickers die Titelpartie. Und wenn man sich die Aufnahme anhört, erfasst einen eine merkwürdige Beklommenheit, die man sonst nur von alten Fotos kennt:

Die Takte, die man da hört, sind die letzten in Knappertsbuschs Dirigentenleben, nach dem Schlussakkord würde er nie mehr ans Dirigentenpult zurückkehren, das alles schwingt mit, obwohl Knappertsbusch, damals 76, nichts davon ahnte. Und dass er seine Musiker den allerletzten Akkord kein bisschen länger aushalten ließ als unbedingt nötig, darf man mit diesem Wissen ehrenvoll finden oder traurig oder auf andere Art aussagekräftig. Aber man muss nicht.

Wielands Kontrahent

Dreizehn Jahre vorher, im Juli 1951, hatte Knappertsbusch mit derselben Oper in der selben Inszenierung die ersten Bayreuther Festspiele der Nachkriegszeit eröffnet – damals mit Wolfgang Windgassen als Parsifal und Martha Mödl als Kundry. Überhaupt nimmt Knappertsbusch am Pult des Bayreuther Festspielorchesters eine Sonderstellung ein. Nicht nur deshalb, weil seine Aufführungen (von historischen Raritäten abgesehen) zu den ersten gehören, die – ganz oder in Ausschnitten – als Tonaufnahmen erhalten sind. Knappertsbusch hatte in Bayreuth von 1909 bis 1912 Hans Richter assistiert und verstand sich deshalb nicht als Interpret von Wagners Werken, sondern als Bewahrer der „richtigen“ Zeitmaße, also: der „wahren“ Art, Wagner aufzuführen.

Sein Nachfolger als „Parsifal“-Dirigent, nach einem Übergangsjahr, war Pierre Boulez, der radikale Erneuerer „Was hilft es, auf der Bühne neue Wege zu gehen, wenn im Geist des vorigen Jahrhunderts musiziert wird“, rief ihm Wieland Wagner nach. Knappertsbusch wiederum hielt dessen Regie-Stil für einen unverzeihlichen Irrtum und erklärte, wenn er nach Bayreuth komme, dann ausdrücklich: trotzdem.

Der Krawattl-Tenor

Beigesetzt ist Hans Knappertsbusch auf dem Bogenhausener Friedhof, wo auch die Schriftsteller Oskar Maria Graf und Erich Kästner liegen, außerdem Helmut Dietl, Helmut Fischer und Bernd Eichinger, der Filmemacher Rainer Werner Fassbinder und der Schauspieler Rolf Boysen.

Begraben aber ist Hans Knappertsbusch unter einem Berg an Anekdoten und Zitaten, die seine Zeitgenossen, Bewunderer und Gegner gesammelt und verbreitet haben, um ihn ein bisschen greifbarer, irdischer, menschlicher zu machen. Und um ihn herunterzuholen von dem Thron, auf den ihn zum Beispiel der Münchner Musikkritiker Karl Schumann setzte. „Hans Knappertsbusch ragte wie ein Recke in unser, ihm fremdes Jahrhundert“, schrieb Schumann. „Er war Imperator, Spielmann und Grübler in einem. Ein Pultromantiker, ein Musiker der genialen Improvisation, der treue Kurwenal Wagners, Beethovens, Bruckners und Brahms’.“

Diesen verbalen Kränzen standen Geschichten gegenüber, in denen Knappertsbusch den Tenor Wolfgang Windgassen einen „Krawattl-Tenor“ nannte und Martha Mödl eine „alte Schleppziege“, in denen er im Künstlerrestaurant Eule erklärte: Seitdem er Wieland und Wolfgang Wagner kennen gelernt habe, habe er einen Eindruck davon, was ihr Großvater für ein Arschloch gewesen sein müsse. Legendär sind die „Parsifal“-Aufführungen, in denen am Ende eine Gralstaube so vom Himmel schwebte, dass nur Knappertsbusch, nicht aber das Publikum sie sehen konnte – er, der Traditionalist, wollte abstrakte Interpretationen nicht hinnehmen.

Als in der Nachbarschaft von seinem Bayreuther Quartier in der Nacht ein Hund bellte, soll er den zuständigen Stadthauptsekretär angewiesen haben, das Tier samt Frauchen für die verbleibende Festspielzeit auf Reisen zu schicken. Und als, einige Jahre vorher, auf Empfehlung von Hermann Göring ein Angehöriger der Reichsluftwaffe bei Knappertsbusch vorsang, weil er nach Görings Ansicht eine schöne Stimme habe, entgegnete Knappertsbusch, er werde Göring zum Dank seinen musikalischen Assistenten als Luftwaffengeneral empfehlen.

Keine Karriere im Staatsbetrieb

Auch an Äußerungen wie dieser lag es, dass Knappertsbusch vom NS-Regime als politisch unzuverlässig eingestuft und – weil es nicht viele Dirigenten vergleichbaren Formats gab – zwar am Pult, aber nicht in hohen Positionen geduldet wurde. 1922 war Knappertsbusch zum Direktor der Bayerischen Staatsoper in München ernannt worden, mit Vertrag auf Lebenszeit; dieser Vertrag endete 1934.

Aber: Noch im Amt hatte sich Knappertsbusch an die Spitze einer Bewegung gestellt, die öffentlich gegen eine Rede von Thomas Mann zum 50. Todestag Wagners protestierte – ein Schritt, der nicht politisch gemeint gewesen sein mag, aber durchaus politisch interpretierbar ist. Und so ging es Knappertsbusch wie einer Reihe anderer Künstler, die sich mit der politischen Lage arrangiert hatten: Ihnen blieb sowohl in den Jahren vor als auch nach 1945 eine Karriere im Staatsmusikbetrieb verschlossen. Was Knappertsbuschs Erfolg keinen Abbruch tat.

Dirigat mit kleinen Gesten

Die „wahren“, „richtigen“ Tempi, die Knappertsbusch für sich reklamierte, waren im Fall von Wagner vor allem: breit. „Manchmal wünschte ich mir, dass er über manche Dinge schneller hinweg ginge, um besser atmen zu können“, sagte die Sopranistin Astrid Varnay. „Jedes Mal, wenn ich fertig war mit einer Rolle wie Brünnhilde oder Isolde, hatte ich Rippenweh am nächsten Tag. Und ich fluchte innerlich, aber Jahre später war ich ihm dankbar dafür, denn das entwickelte eine Muskulatur in mir, von der ich sagen kann: Das war eine Knappertsbusch-Muskulatur.“

Knappertsbusch war kein Mann der exaltierten Bewegungen, er dirigierte mit kleinen Gesten, oft nur mit Blicken, und auch in der Probenplanung war er höchst ökonomisch. „Meine Herren, Sie kennen das Stück, ich kenne das Stück, auf Wiedersehen heute Abend“, dieses Zitat ist legendär, und weil es immer gutging, war das Resultat: eine unfassbare Autorität. Und ein Ruf, der bis heute nachhallt – aus einer Zeit, von der mindestens Bayreuth heute noch zehrt.

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