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Professor Wolfersdorf hält auch eine Angstpsychose des Copiloten für möglich Flugzeugabsturz muss kein Suizid gewesen sein

Chefarzt Manfred Wolfersdorf äußert sich über den Absturz der Germanwings-Maschine. Foto: Wittek Foto: red

Mit der Germanwings-Maschine absichtlich auf Todeskurs? „Es sieht so aus, als ob der Copilot das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz gebracht und so zerstört hat“, sagte Staatsanwalt Brice Robin am Donnerstag in Marseille. Doch dies sei nur eine der möglichen Deutungen, entgegnet Prof. Manfred Wolfersdorf, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, im Kurier-Interview.

 
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Herr Wolfersdorf, welche waren Ihre ersten Gedanken, als sie von dem Flugzeugabsturz in Südfrankreich gehört haben?
Manfred Wolfersdorf: Spontan ging mir die Tragik des Ereignisses durch den Kopf. Dann dachte ich an die Schüler und daran, dass sich das Unglück wohl nicht befriedigend aufklären lassen wird. Als ich gestern von der Suizidfrage und der von innen abgeschlossenen Tür gehört habe, habe ich gedacht, der Copilot wird doch nicht akut paranoid gewesen sein.

Der Staatsanwalt sprach davon, dass der Copilot das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz gebracht habe.
Wolfersdorf: Ich bin da sehr vorsichtig, ob es sich wirklich um eine erweiterte Suizidhandlung handelt. Das muss man erst mal belegen. Der Staatsanwalt hat eine Deutung abgeliefert, auf die man kommen kann, aber man muss auch noch ein paar andere Dinge ausschließen.

Was versteht man denn generell unter erweitertem Suizid?
Wolfersdorf: Die klassische erweiterte suizidale Handlung ist etwa der Fall der depressiven Mutter, die ihr Kind mit in den Tod nimmt. Das hat es immer schon gegeben. Oder: Ein Vater, der eine paranoide Psychose hat, bringt seinen Sohn um und dann sich selbst. Auch das kennen wir in der Psychiatrie.

Für wie wahrscheinlich halten Sie den erweiterten Suizid im Fall des Copiloten?
Wolfersdorf: Ich halte das für eine These, die möglich ist. Es sind aber auch andere Dinge möglich. Der Copilot könnte eine akute psychotische Krise gehabt haben, also sich verfolgt gefühlt haben. So etwas gibt es. Er sperrt sich ein, weil er sich verfolgt fühlt, er reagiert nicht auf die Anrufe des Towers und kauert auf dem Boden herum, um sich vor Verfolgung zu schützen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass jemand unter Amphetamin-Einfluss psychotisch ist, dass er Drogen genommen hat. Das müsste man alles ausschließen. Doch wird man dies nicht eindeutig feststellen können.

Auf dem Stimmenrekorder war bis zuletzt tiefes Atmen zu hören. Was kann man daraus schließen?
Wolfersdorf: Auch als Bewusstloser kann man schwer atmen. In diesem Fall wäre es kein erweiterter Suizid. Dann wäre die Mitnahme von anderen Menschen in den Tod ein Unfall.

Der Staatsanwalt lehnt sich also weit aus dem Fenster, wenn er von Suizid spricht?
Wolfersdorf: Für eine suizidale Handlung brauchen Sie eine Vorgeschichte. Man müsste schauen, ob der Copilot psychisch auffällig war, ob es irgendein Problem gab. Das müsste man prüfen. Als suiziologischer Gutachter würde ich verlange, dass man eine Drogenanalyse macht. Man müsste auch einen Hirnscan machen, um einen Schlaganfall auszuschließen. Oder sich die Laborwerte anschauen, um einen Herzinfarkt zu erkennen. Das alles wird sicher nicht mehr möglich sein, also wird man sich auf die Vorgeschichte des Copiloten stützen müssen: Gab es Auffälligkeiten, die auf eine anhaltende und insbesondere eine akute psychische Problematik hinweisen würden? Was veranlasst einen Menschen, ihm völlig unbekannte, aber anvertraute Menschen mit in den eignen Tod zu reißen? Das könnte nur aus der Lebensgeschichte verständlich werden; man nennt das dann psychologische Autopsie. In diese Richtung gehen jetzt wohl die Überlegungen. Aber es ist eine Hypothese, die der Belegung harrt.

Wie hätte die Fluggesellschaft Verdacht schöpfen können?
Wolfersdorf: Die Lufthansa macht ja sehr strenge ärztliche Untersuchungen. Andererseits kann jemand, wenn er zum Beispiel Amphetamine einwirft, sehr kurzfristig unter Verfolgungsideen leiden. Eine schwere depressive Episode kann sich auch innerhalb weniger Tage entwickeln. Das kann man nicht ein halbes Jahr im Voraus mit einem Persönlichkeitstest erfassen. Mich ärgert, dass sich der Staatsanwalt sehr rasch weitgehend auf die Suizid-Deutung festgelegt hat. Sie ist grundsätzlich nicht falsch, aber sie ist eine von mehreren möglichen.

Das Gespräch führte Roman Kocholl

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