Flüchtlingshelfer: "Bayreuth schafft das"

Von Katharina Wojczenko
Flüchtlingshelfer Günther Hinterobermeier benutzt im Deutschunterricht dieses Plakat mit Symbolen. ⋌Foto: Ronald Wittek Foto: red

Ein Jahr nach Merkels "Wir schaffen das" sagt Flüchtlingshelfer Günther Hinterobermeier (66): Bayreuth auf jeden Fall. Auch wenn er jetzt um einen neuen Freund bangen muss.

 
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Hinterobermeier war mit seiner Frau 26 Jahre lang im Arbeitskreis Dritte Welt aktiv. Nach ihrem Tod suchte er eine sinnvolle Aufgabe. Er übernahm die Koordination der Willkommensgruppe St. Georgen. Außerdem ist er Mitglied des Vereins Bunt statt Braun.

Herr Hinterobermeier, wie war das, als die Flüchtlinge nach St. Georgen kamen?
Günther Hinterobermeier: Die Regierung hat im Juli 2015 in der Bernecker Straße eine Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung eröffnet.Pfarrer Martin Bachmann hat daraufhin gesagt: „Wir müssen etwas unternehmen.“

Ich war beim Gründungstreffen der Willkommensgruppe dabei. Früher habe ich mich von Bayreuth aus für die Dritte Welt engagiert. Plötzlich kam die Dritte Welt zu uns.

Die Flüchtlingsunterkünfte sind nicht für jeden zugänglich. Wie konnten Sie dort Ihre Arbeit machen?
Hinterobermeier: Wir sind glaubwürdig aufgetreten. Beim ersten Termin war Pfarrer Bachmann dabei. Der ist in St. Georgen eine Institution, eine gute, die ich mag. Er hat mit den Sicherheitsleuten und dem Hausmeister der Regierung gesprochen. Der Hausmeister und seine Nachfolger haben uns unterstützt.

Wo haben Sie Bedarf gesehen?
Hinterobermeier: Die Menschen bekamen zu essen und hatten ein Bett. Aber sie hatten zu wenig Kleidung. Das hat sich im Herbst und Winter verschlimmert, weil manche nur Sandalen und T-Shirt trugen.

Und wenn so viele Menschen auf engem Raum sind, fällt ihnen die Decke auf den Kopf. Busweise kamen Menschen in der Bernecker Straße an. Das hätten die staatlichen Stellen allein nicht geschafft.

Wie sah Ihre Hilfe im Alltag aus?
Hinterobermeier: Täglich ging jemand hin. Wir waren 40 Leute. Es gab vier Punkte: Kleider, Deutschunterricht, Sport, Kultur. Wir organisierten Fahrten zur Kleiderkammer von Caritas und Bunt statt Braun, brachten die Leute mit Sportvereinen in Kontakt und zum internationalen Gottesdienst oder zu Konzerten. Es waren überwiegend Männer zwischen 20 und 35 Jahren, denen gefällt das.

Zu mir kamen Flüchtlinge, die in ihrer Heimat teils hochklassig Fußball, Badminton, Billard oder Rollstuhlbasketball spielten. Sie fragten: „Gibt es hier eine Möglichkeit?“

Und dann?
Hinterobermeier: Dann habe ich bei Vereinen angerufen oder mit dem Geflüchteten einfach vorbeigeschaut. Es hat immer geklappt. Ich habe aber auch verlangt, dass er weiter hingeht und unseren Deutschkurs besucht.

Auch wenn ich anrief, ob wir bei günstigen Veranstaltungen Freikarten bekommen könnten, haben uns die Organisatoren unterstützt, zum Beispiel im Zentrum oder der Schoko.

Einmal im Monat schickten die Stadtwerke zum Selbstkostenpreis einen Bus samt Fahrer zum internationalen Gottesdienst.

Ich dachte, die meisten Flüchtlinge sind Moslems?
Hinterobermeier: Von ihnen sind viele mitgefahren, weil sie mehr über unseren Glauben erfahren wollten. Es war nie unsere Absicht, zu missionieren.

