Florestan fährt hinab ins Totenreich

Von Michael Weiser
Am Ende kommt der gnädige Minister: Szene aus dem "Fidelio" in Coburg. Foto: Andrea Kremper/red Foto: red

Was, wenn der Kerker nur eine Metapher wäre - fürs Sterben, den Abschied für immer? Rudolf Frey inszeniert Fidelio am Landesttheater Coburg den "Fidelio" als Psychodrama. Eine eigentlich schlüssige Deutung, der in Coburg aber die Bilder fehlen.

 
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Ja, es scheint was dran zu sein. Daran, was Uwe Eric Laufenberg, Regisseur des aktuellen Bayreuther „Parsifal“, mit Blick auf seine Kritiker und Regietheater-Kollegen gespottet hat: Einen „Fidelio“ darfst du als Regisseur, der etwas auf sich hält, ja schon gar nicht mehr in einem Gefängnis spielen lassen.

Also ist auch der neue Coburger „Fidelio“ in Coburg zur Spielzeiteröffnung kein Kerker-Drama, kein offensichtliches zumindest, mit Ketten und dicken Mauern. Regisseur Rudolf Frey verwendet den Kerker als Metapher: als Ort tief in der Unterwelt, ein Totenreich, in das eine Eurydike hinabsteigt, um ihren geliebten Orpheus zurück ans Licht zu führen. Von der politischen Dimension, dem Kampf gegen eine Willkürherrschaft, der sein Vorbild im Widerstand gegen die Terreur der Französischen Revolution hatte, bleibt in Coburg nichts übrig.

Was klappen könnte: Revolution war mal, Anlass zum Nachdenken über Tod und Trauer aber gibt es allemal. Das Psychodrama aber, das Drama einer trauernden Leonore, geht in der ersten Hälfte nicht auf. Vor einem wie hingeschustert aussehenden Bühnenbild (Bühne und Kostüme: Madeleine Boyd) entwickelt sich beim Zuschauen tatsächlich bleierne Stimmung. Aber weniger aus Mitgefühl heraus, sondern weil man die Ebenen nicht ohne weiteres zusammenbringt: Das Eck rechts soll eine Redaktionsstube sein, das Ding in der Mitte die Pforte eines Gefängnisses? Warum geht das Licht an und aus, warum haben die Gefangenen Kopfhörer auf?

Probleme mitder Verständlichkeit

Man rätselt, nützt die Pause, um sich nochmals auf die Volten von Freys Trauerarbeit vorzubereiten – und kommt nun tatsächlich mit der Szene besser zurecht: Eleonore kommt mit der Nachricht von Florestans Tod nicht zurecht, sie flüchtet sich daher in einen Traum, in dem sie als liebevoll befreiende Gattin ein Happy End herbeiführt. Ein Traum, wie gesagt, dem die Atmosphäre der zweiten Hälfte viel besser entspricht. Ja, es ist schon so: die zweite Hälfte ist – hat man sich erst mal auf die Interpretation des Stücks als Traueranalyse eingelassen – süffiger da stimmiger.

Mit der Besetzung gibt es Probleme. Tünde Szabóki als Eleonore und Roman Poyer als Florestan muten nicht wie ein junges Liebespaar an. Szabóki hat zudem einige Mühe bei den hohen Lagen, da wird die Stimme brüchig. Bei einigen Darstellern vermisst man Verständlichkeit, ein abgedimmter Kindle zur Lektüre des Librettos leistet wertvolle Dienste.

Als Ausnahme wäre der Rocco von Felix Rathgeber zu nennen, der überhaupt die stimmigste Vorstellung abgibt, mit einem schönen, runden Bass. Aber auch er kann eine zentrale Frage im Drama nicht beantworten: Warum ist dieser Gefängniswärter, der bei Frey eigentlich ein Totenfährmann ist, erst Helfer der Diktatur und dann geläuterter Tugendbold? Das aber ist ein Problem des Librettos: Oper halt, viel Gefühl, nicht immer viel Logik. Über Zweifel erhebt sich das von Roland Kluttig herausragend geleitete Orchester. Was in dieser musikalischen Darbietung - übrigens mit der 3. Leonoren-Ouvertüre statt der "Fidelio"-Eingansmusik - an Dynamik drinsteckt, von Leisesten bis zum Forte, was bei der nachsichtigen Begleitung der vertrackten Stellen mit voller Sängerkraft noch an Transparenz bleibt: dem gebührt Beifall.

Jubelchor mit zwei Trauernden

Am Ende stehen gnädiger Minister, geläuterter Wärter und befreite Gefangene im Jubelchor beinander. Nur bei Florestan und Eleonore passen Gesten und Haltung nicht zur Freude. In Freys Lesart hat sich Florestan eine wohl tödliche Wunde in der Brust eingefangen, und da ist keine Waffe mehr, die noch taugt: Er wird sterben, in der Unterwelt bleiben, und Eleonores Befreiungswerk ist gescheitert. Im Augenblick der fürchterlichen Erkenntnis birgt sie den Kopf in ihren Händen. Geht man von der Theorie der Trauerarbeit aus – dass auf die schmerzliche Feststellung des Verlusts irgendwann so etwas wie die Rückkehr ins eigene Leben folgen sollte – hätte Beethoven eigentlich eine Fortsetzung geschrieben haben müssen. In Coburg verlassen wir das Theater ungetröstet: Mancher Schlag ist eben nie zu verschmerzen.

INFO: Nächste Termine in diesem Monat: 12., 16. und 20. Oktober