Sie haben mal erzählt, dass Ihnen solche Ehrungen gar nicht so recht seien...
Hohe Auszeichnung für Eberhard Wagner (78): Der Mundartforscher, Kabarettist und Autor erhält den Frankenwürfel. Wir sprachen mit ihm. Und erfuhren viel Widersprüchliches über Ehrungen, über Mundart und Ehrungen wegen der Mundart. Der Franke, so stellten wir danach fest, ist nicht nur ein Gewürfelter, er ist auch nicht immer eins mit sich selbst.
Sie haben mal erzählt, dass Ihnen solche Ehrungen gar nicht so recht seien...
Eberhard Wagner: Recht, na ja, das stimmt nicht so ganz. Sagen wir’s so: Ich bin nicht so begeistert.
...was nun zwei Gründe haben kann: Entweder, dass Sie sehr bescheiden sind oder dass Ihnen der Aufwand einer solchen Ehrung zu groß ist.
Wagner: Beides ein bisschen. Ich war in der Schweiz, zwei Wochen im Oktober. Und als ich zurückkam, da war die Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Nein, nein, dachte ich mir, schon wieder ein Termin. Und bei einem Termin bleibt es gar nicht, da kommen ja auch noch die Termine bei der Zeitung, bei der Mainwelle, beim Bayerischen Rundfunk und weiß der Teufel. Ich weiß halt gerade bei dem Preis nicht, ob das so sinnvoll ist. Ich habe fünf Kulturpreise bekommen, ich habe also ein bisschen Übung darin, wie man das akzeptiert. Bei den anderen Preisen gibt’s auch ein Geld. Und da gibt es nur einen Würfel (lacht).
Wo stellen Sie ihn denn hin?
Wagner: Irgendwio wird er schon stehen können. Ich will das nicht gering schätzen. Es ist halt so, in Franken hat man eine komische Tendenz, nachdem man sonst in Bescheidenheit lebt, solche Anfälle von Selbstbewusstseinsfindung zu erleben. Ob das so geht, weiß ich auch nicht. Die Preisträger wechseln ja auch ganz schön. Da sind sogar Politiker dabei. Ich weiß auch gar nicht, wer die beiden anderen sind, die mit mir ausgezeichnet werden.
Haben Sie etwas gegen die Gesellschaft von Politikern?
Wagner: Nein. Ich weiß halt nicht – es wirkt ein bisserl krampfhaft. Wie ich es erfahren hatte, habe ich gleich Freunde gefragt. Die sagten mir allerdings, nein, das musst das machen. Du bist für die Studiobühne wichtig, und deswegen musst du’s annehmen. Das war auch beim Bundesverdienstkreuz so. Da hatte mich Bernd Mayer vorgeschlagen, weil man, wenn man es bekommen hat, selber jemanden vorschlagen kann. Dem hatte ich damals auch gesagt, dass ich persönlich kein Interesse habe, aber dafür, dass man an die Öffentlichkeit bringt, was wir machen.
Und nunmehr stellen Sie sich der Preisverleihung wegen der Studiobühne.
Wagner: Ja, nicht nur. Ich finde auch, dass für die Mundartforschung und die Mundart als solche etwas getan werden muss. Über die wird ja sehr viel geredet, wobei, wie wir ja wissen, sie immer weniger beherrschen. Viele können zwar die harten Konsonanten weich aussprechen. Das weiß ich, weil ich in einem Chor singe, wo wir gerade eine Messe mit lateinischen Wörtern singen. Und wenn unsere Leute „Badre“ statt „Patre“ singen, dann schimpft unser an sich selber Mundart sprechender Chorleiter auch und sagt, das geht nicht. Was die Laute betrifft, da ist die Mundart noch ganz gut vorhanden. Wo es nicht so gut aussieht, das ist beim Wortschatz. Deswegen habe ich ja auch Wörterbücher verfasst. Das ist heute wichtig: dass man wieder auf die Bedeutung gewisser Wörter hinweist. Ob es mir gelingt, weiß ich nicht.