Manche waren in einer Art andächtig, das findest du nicht bei allen Christen hier. Zur Kommunion durften sie nicht, aber sie konnten sich segnen lassen, was viele taten.

Und das von einer Frau, das muss man sich mal vorstellen (gemeint ist Regionalbischöfin Dorothea Greiner, Anm. d. Red.).

Vor einem Jahr hat Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt: „Wir schaffen das.“ Schaffen wir es?
Hinterobermeier: Ich kann nur für Bayreuth aus der Sicht der Willkommensgruppe und des Vereins Bunt statt Braun sagen: Auf jeden Fall, weil wir in Bayreuth so gute kooperative Strukturen haben. Auch die Arbeitsagentur Bayreuth-Hof hat ein tolles Team.

Das begann im vergangenen Jahr und geht bis heute weiter. Wenn ich gefragt habe, war immer eine Tür offen.

Wer gut Englisch kann, wird es wahrscheinlich ohne uns schaffen. Diese Menschen sind nicht hilflos, sie haben sich schließlich bis zu uns durchgeschlagen.

Wie geht es weiter?
Hinterobermeier: Seit Mitte April ist die Unterkunft in der Bernecker Straße geschlossen. Wir haben unsere Arbeit in die Wilhelm-Busch-Straße verlegt, wo ich mit anderen Deutschkurse gebe.

Ab Oktober wird die Erstaufnahme dort zur reinen Gemeinschaftsunterkunft für Menschen, die länger in Bayreuth bleiben.

Wir machen weiter, wollen verstärkt Patenschaften übernehmen und den Menschen im Alltag helfen, beim Umzug, bei Behördengängen.

Was muss in Bayreuth passieren?
Hinterobermeier: Die Gespräche zwischen Ehrenamtlichen und Vertretern von Stadt und Regierung sollten wir wieder aufnehmen. Die sind eingeschlafen.

Wenn im Oktober die Becherthalle in der Wilhelm-Busch-Straße geschlossen wird, brauchen wir Sozialräume als Ersatz, damit wir den Deutschunterricht und das Café International weiterführen können.

Dass in Bamberg eine große Erstaufnahmeeinrichtung entsteht, finden wir nicht richtig. Dagegen haben wir eine Petition gestellt.

Dort werden bis zu 4500 Menschen untergebracht werden. Derzeit sind nur zwei Asylsozialarbeiter genehmigt und kein Rechtsbeistand vor Ort.

In Bayreuth brauchen wir mehr bezahlbare Wohnungen für Flüchtlinge. Und ich habe die Hoffnung, dass das Ausländeramt unter der neuen Führung künftig Ermessensspielräume besser nutzt. Es hatte den Ruf, das Gesetz eher restriktiv auszulegen.

Was bedeutet für Sie Integration?
Hinterobermeier: Dass jemand persönliche Kontakte zu Einheimischen hat, raus aus der Isolation kommt. Deshalb wollen wir uns von Anfang an kümmern – und nicht erst, wenn der Asylantrag entschieden ist und mindestens sechs Monate vergangen sind.

Das ist verlorene Zeit, sonst resignieren die Menschen, werden depressiv.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Schützlingen?
Hinterobermeier: Zu vielen, auch wenn sie teils über ganz Oberfranken verteilt sind. Vor einer Woche war ich bei Iranern in Ebrach zum Essen eingeladen.

In Bayreuth hat der Rollstuhlsportverein einen iranischen Rollstuhlbasketballer komplett integriert. Die Regierung hatte ihn nach Rödental verlegt. Ich habe deshalb einen Umverteilungsantrag gestellt und konnte ihn so nach Bayreuth zurückholen. Wir sind mittlerweile Freunde.

Heute hat er einen Brief bekommen, dass sein Asylantrag abgelehnt wurde. Das muss ich mir anschauen, das geht gar nicht. Der Mann wurde in seiner Heimat schwer bedroht.

 

Zum Jahrestag der „Wir schaffen das!“-Rede der Bundeskanzlerin hat die Kurier-Redaktion mit Menschen in Oberfranken gesprochen, die täglich mit der Flüchtlingskrise zu tun haben. Aus ihren Geschichten ergibt sich ein komplexes Bild der Situation.

 

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