Firmen setzen auf Spieltrieb – zu Recht?

Von Marie-Christine Fischer

Menschen spielen gerne. Deshalb bauen Unternehmer zunehmend Elemente digitaler Spiele in den Arbeitsalltag ihrer Mitarbeiter ein. Wer mehr Spaß am Job hat, arbeitet produktiver, so die Hoffnung. Doch der Grat zwischen Motivation und Frustration ist schmal.

 
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Noch knapp sechseinhalb Stunden bis zum Zapfenstreich in der Nürnberger Filiale der Burgerkette "Hans im Glück". Noch knapp sechseinhalb Stunden, in denen die Köche, Barceeper und Kellner nicht nur Burger braten und Pommes frittieren, Cocktails mixen und Gäste bedienen, sondern auch ein Spiel spielen. Die Mission können sie von einem Tablet am Tresen ablesen: Es gilt noch 1650 Euro Umsatz zu erwirtschaften. Dann wäre das Tagesziel erreicht. "Wir sind auf Kurs!", feuert die Anwendung an.

In einer geschützten Ansicht sieht jedes Teammitglied, in welchem Feld es sich besonders gut schlägt - und bekommt zur Belohnung einen entsprechenden Titel. Heute überdurchschnittlich viel Kaffee verkauft - schon ist man "Mister Barista". Geht das Kalkül des Spieleentwicklers auf, will "Mister Barista" seinen Titel fortan verteidigen und hängt sich entsprechend rein. Hat er Lust, kann er auch einen Kollegen zum Duell der eifrigsten Kaffee-Verkäufer herausfordern.

Spaß statt Bonuszahlungen

Entwickelt hat das Spiel Andreas Steinbeißer mit seiner Münchner Firma "Sell & Pick". Er setzt dabei, wie andere Entwickler sogenannter Gamification-Anwendungen, auf das, was Psychologen intrinsische Motivation nennen: die Lust an einer Handlung um ihrer selbst willen. "Wenn ich Spaß an meiner Arbeit habe, Herausforderung und Sinn sehe, dann muss mir keiner einen Bonus zahlen", sagt Steinbeißer. Monetäre Anreize würden Angestellte meist nur kurzfristig motivieren. Mit Hilfe spielerischer Elemente könnten Unternehmer ihre Mitarbeiter hingegen langfristig bei der Stange halten. "Die Anwendung ist zwar kein heiliger Gral, wohl aber eine operative Motivationshilfe."

Digitale Spielebranche wächst

Digitale Spiele sind enorm populär. Smartphones und Tablets haben der Branche in den vergangenen Jahren einen ordentlichen Schub verpasst. Allein in Deutschland lag der Umsatz mit digitalen Spielen laut Zahlen des Bundesverbands interaktive Unterhaltungssoftwaren 2015 bei knapp 2,8 Milliarden Euro - und damit sowohl über dem der Filmbranche als auch über dem der Fußballbundesliga. Fast  jeder zweite Deutsche spielt zumindest gelegentlich digitale Spiele. Männer und Frauen sind annähernd gleichermaßen begeistert. Insofern liegt es für Unternehmer nahe, auf den Spieltrieb ihrer Mitarbeiter zu setzen.

So richtig durchgesetzt haben sich Gamification-Anwendungen bislang jedoch nicht. Während Entwickler wie Andreas Steinbeißer glauben, der Durchbruch stehe noch bevor, geht Jochen Koubek, Professor für Medien- und Computerspielewissenschaft an der Uni Bayreuth, davon aus, dass das Phänomen auch in Zukunft einem Nischendasein fristen wird. "Es hat sich herausgestellt, dass man Mitarbeiter doch nicht so leicht dazu bekommt, ihr Verhalten langfristig zu ändern, wie wir noch vor ein paar Jahren dachten", sagt Koubek. "Jedes Spiel verliert irgendwann seinen Reiz."

Maßgeschneiderte Gamification-Anwendungen sind teuer

Um zu verhindern, dass sich der Spaß allzu schnell abnutz, dürften Entwickler nicht einfach ein Spiel über einen bestehenden Prozess stülpen. Stattdessen müsse das Spiel exakt auf den Arbeitsablauf oder Produktionsschritt zugeschnitten sein. So wie bei "Foldit", einem Spiel, das die University of Washington 2008 veröffentlicht hat und seitdem oft als Beleg für die Wirksamkeit von Gamification herangezogen wird. Ziel von "Foldit" ist es, ein virtuelles Protein möglichst gut zu falten, sodass ein Modell des Proteins im Zustand des Energieminimums entsteht. "Binnen drei Wochen haben die Spieler ein Problem gelöst, an dem die Forscher davor zehn Jahre gearbeitet haben", erzählt Koubek.

Gerade solche maßgeschneiderten Anwendungen sind jedoch teuer. Und noch ein Problem sehen Skeptiker wie Koubek: "Der beabsichtigte Motivationsschub kann auch ins Gegenteil umschlagen." Dann nämlich, wenn Mitarbeiter keine Lust auf das Spiel haben, wenn sie ständig verlieren oder sich von Ranglisten unter Druck gesetzt fühlen.

Angst vor dem Jobverlust statt Motivation

Gründlich schief ging etwa ein Experiment, das die Effizienz des Reinigungspersonals eines Hotel steigern sollte: Auf einem Bildschirm im Aufenthaltsraum konnten alle sehen, wer am schnellsten arbeitet. Statt Spaß am Wettbewerb aber hatten die Putzkräfte nur eines: Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie langsamer sauber machten als ihre Kollegen.

Deshalb dürfe kein Mitarbeiter zum Spielspaß am Arbeitsplatz gezwungen werden, sind sich Koubek und Steinbeißer einig. Auch bei "Hans im Glück" entscheiden die Mitarbeiter selbst. Um Konkurrenzdruck vorzubeugen sind in Steinbeißers Anwendung nur die Teammissionen für alle sichtbar. Wie viel Kaffee er verkauft und ob er sich damit besser schlägt als die Kollegen kann nur der Mitarbeiter selbst sehen. "Ob er darüber mit den Kollegen spricht, sie herausfordert, oder nicht, ist jedem selbst überlassen", betont Steinbeißer.

Das bedeutet Gamification:

Unter Gamification versteht man den Einsatz spielerischer Elemente in einem Kontext, der normalerweise nicht als spielerisch wahrgenommen wird, wie Schule, Ausbildung und Arbeit. Dahinter steht die Hoffnung, Menschen durch das Spielen zu Arbeiten motivieren zu können, die ihnen mühevoll erscheinen. Gerade Arbeitsschritte, die sich ständig wiederholen und daher langweilig sind, wie etwa am Fließband, sollen aufgewertet werden.

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