Geehrt werden Sie aber für etwas anderes: Widerspenstigkeit, Wendigkeit …
Wagner: ...und Witzigkeit, ja, ja.
Wo sind Sie denn widerständig?
Wagner: Indem ich auf die Berechtigung von Mundart hinweise. Und politisch bin ich widerständig auch gegen die neue Rechte (lacht).
Wo haben Sie Ihre Wendigkeit bewiesen?
Wagner: Es gibt drei Dinge, die den Charakter eines Menschen ausmachen, der gewürfelt ist. Ich habe das Wort „gewürfelt“ im großen deutschen Wörterbuch von Grimm nachgeschaut, und da sind ähnliche Bedeutungen dafür angegeben. Derjenige, der das Wort erfunden hat, diesen Begriff, das war Hans Max von Aufseß, dieser Autor aus der fränkischen Schweiz. Der hat mal in einem Aufsatz geschrieben: Der Franke ist ein „Gewürfelter“. Das haben einige Leute gelesen und zum Anlass genommen, diesen Würfel zu stiften.
Was steht denn nun im Grimmschen Wörterbuch zu „gewürfelt“?
Wagner: Tüchtig, so etwas ähnliches wie wendig und witzig, so was in die Richtung. Tüchtig steht allerdings nicht in der Definition des Frankenwürfels. Ich habe das unter einem Stichwort zusammengefasst, das in Franken eigentlich jeder versteht. Dem „Fregga“. Der „Fregga, der elende“ macht eigentlich schlimme Sachen, aber er wird auch bewundert, weil er so wendig und witzig ist und weil er sich dinge traut, die sich andere nicht trauen. Ein „Fregga“ kann beispielsweise jemand sein, der Erfolg bei den Frauen hat, das aber nicht so ganz fair macht. Da sagt man dann „Fregga, elenda“, wobei dann auch heimliche Bewunderung mitschwingt.
Ich dachte „Fregga“ sei ein Wort für kleines Kind.
Wagner: Das kann es auch sein. Es kann auch negative Seiten haben, aber meistens wird es im positiven Sinne gebraucht.
So wie ein Hund, ein ganz verreckter im Oberbayerischen
Wagner: Das kommt ursprünglich aus dem bäuerlichen Bereich. Das „verrecken“ bezieht sich ursprünglich auf Ferkel. Eine Sau kann acht Ferkel säugen. Bekommt sie neun, ist eines davon zum Sterben verurteilt, weil es eben keine Milch bekommt. Überlebt es aber doch, sagt man So ein Fregga, hat der’s doch geschafft. Da sieht man auch gleich, wie die landwirtschaftliche Sprache Basis der Mundart ist.
Erkennen Sie sich darin wieder, in diesem neunten Ferkel?
Wagner: Würde ich schon sagen, ja. Das möchte ich sogar, dass die Leute sagen, so ein Fregga, jetzt bekommt der schon wieder einen Würfel.
Also freut Sie’s doch.
Wagner: Ja natürlich freut mich das. Ich sage ja nicht, dass es mich nicht freut. Ich möchte nur nicht Hurra rufen. Aber das ist schon in Ordnung. Was ich noch sagen wollte...
Bitte, nur zu.
Wagner: Dass die Mundart so in Gefahr geraten ist, liegt hauptsächlich in der Veränderung der sozialen Strukturen auf dem Land. Mundart ist keine Bauernsprache, aber die Basis hat sie eben in der landwirtschaftlichen Arbeit. Wir haben kaum mehr Bauern, und die paar, die wir haben, sind Freizeitbauern, die machen das abends und gehen tagsüber woanders schaffen. Die fahren abends mit Licht auf den Äckern rum. Es ist nichts dagegen einzuwenden, aber damit sind eben auch die Familienstrukturen verloren, die man früher auf dem Land gehabt hat. Der Bauer war der Chef, und die Mägde, die Knechte und die Familie hörten auf den. Die Töchter wurden verheiratet, die wurden nicht gefragt. Und das alles hat diese Sprache hervorgebracht, und das ist weg, und dadurch wird es schwierig für die Mundart.
Dann wird man sie aber auch nicht am Leben erhalten können, auch nicht mit Hilfe von Zwangsheiraten.
