Peggys Mutter Susanne Knobloch begrüßt den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter Fall Peggy: Handschlag für Ulvi Kulac

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Eine ungewöhnliche Begegnung in einem ungewöhnlicher Prozess. Susanne Knobloch (41) reicht Ulvi Kulac (36) die Hand zur Begrüßung. Jenem geistig minderbegabten Mann, der erneut vor Gericht steht, weil er ihre Tochter Peggy 2001 ermordet haben soll. Inzwischen waren die Zweifel daran, dass er Peggy wirklich getötet hat, so groß, dass sein Verfahren neu vor dem Landgericht Bayreuth aufgerollt wird.

 
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„Guten Morgen“, sagte Kulac leise zu Richter Michael Eckstein. Lächelnd hatte er den Beifall im Gerichtssaal zur Kenntnis genommen – auch den von einigen Journalisten. Länger als zehn Minuten hatte er geduldig die Fotografen ertragen, als sie ihn immer und immer wieder fotografierten. Hatte die Hände auf die Oberschenkel gelegt und leicht gelächelt. Er hatte auch gelächelt, als Susanne Knobloch in den Gerichtssaal kam und ihm die Hand reichte. Zum ersten Mal überhaupt. Sie, der Kulac bisher eher suspekt war.

„Guten Morgen“, sagte Kulac leise. Sein neues Verfahren begann genau wie sein altes vor 13 Jahren: Der Staatsanwalt, in dem Fall Daniel Götz, verlas die Anklage. Kulac habe vor Peggy onaniert, dann habe er das Mädchen missbraucht. Über fünf Minuten soll das gedauert haben. Als sie weinte, habe er abgelassen und das Kind nach Hause gehen lassen. Vier Tage später: Kulac habe auf einer Bank an einem Platz in Lichtenberg auf Peggy gewartet, sich bei ihr für den Missbrauch zu entschuldigen. Er sprach sie an, sie rannte weg, er rannte ihr hinterher, sie stolperte, stürzte. Sie schrie, als er sie aufhob. Sie wehrte sich heftig, trat ihm in die Genitalien und drohte, es ihren Eltern zu erzählen. Er stieß sie, sie stürzte, sie schrie und weinte und hörte nicht auf. Aus Angst, dass der Missbrauch bekannt werden könnte, soll Kulac sie erstickt haben. So sah es im Jahr 2001 der Staatsanwalt.

Kulacs Rechtsanwalt Michael Euler (33) hatte schon im Vorfeld in vielen Interviews klar gemacht, wie seine Argumentation aussehen werde. Er las eine 40-seitige Erklärung vor, die als argumentative Blaupause für den Verlauf des Prozesses gelten kann: Kulacs Geständnisse seien falsche, die teils von der Polizei eingeflüstert, teils mit Drohungen der Polizisten zustanden gekommen sein sollen. Und ein fehlerhaftes Gutachten habe dieses falsche Geständnis für glaubhaft beurteilt.

Susanne Knobloch folgt sowohl dem Rechtsanwalt als auch dem Staatsanwalt ohne Regung. Seit Kulac im September 2001 festgenommen worden war, sitzt er in der geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Bayreuth. Und zwar wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in mehreren Fällen. Erst 2003 wurde er wegen Mordes an Peggy angeklagt. Zu lebenslänglich verurteilt  wurde er dafür im Jahr 2004. Selbst der Bundesgerichtshof hatte dieses Urteil später bestätigt. Bis heute hat er diese Strafe nicht angetreten. Im vergangenen Jahr reichte Euler einen Wiederaufnahmeantrag ein

„Wir verhandeln auch über einen nicht mit normalen Maßstäben zu messenden Tatverdächtigen“, sagte er. Der Mann mit dem Intellekt eines Kindes habe auf 900 Seiten Vernehmung zwei Wahrheiten präsentiert: „Eine falsche und eine wahre.“ Euler zählt vier Geständnisse, alle in sich voller Widersprüche. „Geständnis-Konfusität“, sagt er. Zumal das wesentliche Geständnis vom 2. Juli 2002 in dem Kulac zum ersten Mal den Mord gestanden hatte, als einziges nur in einem Gedächtnisprotokoll eines Polizisten festgehalten – das Tonband lief nicht mit. Später wird Kulac sagen, er habe nur „seine Ruhe haben“ wollen. Der Gutachter wird sagen, Kulac könne sich die Tat niemals ausgedacht haben. Vor Ärzten und Pflegern beteuert er immer wieder,  Peggy nicht umgebracht zu haben. Erst sechs Monate später widerruft er offiziell sein Geständnis.

Kulac sei während der Vernehmungen angeschrien worden, ihm seien Schmerzen zugefügt worden, als ein Polizist ihm in die Schulter zwickte. Ein anderes Mal einmal habe er sogar geschrien. Kulac selbst spricht später von „Folter“. Dem permanenten Vernehmungsdruck habe der geistig minderbegabte mit panischer Angst vor dem Gefängnis nicht standgehalten.

Staatsanwältin Sandra Staade wies danach darauf hin, „dass einige Punkte auch falsch dargestellt“ seien. „Die stimmen definitiv nicht.“ Gerade wenn es um „Folter“ gehe. Hier habe sich Kulac sprachlich vergriffen. Zum Anwalt sagte sie: „So ist es halt bei vielen Punkten, dass Sie die eine Seite der Medaille schildern, aber die andere Seite, die für den Mandanten belastend sind, weglassen.“

Im Anschluss an Eulers Erklärung wird Ermittlungsrichter Christian Wiesneth aussagen. Dabei geht es um den bereits verstorbenen  Zeugen Peter Hoffmann Dieser hatte 2001 Kulac bei der Polizei angeschwärzt. Kulac soll gegenüber Hoffmann, einem Mitpatienten im Bezirkskrankenhaus, davon erzählt habe, wer Peggys Leiche weggeschafft hat. Danach kommen Zeugen, die als Jugendliche Peggy noch am Nachmittag in Lichtenberg gesehen haben wollen – und zwar nach dem Zeitpunkt, als sie laut Polizei bereits verschwunden sein soll.

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