Der Staatsanwalt lehnt sich also weit aus dem Fenster, wenn er von Suizid spricht?
Wolfersdorf: Für eine suizidale Handlung brauchen Sie eine Vorgeschichte. Man müsste schauen, ob der Copilot psychisch auffällig war, ob es irgendein Problem gab. Das müsste man prüfen. Als suiziologischer Gutachter würde ich verlange, dass man eine Drogenanalyse macht. Man müsste auch einen Hirnscan machen, um einen Schlaganfall auszuschließen. Oder sich die Laborwerte anschauen, um einen Herzinfarkt zu erkennen. Das alles wird sicher nicht mehr möglich sein, also wird man sich auf die Vorgeschichte des Copiloten stützen müssen: Gab es Auffälligkeiten, die auf eine anhaltende und insbesondere eine akute psychische Problematik hinweisen würden? Was veranlasst einen Menschen, ihm völlig unbekannte, aber anvertraute Menschen mit in den eignen Tod zu reißen? Das könnte nur aus der Lebensgeschichte verständlich werden; man nennt das dann psychologische Autopsie. In diese Richtung gehen jetzt wohl die Überlegungen. Aber es ist eine Hypothese, die der Belegung harrt.
Wie hätte die Fluggesellschaft Verdacht schöpfen können?
Wolfersdorf: Die Lufthansa macht ja sehr strenge ärztliche Untersuchungen. Andererseits kann jemand, wenn er zum Beispiel Amphetamine einwirft, sehr kurzfristig unter Verfolgungsideen leiden. Eine schwere depressive Episode kann sich auch innerhalb weniger Tage entwickeln. Das kann man nicht ein halbes Jahr im Voraus mit einem Persönlichkeitstest erfassen. Mich ärgert, dass sich der Staatsanwalt sehr rasch weitgehend auf die Suizid-Deutung festgelegt hat. Sie ist grundsätzlich nicht falsch, aber sie ist eine von mehreren möglichen.
Das Gespräch führte Roman Kocholl