Wagner: Natürlich kann man das nicht, ich stelle nur fest, dass es so ist.
Dennoch: Schreiben Sie noch Stücke in Mundart?
Wagner: Ja, ich versuch’s.
Was wird als nächstes von Ihnen geschrieben werden?
Wagner: Ich habe nun schon lange nichts mehr geschrieben. Ende des Monats, ich glaub am 27., machen wir was, aber nur als eine Lesung. Das ist vielleicht auch eine Geschichte, die muss ich Ihnen erzählen, die hängt mit Hans Walter Bottenbruch zusammen. Also, der Hans Walter Bottenbruch ist mal für mich eingesprungen, in meinen Jean-Paul-Stück „Der Legationsrat“. Und dann hat er immer auf mich eingeredet, „du musst mal ein Stück für mich schreiben“. Ich hab gesagt ja ja und hab mir gedacht, der vergisst das schon wieder. Aber weit gefehlt, er hat es nicht vergessen. Kürzlich kam er wieder daher, und da hatte ich gerade angefangen, mich mit einem Stück zu beschäftigen, mit einer Mundart- und zwei hochdeutschen Rollen. Und da hätte er dann mitgemacht. Jetzt ist die Sache die, dass er einen Unfall gehabt hat. Und jetzt machen wir das als Lesung, und er ist auch dabei. Wir spielen an der Studiobühne aber auch weniger Mundart, weil wir voriges Jahr die Leute gefragt haben, was sie gerne sehen und hören möchten. Und da kamen nur fünf Prozent für Mundart raus. Die Erwartung des Publikums hat sich geändert. Es war auch schon immer so, dass das Mundartpublikum etwas anders als das andere war. Unsere Lesung soll Spaß machen, ich will damit nicht die Welt verändern.
Und wo liegt Ihre Wendigkeit?
Wagner: Die habe ich in meinem Berufsleben gezeigt. Ich bin 1967 als Redaktor an das ostfränkische Wörterbuch gekommen. Dieses Wörterbuch ist angegliedert an die Bayerische Akademie der Wissenschaften, eine Riesenorganisation. Und wie ich da angefangen habe, habe ich gleich mal gesagt, für dieses Gebiet – Ober-, Unter- und Mittelfranken – sind das zu wenige Mitarbeiter. Ich war ja fast der einzige, ich, eine Sekretärin und ein paar Werksstudenten. Das hätte mich beinahe den Job gekostet. Weil ich das nicht sagen durfte. Meine Wendigkeit habe ich dann gezeigt bei meinen vielen, vielen Vorträgen. Da habe ich dann immer gesagt. „Ich darf’s eigentlich nicht sagen, aber...“ Und dann habe ich’s eben doch gesagt. Ich habe da öfter mal ein bisschen tricksen müssen. Auch wie ich meine Arbeit nach Bayreuth geholt habe. Das Institut war ja früher in Erlangen, ich aber war an der Studiobühne und habe bei meiner Mutter in Bayreuth gewohnt. Da habe ich auch ein bisschen getrickst und habe Wendigkeit bewiesen.
Und um welche Art von Witzigkeit ging’s?
Wagner: Das weiß ich gar nicht. Es war so. Als ich zurück war aus dem Urlaub, bekam ich von der Pressestelle eine Bitte um einen Termin bei der Regierungspräsidentin. Wir haben uns eine halbe Stunde unterhalten, und ich habe gemerkt: Viel weiß die nicht von mir. Aber dass ich Kabarett gemacht habe, das wusste sie. Und als ich mich verabschiedet habe, sagt sie zu mir: Na ja, halten Sie sich den 11. November mal frei. Sie wissen ja, was das heißt. Zwei Tage später bekam ich dann den Anruf, dass ich den Würfel bekomme, mit der Bitte, nicht darüber zu reden. Es ist alles Zeitverschwendung, denke ich manchal.
Warum fahren Sie dann hin?
Wagner: Weil ich schon zugesagt hab.
So können Sie Werbung für Dialekt machen.
