Kartenverkauf läuft schleppend Festspiele: Ist der Mythos Bayreuth tot?

Von Michael Weiser und Heike Hampl
Biwakieren für eine Karte: Diese Szenen stammen vom Anfang des Jahrtausends, genauer: Aus dem Jahr 2002. Heuer sind noch rund 300 Karten zu haben, vor allem für den "Ring". Foto: Karl Heinz Lammel Foto: red

Wer will noch mal, wer hat noch nicht: Noch immer gibt es Karten für die Bayreuther Festspiele, die in wenigen Wochen eröffnet werden. Zwischen  Schönfärberei vergangener Zeiten und nüchterner Gegenwart scheint sich der Mythos Bayreuth in Luft aufzulösen. Geschäftsführer Heinz-Dieter Sense will an einigen Stellschrauben drehen. Und unter anderem auf die Richard-Wagner-Verbände zugehen.

 
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Zehn Jahre muss man auf eine Karte warten. Hieß es mal. Bis der „Kurier“ nachwies, dass die Mega-Nachfrage mit zehnfacher Überbuchung eine Legende ist. Jetzt, wenige Wochen vor dem Beginn der Festspiele, sind noch Karten zu haben. Für den „Ring“ etwa, und für den „Holländer“. Auf der Seite der Festspiele, waren zwischendurch sogar Karten für den Neuenfels-„Lohengrin“ zu haben. Müssen die Festspiele um Zuschauer betteln? Ist der Nimbus futsch?

Transparenz und Internet

„Wir setzen auf Transparenz“, verspricht Heinz-Dieter Sense, geschäftsführender Direktor der Festspiele. Heißt: Wenn Menschen Karten bestellen, sie nicht oder zu spät bezahlen, wenn sie nicht die Karten bekommen, die sie wünschen oder anderweitig das Interesse verlieren, werden ihre Karten als Rückläufer offen im Internet angeboten. Was erklärt, dass es auf der Bestellseite der Festspiele schon mal zuging wie an der Börse. „Wir verkaufen insgesamt 60 000 Karten, dabei haben wir 1500 Rückläufer.“ „Es ist schon immer passiert, gerade im Mai und Juni, dass Karten zurückkommen. Das ist ganz normal“, sagt Ina Besser-Eichler, Geschäftsführerin der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth. „Weil es Terminüberschneidungen gibt, wegen Krankheit, Arbeit und manchmal sogar wegen Todesfällen.“ Nur habe die Öffentlichkeit davon eben nichts mitbekommen. Heute sei die Kartenvergabe schlicht transparenter. Früher wurden die Karten offenbar auch mal irgendwie und sowieso vergeben, an Freunde, Bekannte, Wichtige...

Nicht auszuschließen sei, dass das Angebot früher „künstlich verknappt“ worden sei, sagt Sense. Denkbar auch, „dass früher der eine oder andere Tante und Onkel eingespannt hat, um mehr Möglichkeiten zu haben“. Die Zahl der Anfragen ist nicht gleich die Zahl der Interessenten. Mittlerweile könne man Schummler orten, ebenso Schwarzhändler.

Wagner-Städte gibt es einige

Richard Wagner war ein Wandervogel. Und so lässt sich mehr als eine Stadt mit seinem Namen verbinden. Wie sich im Jubiläumsjahr 2013 zeigte: Pleite in Bayreuth, ein Erfolg in anderen Städten wie Leipzig. Da bringen auch Ausnahmedirigenten nicht immer den entscheidenden Vorteil: "Kirill Petrenko macht den ,Ring’ auch in München. Wagner gibt es überall“, sagt die Festspiel-Bloggerin Regina Ehm-Klier. Der Soziologe und Eventforscher Ronald Hitzler stimmt zu: „Es gibt eventuell noch immer eine Übersättigung durch das Wagner-Jahr. Und sogar in Dortmund können Sie eine fantastische ,Tannhäuser’-Inszenierung sehen.“

Mehr Angebot

„Es sind weit mehr Karten als in der Vergangenheit frei käuflich, weshalb sich die Wartezeit auf Karten drastisch reduziert hat.“ Sagt Manuel Becher, Geschäftsführer der Bayreuth Marketing- und Tourismus-Gesellschaft. Wahr ist: Die Festspiele haben dem Gewerkschaftsbund zwei Vorstellungen gestrichen, auch das – zu bezahlende – Kontingent für die 130 Richard-Wagner-Verbände weltweit ist entfallen. Insgesamt landen damit rund 7000 Karten mehr auf dem Markt. Mit den Streichungen hatten die Festspiele auf Forderungen des Bundesrechnungshofes reagiert. Die Prüfer hatten moniert, dass lediglich 40 Prozent der Karten in den freien Verkauf gegangen waren. „Die Streichung der  Kontingente hat zu viel Unmut geführt“, sagt Horst Eggers, Präsident des Richard-Wagner-Verbandes International. „Und zwar weltweit.“ Heinz-Dieter Sense signalisiert Verständnis. Gibt es womöglich bald wieder ein Kontingente? „Die Chance sehe ich, ja“, sagt Sense. „Das ist ein Publikum treuer Abonnenten.“ Auch eine Zusammenarbeit mit Reiseveranstaltern werde neu erwogen.

Weniger Promi-Faktor

Engin Gülyaprak, Vorsitzender des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes im Kreis Bayreuth, nimmt Wirte und Hoteliers in die Pflicht und fordert Qualität. Früher habe man während der Festspielzeit einfach die Preise erhöht, „das geht nicht mehr“. Noch eine Beobachtung hat er gemacht. „Es ist vielleicht nicht mehr der Hype wie früher. Das Publikum hat sich verändert, ist normaler geworden.“ Stimmt, zeigt auch die Auffahrt am Premierentag: früher war mehr Prominenz. Was in eine Abwärtsspirale führen kann. „Es gehen nicht etwa alle hin, weil es großartig ist, es ist großartig, weil alle hingehen“ – so definiert Wissenschaftler Hitzler ein richtiges Event.

Ein Ring, sie zu binden...

Zwanzigmal so viele Interessenten wie Karten habe es für die kommende „Tristan“-Premiere gegeben, sagt Sense. Dagegen schwächelt der „Ring“. Mit 600 Euro für die günstigsten Karten ist die Tetralogie eben teuer. Dazu kommen die Übernachtungen oder Anfahrten. Insgesamt sei die Nachfrage je nach Sitzplatzkategorie und Aufführung sehr unterschiedlich.

Gibt's noch Karten? Ehrlich?

„Auf Messen werden wir nach wie vor als erstes danach gefragt, wie man am besten an Karten kommt“, sagt Manuel Becher. Viele Interessenten bemühten sich gar nicht mehr – "nach dem Motto, ,weil es ja eh keine gibt’“. Die Probe aufs Exempel gelingt bei Prof. Hitzler in Dortmund. Weil der gleich zurückfragt: „Wollen Sie damit sagen, dass es noch Karten gibt? Ehrlich?“

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