Wagner: Na ja, das mache ich. Es hat schon positive Seiten. Aber ich bin doch eigentlich Rentner.
Dann haben S’ ja Zeit.
Wagner: Ja, das schon. Aber die Kraft manchmal nicht mehr.
Wir beide haben etwas gemeinsam. Wir sind beide nicht in Franken geboren.
Wagner: Ja, das stimmt. Ich bin ein Thüringer. Wir sind aber schon 45 gekommen. Da war ich fünf. Da lernt man Dialekte noch.
Haben Sie sich deswegen so auf Dialekte konzentriert, weil Sie sich eine neue Heimat gewinnen wollten?
Wagner: Ja, so in etwa. Weil man nicht dazu gehört. Ich habe auf einem Dorf in der Nähe von Creussen gewohnt, als Flüchtlinge auf einem Bauernhof. Der Sohn der Familie war ein echter Bauer. Er und die Kinder in der Schule haben alle Dialekt gesprochen. Und die haben zu uns gesagt: Was wollt ihr denn überhaupt da? Ihr könnt ja nicht einmal plaudern. Das war die Motivation, dass man’s lernt, ob man will oder nicht. Bewusst macht man das nicht. Mein Vater war norddeutsch geprägt, der fand das grauenhaft. Später war ich in einer Straßenclique. Und die sagten: Wie sprichst du denn? Du sprichst ja wie ein Bauer! Also, ganz ohne Schwierigkeiten ging das nie. Dass das mein Beruf werden würde, hätte ich damals noch nicht erwartet .
Nun sind Dialekte ein regionales Phänomen. Und Sie waren ja schon seit Ihrer Zeit an der Universität in der Dialektforschung. Wird einem das nicht ab und zu langweilig?
Wagner: Das wird einem schon langweilig. Das war ja auch der Grund, warum ich an der Studiobühne viel gemacht hab. Das war übrigens bei den Kollegen unmöglich – das macht man als Wissenschaftler nicht. So etwas und Mundartgedichte machen. Aber das hat sich dann eines aus dem anderen ergeben. Diese Ecke, in der ich aufgewachsen war und Mundart gelernt hatte, die war frei. Also ging ich da hin. Es war mir wichtiger, hundert Orte zu befragen als hundert Bücher zu lesen und das hunderterste dann zu schreiben. Es war ein bisschen wie Fügung.
Sie sind schon ein Fan der Mundart.
Wagner: Was heißt da Fan? Das ist eine Sprache, nicht mehr, nicht weniger. Es gibt Leute, die finden Mundart das Größte. Das würde ich nie sagen. Mundart hat manchmal Vorteile gegenüber der Hochsprache. Das gilt aber auch umgekehrt. Jetzt haben wir ja bald Reformationsjubiläum...
...mit Luther, der dem Volk aufs Maul geschaut haben soll.
Wagner: Das sagt man so. Wenn man genau hinschaut, merkt man, dass er vor allem aus der Wittenberger Kanzleisprache geschöpft hat.
Das mit dem "aufs Maul geschaut" bezieht sich wahrscheinlich eher darauf, dass er die Bibel in die Lebenswirklichkeit der ganz normalen Leute übersetzt hat.
Wagner: Ja, freilich. Er hat nicht Wort für Wort übersetzt, sondern nach dem Sinne. Das ist seine große Leistung, die bis heute durchgeht. „Aufs Maul geschaut“ - so heißt übrigens auch die kleine Sendung, die ich bei Radio Mainwelle mache. Was bei Mundartforschung übrigens noch wichtig ist: Man trifft auf Wörter, die zum Beispiel aus dem Mittelhochdeutschen stammen. Da können wir der Forschung wichtige Auskunft geben und zum Beispiel der Geschichtswissenschaft helfen.
ZUR PERSON: Eberhard Wagner, geboren 1940 in Thüringen, ist Dialekt-Forscher und -Dichter. In Bayreuth und seiner Umgebung machte er sich vor allem bei der Studiobühne einen Namen. Der hier abgedruckte Text ist die gekürzte Fassung eines Interviews, das Sie im Internet in ganzer Länge finden.